Magie

(Con­stan­tin Seibt) —

Zeit, in diesem Blog eine pein­liche Wahrheit zu schreiben.

Es geht natür­lich immer um Magie: in der Liebe, auf der Bühne, beim Schreiben, im Sport. Fleiss und Handw­erk sind nur die Voraus­set­zung. Aber ohne Zauber sind sie nur der Ersatz für die wirk­liche Sache. «Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber Gott liebt mich, wenn ich singe», sagt ein ara­bis­ches Sprich­wort.

«Kun­st», schrieb Arno Holz ein­mal, «ist Natur plus x». An dieser Formel ist vor allem das «plus x» inter­es­sant. Tat­säch­lich ist der Unter­schied zwis­chen einem handw­erk­lich tadel­los gemacht­en und einem wirk­lich gelun­genen Text so deut­lich fühlbar wie nicht zu definieren. Der eine arbeit­et sich vor­wärts, der andere schwebt.

Wer das nicht weiss, hat wenig begrif­f­en. Chan­dler nan­nte die Schrift­steller, die ohne Inspi­ra­tion arbeit­en, «Maschi­nen­wärter der Lit­er­atur». Oder: «Kleine Leute, die vergessen haben, wie man betet.»

Der religiöse Akzent trifft die Sache unan­genehm genau.  Das Verblüf­fende an jed­er Kun­st ist – wenn es klappt – die Ver­wand­lung von Totem in Lebendi­ges. Dass eine Kon­struk­tion von abstrak­ten Zeichen – Far­ben, Noten, Buch­staben – plöt­zlich zu atmen begin­nt.

Nicht umson­st bedi­enen sich fast alle Beschrei­bun­gen von Kunst­werken beim Vok­ab­u­lar von Reli­gion und Magie. Hier der Schluss ein­er der berühmtesten Schilderun­gen, die Beschrei­bung des Faust-Ora­to­ri­ums von Thomas Mann:

Nein, dieses dun­kle Tongedicht lässt bis zulet­zt keine Vertrös­tung, Ver­söh­nung, Verk­lärung zu. Aber wie, wenn der kün­st­lerischen Para­dox­ie, dass aus der total­en Kon­struk­tion sich der Aus­druck – der Aus­druck als Klage – gebiert, das religiöse Para­dox­on entspräche, dass aus tief­ster Heil­losigkeit, wenn auch als leise Frage nur, die Hoff­nung keimte? Es wäre die Hoff­nung jen­seits der Hoff­nungslosigkeit, die Tran­szen­denz der Verzwei­flung – nicht nicht der Ver­rat an ihr, son­dern das Wun­der, das über den Glauben geht. Hört nur den Schluss, hört ihn mit mir: Eine Instru­menten­gruppe nach der anderen tritt zurück, und was übrig bleibt, wom­it das Werk verklingt, ist das hohe g eines Cel­los, das let­zte Wort, der let­zte ver­schwebende Laut, in pianis­si­mo — fer­mate langsam verge­hend. Dann ist nichts mehr – Schweigen und Nacht. Aber der nach­schwin­gend im Schweigen hän­gende Ton, der nicht mehr ist, dem nur die Seele noch nach­lauscht, und der Ausklang der Trauer war, ist es nicht mehr, wan­delt den Sinn, ste­ht als ein Licht in der Nacht.

Eine etwas nüchternere Def­i­n­i­tion des Sachver­halts gibt Wal­ter Moers in seinen Zamonien-Roma­nen. Eine Sub­stanz namens «das Orm» entschei­det beim Schreiben, was ein echter Wurf und was sofor­tiges Alt­pa­pi­er ist. Die trock­en­ste Def­i­n­i­tion liefert eine Fan­site mit fol­gen­dem Lexikon-Beitrag:

Das soge­nan­nte «Orm» ist eine Art gestal­ter­ische Macht­en­ergie, die jedes wahrhaft kün­st­lerisch schaf­fende Wesen durchzieht und es zu immer neuen Höch­stleis­tun­gen antreibt. «Orm» ist das Öl auf dem Mit­ter­nacht­slicht, die Fahrkarte vom Genie zum Wahnsinn und wieder zurück.

Nicht jed­er Kün­stler besitzt das Orm, ja, es wird von vie­len min­deren Köpfen, die es nie ver­spürt haben, für eine Fabel gehal­ten, in Witzen verspot­tet und ins Reich des Nicht-Exis­ten­ten ver­wiesen. Für den jedoch, der sein­er Wirkung auch nur ein einziges Mal erlag, ste­ht seine Exis­tenz felsen­fest.

