Von Sonja Wenger — Ein falscher Tritt im schwerfälligen Schutzanzug, eine fatale Entscheidung zwischen verschiedenen Zündern, ein schlechter Tag des Schicksals: Kaum jemand ist dem Tod, und deshalb auch dem Leben, so nahe wie die Männer und Frauen von Bombenentschärfungskommandos.
Besonders der Munitionsräumdienst (EOD) der US-Armee im Irak ist täglich mit den schmutzigsten Waffen und Methoden konfrontiert, die ein ungleicher Krieg hervorbringt. Seien es Granaten, die unter einem Stapel Müll verborgen oder vor einer Moschee vergraben sind. Sei es ein Kofferraum voller Sprengstoff mit gigantischem Zerstörungspotenzial, hinterhältig verkabelte Sprengkörper oder menschliche Bomben: Der tägliche Wahnsinn, der sich Krieg nennt, reduziert sich so auf einen Handgriff nach dem anderen, nur selten wird ein Gedanke über die Grausamkeit oder die Motivation der Täter verschwendet.
Die Mitglieder des EOD melden sich freiwillig für ihre gefährliche Arbeit und verrichten sie oft mit grosser Begeisterung, sagt die US-Regisseurin Kathryn Bigelow fasziniert. Als sie vom Drehbuchautor Mark Boal, der 2004 als «eingebetteter» Journalist mit einem Kommando der EOD in der irakischen Hauptstadt Bagdad unterwegs war, dessen Geschichten hörte, hatte sie das Thema ihres nächsten Films, «The Hurt Locker», gefunden. Bigelow, die spezialisiert ist auf verstörend gute Actionfilme mit kritischen Untertönen wie «Point Break» oder «Strange Days», zeigt mit «The Hurt Locker» einmal mehr, dass Action auch anders geht: mit Verstand, mit Sensibilität, mit Ruhe.
Das kleine Team der EOD-Einheit Bravo von Sergeant JT Sandborn (Anthony Mackie) und Specialist Owen Eldridge (Brian Geraghty) hat noch 38 Tage vor sich, bis es abgelöst wird. Doch gerade bei einem überschaubaren Routine-Einsatz stirbt ihr Vorgesetzter. Sandborn und Eldridge fühlen sich beide verantwortlich für seinen Tod. Das Erlebnis scheint ihre letzten Kraftreserven in diesem nervenaufreibenden Job verbraucht zu haben, doch für Trauer ist wenig Raum. Dass ihr neuer Vorgesetzter Sergeant William James (Jeremy Renner) auf den ersten Blick wie ein rücksichtsloser Draufgänger und Eigenbrötler erscheint, erleichtert ihnen die Sache nicht. In einem Metier, das keine Fehler verzeiht und in dem Teamarbeit über Leben und Tod entscheiden kann, stossen James Eigenarten auf Unverständnis und Widerstand. Doch bald stellt sich heraus, dass James weder lebensmüde noch rücksichtslos ist, sondern einfach nur seine Bestimmung im Leben gefunden hat.
Die Wucht, mit der einem «The Hurt Locker» packt, schüttelt und sich ins visuelle Gedächtnis brennt, rührt zu einem grossen Teil von der Authentizität der Bildsprache her, die die Geschichte ohne Aufregung und Knalleffekte erzählt. Dokumentarisch aufgemacht, erspart die Regisseurin dem Publikum zudem leeren Pathos und markige Sprüche um ihrer selbst willen. Mehr Porträt der beteiligten Personen als Drama der Umstände hält die Geschichte von «The Hurt Locker» auch harscher Kriegskritik stand. Weder spart sie heikle Themen aus wie die Exekutionen von Gefangenen durch US-Soldaten oder die Präsenz von geldgierigen Söldnern im Irak, noch betreibt sie Schwarz-Weiss-Malerei. Und als ob dies nicht ungewöhnlich genug wäre, beziehen Bigelow und Boal auch keine klare politische Stellung. Vielmehr erhält das Publikum in bester journalistischer Manier Informationen – und kann selber entscheiden.
Die Charaktere sind dann auch keine ballernden Haudegen, sondern Soldaten, die sehr wohl wissen, welche Folgen ihre Handlungen haben. Dabei gilt es besonders, die aussergewöhnliche Leistung von Renner hervorzuheben, der Sergeant James mit einer solch furchtlosen Einfachheit verkörpert, dass man vergisst, einem Schauspieler bei der Arbeit zuzusehen. Inmitten des schieren Wahnsinns sieht seine Rolle die tägliche Bedrohung als Routine, bestenfalls als sportliche Herausforderung. Die wahre Absurdität im Leben eines Soldaten kann sich nämlich auch anders zeigen.
Zwar ist der Film weit davon entfernt, die Gräuel des Krieges zu zeigen, unter denen die irakische Bevölkerung leidet, dennoch trägt «The Hurt Locker» durchaus Elemente eines Antikriegsfilms in sich: Der von Pathos, Wunschdenken oder Vorurteilen befreite Blick auf den Krieg schärft immer die Erkenntnis, fördert die politische Bildung und unterstützt das eigenständige Denken.
In dieser Hinsicht hält die Regisseurin mit «The Hurt Locker» genau wie in ihren früheren Filmen der Gesellschaft einen Spiegel vor, der ein unangenehmes Bild der Wahrheit zeigt — und gleichzeitig Hoffnung weckt, da es auch in dieser Geschichte mehr um Wahrheit und Selbstverantwortung geht, denn um schöne Worte darüber. Im selben Mass, wie Bigelow eine Ausnahme in der von Männern dominierten Regiewelt der Actionfilme darstellt, ist auch «The Hurt Locker» eine wohltuende ehrliche Ausnahme im Einheitsbrei der US-amerikanischen Kriegsfilme.
Foto: zVg.
ensuite, August 2009