Das grosse Gentheater

Ein­siedeln ist nicht der Nabel der Schweiz oder gar der Welt. Doch ein­mal, alle sechs bis sieben Jahre, strö­men The­ater­lieb­haber und Schulk­lassen aus der ganzen Deutschschweiz in den kleinen Wall­fahrt­sort. Dann näm­lich wird auf dem Kloster­platz The­ater gespielt, und zwar nicht irgen­deines, son­dern seit 1924 das „grosse Weltthe­ater“ des spanis­chen Autors Pedro Calderón de la Bar­ca. Über 66.000 Besuch­er haben sich 2007 die let­zte Aus­gabe des Ein­siedler Weltthe­aters angeschaut. Dieses Jahr sind über vierzig Vorstel­lun­gen ange­set­zt. Zur Pre­miere ist Promi­nenz aus Poli­tik und Wirtschaft angereist, selb­st eine Bun­desrätin gibt Ein­siedeln die Ehre. Einzig das Wet­ter will nicht mit­spie­len. Es reg­net während der gesamten Vor­führung, so dass selb­st die Nation­al- und Stän­deräte dankbar die offerierten Regen­pan­chos über ihre Anzüge über­streifen.

Der Men­sch als Schöpfer

Während der Regen stärk­er wird, aber der Pon­cho hält, geht es los. Der Kloster­platz ist vom Team des Regis­seurs Beat Fäh in eine grosse Baustelle ver­wan­delt wor­den. Zwei Kräne ragen aus dem Boden und auch Beton­mis­ch­er, Dix­ie-Toi­let­ten und Absper­rband fehlen nicht. Autor Tim Krohn hat Calderons Vor­lage des Weltthe­aters ins Heute adap­tiert, genauer in das Zeital­ter der Gen­ma­nip­u­la­tion. Nach­dem die wie beim Orig­i­nal stereo­typen Fig­uren (Der Bet­tler, Der Bauer, Der Reiche etc.) vorgestellt wer­den, erfahren wir, warum hier eine Baustelle ste­ht. Neue Tech­nolo­gien erlauben es näm­lich, bessere Men­schen zu schaf­fen, Erbkrankheit­en zu beseit­i­gen, und sie ver­sprechen ewige Jugend. Auch in Krohns Fas­sung suchen die Men­schen nach einem besseren Leben. Der Reiche will seinen dro­hen­den Alzheimer besiegen, eine Sport­lerin ihre Leis­tun­gen verbessern oder ein Pärchen ein gesun­des und schönes Kind bekom­men. Doch wir wären nicht in Ein­siedeln, wenn nicht auch ein Pater mah­nend den Zeigefin­ger erhöbe, als der Men­sch begin­nt Schöpfer zu spie­len.

Risse auf der Kloster­fas­sade

Über drei­hun­dert Laien­darsteller wirken dieses Jahr auf der riesi­gen Bühne des Kloster­platzes mit. Und da die Vor­lage von Tim Krohn eher etwas ernst und düster daher kommt, wird es den Darstellern nicht ein­fach gemacht, die Zuschauer in ihren Bann zu ziehen, erschw­ert auch dadurch, dass die wenig­sten der stereo­typen Rollen sich im Laufe des Abends weit­er­en­twick­eln. Auch das Tem­po der Insze­nierung ist eher langsam und man wün­scht sich manch­mal dann doch etwas mehr Dynamik. Dies indes tut der Unter­hal­tung keinen Abbruch, wird doch vor der beein­druck­enden Fas­sade des Klosters viel geboten. Die Musik beispiel­sweise, die von Carl Lud­wig Hüb­sch eigens für den Anlass kom­poniert wurde, unter­stre­icht die Szenen immer wieder stim­mungsvoll und teils mit aus­ge­fal­l­enen Instru­menten. Und auch die Licht­show, welche kurz vor Ende des Abends Risse auf die Kloster­fas­sade pro­jiziert und später das grosse Finale begleit­et, beein­druckt und erzeugt dann doch ein Gefühl von Bedro­hung sowie bib­lis­che Unter­gangsstim­mung.

Regis­seur Beat Fäh betonte in einem Inter­view mit dem Schweiz­er Fernse­hen, dass er nie auf das Pro­jekt eingestiegen wäre, wenn er Aufla­gen des Klosters gehabt hätte. Trotz­dem bleibt auch nach Besuch des Weltthe­aters das Kloster im Dorf, und die Posi­tio­nen des Stücks stim­men let­ztlich doch mit jenen der katholis­chen Kirche übere­in. Das kann man kri­tisieren. Es ist aber eigentlich nur kon­se­quent, denn so kann der Zuschauer auf dem Heimweg vom Wall­fahrt­sort zum Stück Posi­tion beziehen und darüber nach­denken, wie er es so mit seinen Genen hat.

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Artikel online veröffentlicht: 23. Juni 2013 – aktualisiert am 17. März 2019