Verwirrung im Netz

Von Philipp Koller – Selb­stver­ständlich machen soziale Net­zw­erke wie Face­book und Twit­ter auch vor der Kun­st nicht halt. Leit­fä­den, Work­shops und Fach­lit­er­atur zeu­gen von einem umtriebi­gen Zweig der Kom­mu­nika­tions- und Mar­ket­ing­branche, wie auch zweifel­los von einem Ori­en­tierungs­bedürf­nis unter Kun­st- und Kul­turschaf­fend­en. Einige Vorteile ein­er aufmerk­sam gepflegten Social-Media-Präsenz liegen denn auf der Hand. Für Kun­st­museen wie auch für Gale­rien kann ein anre­gen­der und inspiri­eren­der Auftritt eine steigende Anzahl Nutzer zu einem Ausstel­lungs­be­such motivieren. Wohlbe­dachte und regelmäs­sige Posts stellen Ver­bun­den­heit mit Besuch­ern und Samm­lern her, und im Ide­al­fall lässt es sich gar mit ihnen in einen Dia­log treten. Dem ent­ge­gen ste­hen Fra­gen nach dem zeitlichen und finanziellen Aufwand, nach dem Sinn, dem gewün­scht­en realen Besuch einen flüchti­gen virtuellen Ein­druck voranzustellen und schliesslich auch nach der Schnel­llebigkeit dieser neuen Tech­nolo­gien.

Dass Museen und Gale­rien Inter­esse an guten Mar­ket­ingstrate­gien und Ver­net­zung haben, ist nahe­liegend. Wie aber ver­tra­gen sich Worte wie «regelmäs­sige Pflege», «wohlbe­dachte Posts» oder «kon­trol­lierte The­menredak­tion» mit Tätigkeit und Naturell eines Kün­stlers. Ist heute auch von hochkreativ­en Men­schen ein Mass an diszi­plin­iertem Social-Media-Man­age­ment gefordert? Für einige Super­stars der Szene sind die neuen Medi­en längst ein selb­st­drehen­des Räd­chen im bere­its auf Hoch­touren laufend­en Mar­ketingap­pa­rat. Auf der Home­page von Jeff Koons ist jedes Bild mit mehren Social-Media-Kanälen ver­linkt. Und wer erwartet, über E‑Mail oder Anfrage-For­mu­lar mit dem Kün­stler in Kon­takt zu treten, hat sich nach Klick auf den Kon­takt-But­ton mit Twit­ter auseinan­derzuset­zen. Dort geben regelmäs­sige Tweets und Fotos rund 17’000 Fol­low­ern regelmäs­sig Auskun­ft über Koons und seine Aktiv­itäten. Sym­pa­thisch, per­sön­lich, aber nicht zu intim – schein­bar tat­säch­lich eigen­händig gepostet. Lehrbuch­mäs­sig. Auch Ger­hard Richter ist auf allen Kanälen vertreten. Auf Twit­ter fol­gen ihm

22’000 Nutzer, auf Face­book 56’000. Im Gegen­satz zu Koons scheinen die Ein­träge hier allerd­ings kon­trol­liert­er und lassen auf ein externes Man­age­ment schliessen. Bei Cindy Sher­man stösst man wed­er auf eine eigene offizielle Home­page noch auf ein eigenes offizielles Social-Media-Pro­fil. Anstatt solch­es selb­st zu unter­hal­ten, legt sie ihren virtuellen Auftritt ganz in die Hand ihrer Com­mu­ni­ty, welche, wie für Koons und Richter auch, auf Face­book fleis­sig Fan­seit­en ein­richt­en. Damit ist Sher­man dem ursprünglichen Gedanken der sozialen Net­zw­erke – keine Kon­trolle, son­dern Selb­streg­ulierung durch die Com­mu­ni­ty – am näch­sten. Aber auch ganz auf Face­book und Twit­ter verzicht­en kann man auf diesem Niveau. Thomas Schütte braucht die Plat­tfor­men nicht. Und Jonathan Meese ist eben­falls nicht mit Kün­stler­pro­fil vertreten.

Doch bei Meese lohnt sich ein zweit­er Blick, denn tat­säch­lich tra­gen auf­fäl­lig viele Pro­file diesen Namen. Ins Auge sticht beispiel­sweise die unvorteil­haft fotografierte Mittvierzigerin aus Braun­schweig. Sie mag die Musik der Rap­perin Lil’Mama und teilt unter anderem fol­gende Inter­essen: «Ein Aut­o­fahrer wurde geblendet, von Deinem Gesicht» oder «70 Dinge, die man beim Sex keines­falls sagen darf und 16 weit­ere». Wohlge­merkt han­delt es sich bei diesen Inter­esse­nangaben um Links zu weit­eren regelmäs­sig unter­hal­te­nen Face­book-Seit­en. Unter dem Such­be­griff «Jonathan Meese Face­book» find­et man fern­er einen Bestat­ter, der für Werder Bre­men fant, ein Death-Met­al-Fan mit Flair für Fried­höfe und über zehn weit­ere skur­rile Pro­file.

Die Meese-Pro­file und der dahin­ter­ste­hende Aufwand amüsieren, erstaunen, schock­ieren und brüskieren. Man sucht nach Inter­pre­ta­tio­nen: Führt uns Meese hier eben die Sinnlosigkeit ein­er Infor­ma­tion­skul­tur vor Augen, in der selb­st ein Rülpsen seinen Applaus find­et? Spielt er mit unserem Voyeuris­mus? Lehnt sich der Anar­chist hier gegen jegliche Uni­formierung der Kun­st auf? Spin­nt er ein­fach? Let­ztlich lösen die Pro­file also eine Vielfalt von Reak­tio­nen und Fra­gen auf, welche nur Kun­st ohne Rück­sicht auf Empfind­lichkeit­en her­vor­rufen kann. Wäre dies denn nicht auch die Alter­na­tive zu einem markt- ori­en­tierten Gebrauch der sozialen Net­zw­erke in der Kun­st? Sie näm­lich als weit­ere kreative Ebene des Kun­stschaf­fens zu ver­wen­den?


 

Pub­liziert: ensuite Nr. 140,  August 2014

Artikel online veröffentlicht: 1. August 2014 – aktualisiert am 12. März 2024