Von Lukas Vogelsang - Gratispendlerzeitungen und noch eine Gratispendlerzeitung und noch eine Gratispendlerzeitung. Gibt es eigentlich auch noch Zeitungen für ganz normale Menschen oder ist der Mensch heute aus der Sicht der Medienhäuser nur noch ein Pendel? Hin und her pendelnd, von einer Zeitung zur andern?
Mit der Lancierung von «.ch» (welch unmögliche Namensgebung) wurde die Medienlobby aufgerüttelt. Das Pendel schlug Alarm und die Mediengurus rannten (oder pendelten) wie wild, um diesem Projekt den Start nicht zu einfach zu machen. Man erinnere sich an die Gratiszeitung «Le Matin bleu», welche in der Westschweiz «20 Minuten» immer noch erfolgreich verdrängt. In der deutschsprachigen Schweiz hat es bisher einfach noch keine elementare Konkurrenz gegeben — «heute» ist es auf jeden Fall nicht geworden, doch das liegt bereits im Erscheinungsbild dieser Zeitung.
Interessant sind Zahlen. Nehmen wir wieder das Beispiel «20 Minuten»: Für Bern beträgt gemäss WEMF-Statistik (2006) die beglaubigte Gratisauflage «nur» 86’621 Exemplare. Als Gegenüber: Die Bevölkerung des Kanton Bern (1.1.2004 / deutschsprechend) beträgt 799‘642 Personen. Diese Zahlen sind auch verglichen mit «Der Bund» mit 58‘590 oder der «Berner Zeitung» mit 157‘590 Exemplaren eigentlich nicht wahnsinnig. Es ist dazu anzunehmen, dass ein Teil der Gratisblätter mindestens nach zwei Minuten im Abfall landen. Ich weiss gar von Orten, wo die Restexemplare des ach-sobeliebten «20 Minuten» bereits am Mittag aus den Verteilerkästen genommen und entsorgt werden.
Die Tamedia, als Besitzerin von «20 Minuten», «Berner Zeitung» und «Der Bund» hat aber auf dem Platz Bern werbetechnisch eine fantastisch einmalige Position. Dass nun ein neuer Gratismarktplayer auftauchen will, darf nicht geschehen und muss verhindert werden. Es geht dabei nicht darum, LeserInnen zu gewinnen und oder die Zeitungen zu verbessern, sondern einzig darum, den bestehenden Werbemarktanteil zu erhalten oder und den Gegner zu dominieren. In den neuen Medienkonzepten gibt es keine Leserschaft mehr, sonst würden die Zeitungen ja besser werden. LeserInnen müssen nur «wissen», dass es die Zeitung gibt — und sie müssen auch «wissen», wo die Blätter erhältlich sind. Das ist für die Statistiker wichtig. Man redet von Marktplatz. Doch mit jeder Neulancierung versiegt ein Stück Hoffnung, dass die Zeitungen wieder zu dem werden, was sie mal waren: lesbaren und meinungsbildenden Organen. «Investment» oder «Goldesel» sind die Schlagworte für die Mediengesellschaft geworden — «Recherche» wurde dafür aus dem Wortschatz gestrichen. Und so werden wir Ende Jahr jeden Tag mit mindestens vier Gratisblättern auf unserem Sofa sitzen und Promi-Föteli angucken. Dafür wird die Tamedia einen legitimen Grund haben, «Der Bund» einzustellen und das Fernsehprogramm wird nicht besser.
Eine Zeitung braucht eine Etablierungszeit von ca. drei bis fünf Jahren, um sich zu behaupten und finanziell zu stabilisieren. Das ist Investmentzeit. Investment ist auch «CASH daily», ein kaum erhältliches Gratisblatt, welches in diesem Sommer in Bern in den Boxen zu Papiermaché verarbeitet wurde. Dieses Gratisblatt habe gemäss den Pressemeldungen der PR-Abteilung von Cash-Ringier die Wochenzeitung «CASH» verdrängt, so als erste Gratiszeitung den grösseren Bruder getötet. Man kann aus jeder Situation eine Medienshow machen. Fakt ist, dass «CASH daily» noch immer im Neulancierungs-Investment-Kredit von Ringier eingegliedert und es noch zu früh ist, dieses Produkt vom Markt zu nehmen. Das wöchentliche «Cash» war im Konzept nicht interessant. Investmentprojekte sind Finanzquellen. So ist anzunehmen, dass Ringier entweder «CASH daily» verkaufen oder aber ein neues Finanzblatt kreieren wird, und «CASH Daily» dort integriert. Man will ja das Gesicht nicht verlieren…
Dass die meisten Zeitungen und Medien zu einer unrelevanten Alltagsgeschichte degradiert worden sind, hat in diesem Sommer «Facts» bewiesen. Ein so hoch gepriesenes Magazin wurde innerhalb weniger Wochen vom Markt genommen. Millionen von Werbegeld sind einfach «puff» in der Luft aufgelöst worden, die LeserInnen wurden um eine Wochenlektüre ärmer. Das Pendel bewegt sich wie vorher und irgendwie ist gar nichts passiert.
Aus der Serie Von Menschen und Medien
Cartoon: www.fauser.ch
ensuite, September 2007