Von Lukas Vogelsang — Erinnern wir uns an die Zeit, als man uns erklärte, dass mit dem Internet alles besser würde. Erinnern wir uns daran, wie wir fasziniert an den Bildschirmen klebten und stolz waren, wenn wir Bücher bestellen, ein Bild hochladen, ein «Like» setzen konnten. Ich erinnere mich vor allem an die Zeit, als ich anfing Zeitungen online zu lesen. Das alles ist jetzt erst etwa seit 10 Jahren richtig brauchbar geworden. Ich erinnere mich auch an die vielen Experimente von Webseiten, die mit galaktisch anmutenden Interfaces und skurrilen Ideen neue Inhalte vermitteln wollten.
Jetzt hat mich aber die Ernüchterung eingeholt. Und dies schon bevor der deutsche Internet-Experte Sascha Lobo sich Anfang Jahr dazu bekannte. Allerdings bezieht sich meine Kritik nicht auf die totale Kontrolle der NSA und die wirtschaftliche Blenderei. Meine Kritik sitzt ganz einfach in der Feststellung, dass wir bis heute nicht verstanden haben, wie mit diesem Medium umzugehen ist.
Nehmen wir als braves Beispiel Wikipedia. Als Nachschlagewerk ist dieses «Wunder der menschlichen Zusammenarbeit» grandios. Aber in der Ästhetik ist es ein Genickbruch. Wenn wir bedenken, dass wir in den letzten 20 Jahren nichts anderes gemacht haben als multimediale Inhalte auf einer Plattform zu vereinen, so ist Wikipedia – als eine der meistgenutzten Seiten – auf dem Stand von 1990. Aber es ist sicher tröstlich, dass Newsnetz, Blick, Blick am Abend, auch die NZZ, 20 Minuten, Journal‑B und wie sie alle heissen genau gleich rückständig daherkommen. Ich bin fair: Auch ensuite.ch ist nicht besser.
Keine dieser Webseiten kommt an das emotionale Gefühl heran, welches eine Zeitung vermitteln kann (haben sie mal die Artikeltitel der «Frankfurter Allgemeine» studiert? Meine Güte, das fährt ein!). Keine dieser Webseiten kommt an ein Buch heran, an die Assoziationen, welche der Umschlag auslöst, an das Glücksgefühl des taktilen Seitenkontaktes. Keine Webseite ersetzt, oder ist annähernd dem Feeling nahe, wie es nur eine Langspielplatte oder, gut gemeint, auch eine CD auslösen kann. Meine Plattensammlung modert ganz leicht…
Keine dieser Webseiten berührt emotional, weil sie nur durch Kästchen, Werbung und «oh-klick-mich»-Botschaften vollgepumpt sind, die einen funktionalen Zweck erfüllen: Kauf mich! Aber niemand baut Webseiten nach dem Konzept: Lies mich! Erfahre mich! Spür mich! Keine Webseite lädt wie ein Fotobuch ein, sich in den Lesesessel zu setzen und ein Bild eine halbe Stunde lang zu betrachten. Und die Tablets sind so klein, dass ich gleich das Briefmarkenalbum meines Nachbaren studieren könnte. Ist das nicht erbärmlich? Die digitale Welt ist nur dazu da, dass jemand anderes reich werden kann, und die KonsumentInnen süchtig gemacht. Das wars dann schon.
Bereits redet man vom «Web 3.0» – und meint damit einen vermeintlichen, technischen Fortschritt, der uns menschlich noch weiter zurück versetzen wird. Merken wir eigentlich, wie schrecklich langweilig wir «fortschrittlichen» Menschen geworden sind? Verstehen wir noch etwas von den Dingen, die sich um uns herum virtuell aufgetürmt haben und uns die Sicht zum Horizont versperren? Ich zweifle.
Damit Sie, liebe LeserInnen, das richtig verstehen: Ich habe vier Monitore auf meinem Schreibtisch und arbeite parallel auf mehreren Maschinen. Ich bin ein Computer-Freak seit 31 Jahren, und habe immer irgendwo einen Bildschirm. Ich liebe diese Geräte – für mich sind es Werkzeuge, und ich ärgere mich grün und blau, wenn ich mich mit alter Software oder mit bildschirmergonomischen Vergewaltigungen abrackern muss. Letztere haben sich in den letzten Jahren angehäuft.
Wir haben es mit den Kurzfutter-Medien geschafft, die LeserInnen in die Flucht zu schlagen. Wir schaffen es auch, die Bücher zu verbannen, die Tonträger, die Bilder, die Fotografie, und jegliche Ästhetik der menschlichen Existenz. Was bleibt uns danach?
Cartoon: www.fauser.ch
ensuite, Februar 2014