Kampf zwischen ungleichen Gegnern

Wie auf ein­er Mod­e­schau flankiert das Pub­likum auf der Bühne A der Gess­ner­allee den Cat­walk, wo an diesem Abend Schaus­piel und Tanz, also Text und Bewe­gung gegeneinan­der antreten sollen. Wer sich auf einen Sieger gefreut hat, wird ent­täuscht. Es sind zwei ungle­iche Geg­n­er, die da aufeinan­der tre­f­fen. Schaus­pielerin Rahel Stern­berg star­rt schon vor Spiel­be­ginn so angriff­s­lustig ins Pub­likum, dass es kaum jemand aushält, ihrem Blick standzuhal­ten. Schon gar nicht der Tänz­er Frédéric De Car­lo, der keine rechte Lust oder den Mut zu haben scheint, sich auf diesen Kampf einzu­lassen. Vielle­icht hat es mit sein­er Geg­ner­in zu tun, die von einem Hund auf dem Kopf begleit­et wird, vielle­icht ist er auch nicht so wütend wie sie. Schnell wird klar, wieso Wet­tkämpfer nur in ihren eige­nen Kat­e­gorien antreten. Die Aus­gangslage hier scheint irgend­wie ungerecht.

Sei geil, sei gierig, sei gut

Genau das hat San­dra Knecht wohl daran gereizt. Die Mas­ter­ab­sol­ventin der ZHdK Fine Arts führte Regie und entwick­elte das Konzept sowie Chore­ografien. Sie stellte sich in ihrer Abschlus­sar­beit die Frage, wie viel in der Kun­st geplant wer­den kann und was dem Zufall über­lassen wer­den muss. Sie nimmt ihr Pub­likum in der näch­sten Stunde mit auf eine fieber­trau­mar­tige Reise, auf der Hunde ver­rückt spie­len, Lust und Macht durcheinan­der­wirbeln und das Rad des Lebens sich doch ständig wei­t­er­dreht.

Der Tänz­er lässt sich schliesslich auf den Bat­tle ein, windet sich, als wäre sein Kör­p­er eine Waffe, zuckt mal robot­er­haft, mal lustverz­er­rt vor­wärts und ringt mit der Musik. Doch die Schaus­pielerin hat den Loop-Sam­pler im Griff. Sie lässt die Beats immer schneller wer­den, lässt sie über­schla­gen, treibt den Kör­p­er des Tänz­ers in den Wahnsinn. Und geniesst es. Rahel Stern­bergs Sex Appeal gewin­nt. Wir beobacht­en das Rad des Lebens, den Kampf um Sieg oder Nieder­lage, um Erfolg oder Mis­ser­folg. Es läuft, es läuft das Rad. Es läuft, wenn wir haben, falls wir alles haben. «Sei geil, sei gierig, sei gut», ruft Rahel Stern­berg wie eine Mark­tschreierin an der Kirmes. Im Gegen­satz zum Tänz­er hat sie auch noch die ver­bale Sprache, mit der sie sich aus­drück­en kann. Zu «Black Hole Sun» von Soundgar­den tänzeln sie umeinan­der herum: «Black hole sun, won’t you come?
And wash away the rain.» – Vielle­icht der Wun­sch, das Ham­ster­rad des Lebens anzuhal­ten? «Ich bin hier das schön­ste Tier», weiss die Schaus­pielerin oder vielle­icht flüstert es der Hund in ihr. «I will be the king and you, you will be queen. We can be heroes», zitiert der Tänz­er David Bowie, bevor er zugeben muss: «You, you, will be the king.» Es ist nicht uniro­nisch, dieses Stück – wie wir tragis­chkomis­chen Helden unseres eige­nen Lebens.

Kampf mit ungle­ichen Waf­fen

Bevor sie über­haupt richtig gestrit­ten haben, schliessen die zwei Frieden. Sie find­en sich in einem Tanz. Man hätte sich mehr Inter­ak­tion gewün­scht. Man hätte sich gle­ich­w­er­tigere Geg­n­er gewün­scht. Doch auf dieser Bühne ist es wie im Leben: Wir sind mit ungle­ichen Waf­fen aus­gerüstet. Klar ist, dass es sich immer weit­er dreht, das Rad des Lebens, wie ein Karus­sell. Und dass irgend­wo oben der Affe sitzt, der es am Laufen hält. Auch San­dra Knecht sass oben und hat­te dieses Spiel im Griff. Man hätte bei der Frage nach dem Zufall in der Kun­st mehr Impro­vi­sa­tion von den Spiel­ern erwartet. Das Spiel schien jeden­falls durch­chore­ografiert. Rahel Stern­berg überzeugte mit ihrem starken Aus­druck, wohinge­gen der Charak­ter der Fig­ur des Tänz­ers etwas unscharf blieb. Der Text von Kristin T. Schnider war durch klin­gende Allit­er­a­tio­nen und starke Parolen geprägt.

Trotz unmöglichem Zweikampf ist «Oben sitzt ein Affe» ein sehr schönes Beispiel dafür, wie viel Sex ganz ohne Nack­theit, wie viel Emo­tion mit sehr wenig Text und wie Sinnsuche sehr komisch ver­mit­telt wer­den kann.

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Artikel online veröffentlicht: 20. Oktober 2013 – aktualisiert am 17. März 2019