Die Deutschen aus dem Wald

Es ist ein Film nicht über das Land, son­dern das Volk der Deutschen. Ein Volk, das keines sein möchte.

Aus dem fin­steren Wald sind sie einst gekom­men. Städte haben sie gebaut und vor allem Strassen. Auto­bah­nen sog­ar. Men­schen haben sie ver­gast und sind doch so ordentlich, gebildet und ein biss­chen ver­let­zlich. Jeden­falls wenn man ihnen zu nahe kommt. Sie haben ein Prob­lem mit der Welt. Vor allem mit den anderen Deutschen. Und ganz beson­ders mit sich selb­st.

Ein selt­sames Volk, meint man, wenn man Frauke Fin­ster­walders Fin­ster­world gese­hen hat. Voller selt­samer Gestal­ten ist der Film: eine Doku­men­tarfilmerin zum Beispiel, die ein­fühlsame Por­traits machen will, aber unfähig ist, mit anderen in Dia­log zu treten. Ein Spezial­ist für Pediküren zum Beispiel, der die Horn­haut sein­er Kundin sam­melt. Oder der Ein­siedler, der eine ver­let­zte Krähe bei sich aufn­immt.

Es sind stil­isierte Fig­uren, eige­nar­tig und meist ein­sam, die dieses obskure Land bevölk­ern. Ein Land, mit dem sich kein­er iden­ti­fiziert, und wenn, dann nur klammheim­lich und in Selb­stver­ach­tung. Ein Land, das die Men­schen zu prä­gen scheint. Ist es die grausame Geschichte, die sie verbindet? War es der teu­tonisch-dun­kle Wald? Oder war es doch die Auto­bahn?

Tragikomisch kom­men sie daher, die Deutschen. Mal tod­trau­rig, mal albern oder lächer­lich. Immer aber selt­sam. Iro­nisch und klar ist das Bild des Staates, das Drehbuch­schreiber Chris­t­ian Kracht uns malt. Iro­nisch, aber spöt­tisch.

Wer die Deutschen ver­ste­hen will, sollte Fin­ster­world gese­hen haben. Aber vielle­icht muss man auch genug Deutsche ken­nen, um Fin­ster­world zu ver­ste­hen. Denn eine Geschichte hat der Film nicht. Er hat viele Geschicht­en. Und sie zeigen uns den Charak­ter eines Volkes. Eines Volkes, das aus dem fin­steren Wald kam und kein Volk mehr sein möchte.

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Artikel online veröffentlicht: 8. Oktober 2013 – aktualisiert am 17. März 2019