Die Kunst der Freiheit

«Die Frei­heit der Kun­st ist gewährleis­tet», besagt Artikel 21 der Schweiz­erischen Bun­desver­fas­sung. Die Poli­tik soll die Frei­heit der Kun­st nicht ein­schränken. Was im heuti­gen Europa selb­stver­ständlich ist, gilt in manchen Teilen der Welt noch nicht. Auch in der Ver­gan­gen­heit find­en sich viele Kün­stler, die auf­grund der poli­tis­chen Ver­hält­nisse ihrer Zeit dafür kämpfen mussten, unab­hängig zu sein. Ofi­ra Henigs «Geh mir aus der Sonne» nimmt sich diesem The­menge­bi­et an. Als israelis­che The­ater­ma­cherin ist die Frage nach der Frei­heit der Kun­st und der Vere­in­nah­mung durch die Poli­tik in ihren Arbeit­en äusserst rel­e­vant. Passend zur The­matik liess Henig das Pro­jekt nur von europäis­chen Insti­tu­tio­nen unter­stützen und verzichtete auf jegliche israelis­chen Fördergelder.

Mit Hein­rich Heine und Fed­eri­co Gar­cia Lor­ca an einem Tisch

Auf ein­er kar­gen schwarzen Bühne, die an einen leeren Prober­aum erin­nert, spielt eine Schaus­pielerin Henig. Sie erzählt von biografis­chen Erleb­nis­sen und der The­at­er­ar­beit in Zeit­en von Unsicher­heit und Krieg. Unter­stützt wird sie von den Dichtern Hein­rich Heine und Fed­eri­co Gar­cia Lor­ca, die von ihren eige­nen Schwierigkeit­en bericht­en, frei Kun­st auszuüben. Der Abend hat eine grosse Ruhe und Konzen­tra­tion. Die Schaus­piel­er sprechen vor­wiegend Monologe, die col­lagear­tig zusam­mengeschnit­ten wur­den. Zwar ver­suchen die Fig­uren, sich gegen­seit­ig wahr zu nehmen und zumin­d­est kör­per­lich aufeinan­der zu reagieren, trotz­dem entste­ht so wenig Rei­bung. Henig ver­traut alleine auf die Kraft der Erzäh­lung und lässt prak­tisch jegliche szenis­che Inter­ak­tion weg. Das funk­tion­iert wun­der­bar, wenn die Geschicht­en von Heine und Lor­ca eine eigene Span­nung erzeu­gen, wenn Heine über die Anforderun­gen der Gesellschaft an seine Texte erzählt oder Lor­ca über die Momente kurz vor sein­er Exeku­tion, doch gibt es auch Pas­sagen, die weniger span­nend sind und daher den Abend manch­mal etwas vor sich hin plätsch­ern lassen.

Riefen­stahl kommt hinzu

Lor­ca und Heine scheinen dann aber doch nicht genü­gend Mate­r­i­al zu liefern. Nach­dem bei­de Fig­uren ihren Tod beschreiben, nehmen sie an der Seite der Bühne Platz und fol­gen bei einem Glas Wein den weit­eren Diskus­sio­nen neuer Fig­uren. Nun kommt der grosse Auftritt von Leni Riefen­stahl. In ein­er inter­viewarti­gen Szene erzählt sie, wieviel Frei­heit ihr vom Naziregime (nicht) gewährleis­tet wurde, um den Reichsparteitag in Nürn­berg zu doku­men­tieren. So beschreibt Riefen­stahl in grösster Dra­matik vor allem ihre Tre­f­fen mit Hitler. Auf die Frage nach ein­er faschis­tis­chen Ästhetik reagiert sie auswe­ichend. Es ist beein­druck­end, wie es die palästi­nen­sis­che Schaus­pielerin Sal­wa Nakra schafft, in ihrer Spiel­weise Dis­tanz zur Fig­ur zu erzeu­gen. In jedem Moment ist der Ekel vor der eige­nen Fig­ur spür­bar. Als schliesslich alle Fig­uren – bis auf Henig – sam­baar­tig tanzend und mit blonden Riefen­stahl-Perück­en den Raum ver­lassen, scheint dies ein passender Schlusspunkt des Abends zu sein, doch das his­torische Per­son­al ist noch nicht aus­geschöpft…

Capa … und Yus­suf

Als näch­ste Fig­ur fol­gt Robert Capa. Er erzählt von sein­er Arbeit als Kriegsre­porter im zweit­en Weltkrieg. Sein Kon­flikt bestand darin, zwis­chen den Fron­ten zu ste­hen. So ist er als Reporter wed­er Sol­dat noch Zivilist, wed­er Kün­stler noch Sol­dat und kehrt als Exileu­ropäer mit den Alli­ierten Trup­pen nach Europa zurück, um Ein­drücke aus dem Krieg zu sam­meln. Als let­zte Fig­ur, und neben der Fig­ur der Regis­seurin die einzige noch lebende, erscheint Yus­suf. Er ist palästi­nen­sis­ch­er Schaus­piel­er und erzählt, wie es in Cannes beina­he zu einem Eklat kam, als er den israelis­chen Regis­seur eines Filmes, in welchem er mitwirk­te, nicht umar­men wollte. Was von aussen aus­sah wie ein poli­tis­ches State­ment, war in Wirk­lichkeit sein­er schlecht sitzen­den Hose geschuldet, die im Blit­zlicht­ge­wit­ter der Kam­eras run­tergerutscht wäre, hätte er den gross­gewach­se­nen Israeli umarmt. Das ist zwar eine lustige Geschichte, aber Yus­suf passt so gar nicht in die Rei­he der anderen Fig­uren.

Der Abend ist ein Auf und Ab. So sehr das Stück immer wieder fes­selt, so sehr zieht es sich auch in die Länge. Die reine Konzen­tra­tion auf die Erzäh­lung und wenig Aktion auf der Bühne machen das The­ma noch verkopfter, als es so schon ist. Mehr szenis­che Kon­flik­te, mehr Dra­ma, beispiel­sweise aus der Fed­er der his­torischen Fig­uren, hätte dem Stück gut getan. Ist die Frei­heit der Kun­st gewährleis­tet? Ofi­ra Henig und ihr Per­son­al an his­torischen Fig­uren geben darauf eine eher neg­a­tive Antwort.

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Artikel online veröffentlicht: 20. August 2013 – aktualisiert am 17. März 2019