Von Lukas Vogelsang — David Bosshart, Leiter des Gottlieb-Duttweiler-Instituts, hat mir aus einem hoffnungsvollen Herz gesprochen, als er in einem Interview am Weihnachtstag vom Ende des «Bullshit» sprach. «Wir alle quatschen und quasseln, dröhnen und stöhnen, jaulen und kraulen immer mehr, modern gesagt: Wir kommunizieren und informieren uns immer mehr. Auf immer mehr Kanälen. Das ist völlig okay. Aber nicht okay ist, dass uns gleichgültig ist, ob gelogen und betrogen wird.» Eine gesunde Einstellung für das Jahr 2010.
Was jetzt folgt, hat auch mit «Bullshit» zu tun und vielleicht eben gerade mit der von David Bosshart erwähnten Einstellung. Es geht um mein Editorial der Januar-Ausgabe im en-suite. In Zürich nennen sie den Kultursekretär ja nicht eben Sekretär, sondern Kulturchef – was eine ganz falsche Auslegung der Berufsfunktion darstellt. Der Kultursekretär in Zürich ist verantwortlich dafür, 142 Millionen Franken Steuergeld zu verwalten und entsprechend der politischen und konzeptuellen Vorgaben zu verteilen. Er trägt damit eine sehr hohe Verantwortung und ist Vorgesetzter eines ungefähr 40-köpfigen Teams – notabene ist es die grösste städtische Kulturabteilung in der ganzen Schweiz überhaupt.
Ich habe mit diesem Kultursekretär (ich bleibe bei der richtigen Bezeichnung) bis im Jahr 2009 genau eine stündige Sitzung abgehalten, die freundlich, dialogreich und informativ gelaufen ist. Deswegen bin ich extra nach Zürich gefahren. Es gab keinen zweiten Kontakt, bis ich auf Grund des letzten Editorials der Januarausgabe von ensuite dieses Mail erhielt (unverfremdet und exakt wiedergegeben, man beachte die Anrede):
From: Hoby Jean-Pierre
[mailto:Jeanpierre.Hoby@zuerich.ch]
Sent: Friday, January 08, 2010 5:30 PM
To: redaktion@ensuite.ch
Subject: WG: Editorial
Sehr geehrter Vogelsang Es ist natürlich sehr praktisch, wenn man über ein Medium verfügt, in welchem man persönliche Auseinandersetzungen führen kann. Da zeigt sich in der Tat, wer Macht hat, und sei es auch nur über einen beschränkten Kreis von Leserinnen und Lesern. Ich begnüge mich mit einem Mail an Sie.
Es ist auch praktisch, wenn man als Gesuchsteller in den Genuss von Informationen kommt, die einer Sache dienlich sind, die im Frühstadium aber nicht unbedingt an die Öffentlichkeit gehören, weil sie vertraulicher Natur sind. Fragwürdig ist hingegen, von diesen Informationen unbesehen und ohne Rückfragen Gebrauch zu machen. Dieses Vorgehen lässt zumindest Rückschlüsse auf Ihre Arbeitsweise zu. Praktisch ist Ihr Editorial schliesslich auch deshalb, weil es mir erspart, Ihnen länger ausführen zu müssen, weshalb ein Zürcher ensuite die Ziele, die wir verfolgen, nicht erreichen kann.
Damit haben Sie und ich gesagt, was wir von der Sache, aber auch voneinander halten. Aber seien Sie ruhig weiterhin wachsam, denn die Zürcher «Machtkultur» wird im April 2010 noch nicht zu Ende sein.
Mit freundlichen Grüssen Jean-Pierre Hoby
Ich veröffentliche dieses Mail, weil genau drei Tage später Jean-Pierre Hoby zu seiner Amtszeit im Tagesanzeiger (11. Januar 2010) in einem Interview von Denise Marquard auf die Frage «Was würden Sie als Ihre wichtigste Fähigkeit bezeichnen?» antwortete: «Mein diplomatisches Geschick.»
Es ist genau die Sorte «Bullshit», von dem David Bosshart eingangs spricht. Medien sollten beginnen, anstatt schlecht bezahlte PR-SprecherInnen für AmtsinhaberInnen zu spielen, die Tatsachen, welche hinter den Kulissen zugegen sind, ans Tageslicht zu bringen. In der Kultur und Wirtschaft, aber auch in politischen Kreisen, ist das für eine gesunde Demokratie unbedingt von Nöten.
Macht Kultur! – nicht Machtkultur! Da ist definitiv etwas missverstanden worden.
Cartoon: www.fauser.ch
ensuite, Februar 2010