Lei­der gelingt es den Wenig­sten, das Orm festzuhal­ten oder es auch nur als regelmäßi­gen Gast ins Ate­lier oder in die Schreib­stube zu bekom­men. Wo Kreativ­ität sich in Gelder­werb wan­delt, wo die Inspi­ra­tion dem Schaf­fens­druck weichen muss, wo die Phan­tasie auf dem Altar der unbezahlten Rech­nung geopfert wird, da flieht nach Ansicht erfahren­er, dur­chormter Kün­stler diese Kraft; und wenn man Pech hat – auf Nim­mer­wieder­spüren.

Das Verblüf­fende im Leben ist ja, dass die Dinge, die wirk­lich zählen, nicht zuver­läs­sig fab­rizier­bar sind. Sie sind Geschenke. Man kann sich zwar mit einigem Aufwand jeman­dem angenehm machen – aber zur Ver­liebtheit bleibt ein riesiger Sprung. Man kann nach­denken – aber eine echte Erken­nt­nis trifft einen meist als Blitz. Man kann tip­pen, aber zum Schreiben – ja ver­dammt.

Kein Wun­der, gle­ichen die meis­ten vernün­fti­gen Autoren süchti­gen Spiel­ern. Tricks, Erfahrun­gen, Fleiss, Zähigkeit sind nur die Chips, die man set­zt. Sie sind unverzicht­bar als Ein­satz – ohne sie sitzt man nicht mal am Tisch. Aber sie enthal­ten keine Garantie auf Gewinn. Manch­mal scheint sog­ar, dass die Chan­cen mit der Höhe des Ein­satzes sinken: Zäh erar­beit­ete Texte sind oft nur okay. Die paar wirk­lich zählbaren Sachen entste­hen fast immer in der Über­mü­dung, im blind­en Flug, fast ohne Zutun – keine Ahnung, wie man das zus­tande brachte. Die Autoren­zeile ist dann fast Betrug.

Diese Willkür hat Fol­gen. Man wird aber­gläu­bisch und lebt in dauern­der Furcht: Dass es das gewe­sen ist. Für immer. Das es nie wiederkommt. Oder nie da war. Dass man ein vertrock­neter Zweig ist; ein Stück aufrechter Tod.

Der Trost dabei ist, dass es zwar ein grausames Spiel ist. Aber eines der weni­gen, dass sich zu spie­len lohnt. Denn das Leben selb­st geht nicht anders vor. Das wirk­lich Neue kommt fast immer per Geburt in die Welt, nicht durch Entwick­lung. Die Dinge, die Geschichte machen – der Fall der Berlin­er Mauer, das Inter­net, die Finanzkrise, der ara­bis­che Früh­ling – sehen nur im Nach­hinein unver­mei­d­bar aus. Sie kamen unberechen­bar, unvorherse­hbar, in Schüben.

Dies ist auch der Grund, warum Hochrech­nun­gen immer nur im lang­weili­gen Fall stim­men. Warum die Risiko-Berech­nun­gen der Banken alle paar Jahre an einem Ereig­nis scheit­ern, dass laut Sta­tis­tik­ern nur alle tausend Jahre vorkom­men dürfte. Und warum der Staunende oft mehr weiss als der Wis­sende. Denn wirk­liche Neuigkeit­en – gute und schreck­liche – haben regelmäs­sig die Struk­tur eines Wun­ders: Dass etwas plöt­zlich da ist. Die Geburt des Neuen zu ent­deck­en – oder ersatzweise der neue Blick auf Bekan­ntes – ist die wichtig­ste, anspruchsvoll­ste Auf­gabe des Jour­nal­is­mus.

Dass das Pub­likum nicht die berechen­bare Ware, son­dern die Sen­sa­tion, nicht das rou­tiniert Gemachte, son­dern den Wurf im Gedächt­nis behält, ist ein altes Gesetz der Branche. Es mag einem manch­mal unfair erscheinen. Etwa, wenn das Pub­likum die Kurzmel­dung über die Ente mit drei Köpfen liest, aber den Leitar­tikel zur Finanzpoli­tik nicht. Trotz­dem zeigt das Pub­likum damit einen feinen Instinkt.

Denn das Unwahrschein­liche, Plöt­zliche bleibt zwar meist nur Anek­dote. Aber es kön­nte auch ein Anfang sein.

Die Unberechen­barkeit der Welt – und die Unberechen­barkeit des Schreibens – macht Jour­nal­is­mus zu einem roman­tis­chen Beruf. Sich­er, meist ist man mit Rou­tine beschäftigt, mit einem Obduk­tions­bericht, ein­er Män­gel­rüge oder anderen Aufräu­mar­beit­en. Aber das ist nur die Art, wie man sich die Zeit beim Warten vertreibt. Kein Schrift­stück verän­dert das Leben wie eine Geburt­sanzeige.

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Artikel online veröffentlicht: 14. Juni 2013 – aktualisiert am 17. März 2019