Die philosophische Puppe mit britischem Humor

Moses ist eine reflek­tierte Puppe. „I am not alive“, stellt er schon zu Beginn klar. Dann stellt er dem Pub­likum seine Pup­pen­spiel­er vor. Drei Per­so­n­en bedi­enen die cir­ca einen hal­ben Meter grosse Fig­ur, deren Kopf aus Kar­ton und deren Kör­p­er aus Stoff beste­ht. Ein Spiel­er spricht und bedi­ent den Kopf und den linken Arm, eine die bei­den Beine und schliesslich steuert jemand den recht­en Arm und hält den Hin­tern fest. «Lady, would you like to hold my bum?» fragt Moses ins Pub­likum und wack­elt lasziv mit dem Stoffhin­tern. Nein, wir sind hier defin­i­tiv nicht im Kasper­le-The­ater!

Das in Lon­don behei­matete «Blind Sum­mit The­atre» beze­ich­net sich selb­st ganz unbeschei­den als Pup­pen­spiel-Inno­va­tor. Während die alte Kun­st­form The­ater durch die neuen Medi­en zunehmend bedro­ht werde, sei das Pup­pen­spiel ein ein­ma­liges Live-Erleb­nis für das Pub­likum. Der Erfolg gibt den Briten Recht. Alleine mit «The Table» touren sie seit 2012 durch die europäis­chen Fes­ti­vals.

«Blod­dy Table»

Von niedlich hat Moses genug. Er sieht sich als ern­sthaften Kün­stler und will nicht mehr an Kinderge­burt­sta­gen und Märchen die Attrak­tion sein. Über den Auf­trag ein­er jüdis­chen Gesellschaft, die let­zten Stun­den des bib­lis­chen Moses vorzu­tra­gen, freut er sich enorm. Schon seit 40 Jahren ste­ht er auf diesem «blod­dy» Holztisch, sein­er Bühne, zu dem er ein sehr ges­paltenes Ver­hält­nis hat. Moses misst mit Schrit­ten die Grösse des Tis­ches aus und zeigt dem Pub­likum seinen Lieblingsplatz. Es ist beein­druck­end wie die drei Spiel­er die kleine Puppe über den Tisch wirbeln lassen und wie aus Kar­ton und Stoff eine Per­sön­lichkeit entste­ht.

Moses gibt dem Pub­likum dann auch gle­ich per­sön­lich eine Ein­führung in die Grun­dregeln der Pup­penkun­st. Wichtig sei beispiel­sweise, dass die Fig­ur regelmäs­sig atme, um möglichst lebensecht zu wirken. Ausser­dem soll­ten die Spiel­er den Fokus immer auf der Puppe haben, denn wo diese hin­schaut­en, schaue auch der Zuschauer hin. Die let­zte Grun­dregel bet­rifft die soge­nan­nten «fix points» und besagt ganz ein­fach, dass die Bewe­gun­gen der Puppe nicht physikalisch unmöglich sein soll­ten. Die Ein­führung macht Lust, selb­st ein­mal Hand an eine Puppe zu leg­en.

Das «Dead-arm-prob­lem»

Moses Auftritt fol­gt ein­er fix­en Geschichte, lässt den Spiel­ern aber immer wieder die Möglichkeit zu impro­visieren. Ein­er der drei Spiel­er fällt plöt­zlich aus, da er anscheinend ein tech­nis­ches Prob­lem beheben muss. Das gibt Moses Zeit, das «Dead-arm-prob­lem» zu erläutern. Er schwingt seinen recht­en Arm unko­or­diniert rum und stellt fest, dass dieses Prob­lem meist auf­grund schlechter Finanzierung auftrete, aber eben auch in solchen Sit­u­a­tio­nen. Moses hil­ft sich nun selb­st. Die Dame im Pub­likum, mit welch­er er schon zu Beginn der Vorstel­lung flirtete, soll nun tat­säch­lich Hand an seinen Hin­tern und recht­en Arm leg­en. Moses zeigt sich nun von sein­er besten Seite, während der Dame die Über­forderung anzuse­hen ist, gle­ichzeit­ig die Puppe zu steuern und deren Sprüche zu erwidern. In einem hek­tis­chen Moment reisst sie Moses eine Hand aus und ver­lässt geschockt und amüsiert zugle­ich die Bühne, um sich wieder in den Zuschauer­raum zu set­zen. Die Puppe nimmt es gelassen, hat sie doch schon zu Beginn des Stück­es fest­gestellt, dass sie aus erset­zbaren Kom­po­nen­ten beste­he. Nun ver­sucht der mit­tler­weile auf die Bühne zurück­gekehrte dritte Spiel­er die Hand wieder an der Puppe zu befes­ti­gen, doch diese ist dann doch nicht so «cool», wie sie bish­er behauptet hat­te und wehrt sich mit noch beste­hen­den Hän­den und Füssen. Dass dieser Teil der Vorstel­lung impro­visiert ist, merkt man nicht zulet­zt daran, dass die Spie­len­den selb­st Mühe haben, das Lachen über die Sit­u­a­tion zu unter­drück­en. In solchen Momenten freuen sich sowohl die Spie­len­den wie auch die Zuschauen­den über die Illu­sion, die mit den ein­fach­sten Mit­teln erzeugt wird.

Auch Erwach­sene scheinen das Staunen nicht ver­lernt zu haben, das ihnen vielle­icht ger­ade in der Kind­heit auch Pup­pen beschert haben. Das «Blind Sum­mit The­atre» spielt mit dieser Erin­nerung, um sie immer wieder genüsslich zu durch­brechen. Wenn Moses kurz vor Ende fest­stellt «I am just a pup­pet. What the hell do I know?», stellt die Truppe des «Blind Sum­mit The­atres» die grosse philosophis­che Frage in den Raum, welche Pup­pen­spiel­er eigentlich unsere eige­nen Kör­p­er steuern.

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Artikel online veröffentlicht: 2. September 2013 – aktualisiert am 17. März 2019