Von Konrad Pauli — Der Mann ging am Meer entlang, kam an die Stelle, wo eine ältere Frau den leblosen Körper einer andern Frau aus dem Wasser zu ziehen versuchte. Sie hatte gesehen, wie ihre Schwester, Gesicht nach unten, im Wasser trieb – und aus eigener Kraft gelang es ihr nun nicht, die Ohnmächtige ans Trockene zu bringen. Der Mann half, erinnerte sich an einen weit zurückliegenden Erste-Hilfe-Kurs, zog die Frau, zum Entsetzen ihrer Schwester, an den Hüften hoch, damit das geschluckte Wasser den Weg nach aussen fände. Vorbeigehende bat der Mann um Beistand, hatte dabei freilich keinen Erfolg, hörte dafür den Hinweis, man wolle damit nichts zu tun haben. Die Halbertrunkene kehrte langsam ins Leben zurück. Inzwischen kamen die Leute vom Rettungsdienst. Er habe alles sehr gut gemacht, vernahm der Mann.
Am Abend kam die Frau ins Hotel, sagte dem Mann, ihre Schwester sei im Spital, den Umständen entsprechend gehe es ihr gut. Als Dank brachte sie eine Flasche Wein, dann verriet sie voller Erregung: «Denken Sie, die Ärztin hat das Badekleid meiner Schwester einfach so mit der Schere aufgeschnitten! Dabei hatten wir es eigens für diese Meerferien gekauft!»
In der Strassenbahn berichtet eine Frau einer Mitfahrenden (Freundin, Bekannte) irgendwelche Vorkommnisse. Die Zuhörerin spielt Reaktionen wie «nein, wirklich?», «das ist nicht wahr» – und man denkt, sie tue so, um den Eindruck von Aufmerksamkeit, Anteilnahme sicherzustellen – auf keinen Fall den der Gelassenheit, Gleichgültigkeit.
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ensuite, November 2010