«Verhandle, gottverdammtes Arschloch!»

(Con­stan­tin Seibt) —

Vor drei Wochen ver­sprach ich, tage­buch­mäs­sig vom Som­mer-Boot­camp für inves­tiga­tiv­en Jour­nal­is­mus aus New York zu bloggen. Und dann wuchs sich der Kurs zur Arbeit aus. Ausser­dem war es so heiss, dass die Hunde auf dem Pflaster gebrat­en wur­den. Auss­er die glück­lichen, die Hitzesöckchen tru­gen.

Kurz, vor die Wahl gestellt zu leben oder zu schreiben, wählte ich aus­nahm­sweise Ersteres. Umso mehr, als ich die nur halb angenehme Auf­gabe hat­te, diesen Blog in ein Buch umzubauen. Also alles noch ein­mal neu zu kürzen, zu ergänzen, zu polieren, zu ord­nen.

Das schock­ierend­ste Ver­säum­nis, das ich ent­deck­te, war, dass bish­er kein Wort über das Herzstück des Jour­nal­is­mus geschrieben wurde: Hon­o­rar und Gehalt. Denn Jour­nal­is­mus ist kein geschützter Beruf. Das heisst: Man fängt eines Tages ein­fach damit an. Auch wenn alle Jour­nal­is­ten­schulen der Welt das Gegen­teil behaupten: Zum Jour­nal­is­ten wird man nicht per Diplom, son­dern per Bankbe­leg – sobald jemand für einen Text von Ihnen Geld über­weist.

Die span­nende Frage in allen Jahren danach ist nur noch: Wie viel?

Mein Leben als Schaf

Ein­er der lehrre­ich­sten Momente meines Lebens war, als ich den Kabaret­tis­ten Lorenz Keis­er in einem Café traf. Wir sprachen über unsere Gemein­samkeit. Wir schrieben damals bei­de eine satirische Kolumne.

Ich fragte ihn, wie er dazu gekom­men sei.

«Ein Anruf», sagte er. «Irgend­wann vor zwei Jahren rief jemand aus der Chefredak­tion an und sagte etwas von ein­er Satire-Kolumne. Ich fragte zurück, wie viel sie dafür zahlen wür­den.»

«Wie viel denn?», fragte ich.

«Ich hörte die Zahl 300.» Keis­er sah mich an und kippte geniesserisch einen Schluck Kaf­fee, bevor er fort­fuhr: «Und dann fing ich an zu lachen…»

«Zu lachen?», fragte ich.

«Drei-hun-dert!», sagte Keis­er. «Das war ja erbärm­lich.»

«Und wie viel haben sie dann gezahlt?»

«1300. Und als ich let­zten Som­mer noch ein­mal neu ver­han­delt habe, 1500.»

Ich lächelte dünn. Meine Kolumne war der WOZ genau 150 Franken wert gewe­sen. Nach fünf Jahren hat­ten sie das Hon­o­rar frei­willig auf 200 erhöht.

Das Leben als Mil­lionär

Kurz: Ich habe meine ersten zehn Jahre als Profi­jour­nal­ist wie ein Schaf ver­han­delt — gar nicht. Der Grund dafür war, dass mich oft der Auf­trag an sich begeis­terte: über dieses oder jenes schreiben zu kön­nen. Und dass ich im Grunde verblüfft war, dass irgend­je­mand über­haupt dafür Geld bezahlte.

Meine einzig kluge finanzielle Mass­nahme blieb bis zu meinem 30. Geburt­stag , dass ich am Monat­ser­sten meinen ganzen Kon­toin­halt in Hun­dert­er­noten abhob, das Bün­del in die Hosen­tasche steck­te und das Gefühl hat­te: Ich bin reich. Gegen Monat­sende musste ich dann vielle­icht fünf, sechs Tage mor­gens, mit­tags und abends nur Spaghet­ti essen. Aber das liess sich aushal­ten: Ich war dann nur Mil­lionär im Exil. Denn am näch­sten Monat­ser­sten würde ich wieder reich sein.

Nicht, dass ich mit diesem Sys­tem ern­sthaft unglück­lich war. Nur mit einem min­destens sieben­stel­li­gen Ver­mö­gen erre­icht man wieder die Frei­heit eines kleinen Bud­gets. Aber ein wenig blöd war es doch.

Bös­er als die Tame­dia AG

Als ich dann beim «Tages-Anzeiger» anheuerte, stellte mich eine sehr hüb­sche Gew­erkschafter­tochter zur Rede:

«Was zahlen sie dir?», fragte sie.

«Keine Ahnung», sagte ich. «Mal sehen.»

«Du gottver­dammtes Arschloch», sagte sie, «du arbeitest jet­zt für den grössten Konz­ern auf dem Platz. Die haben Geld wie Heu. Wenn du nicht vernün­ftig ver­han­delst, dann rede ich kein Wort mehr mit dir.»

«Und was soll ich tun?»

«Also ERSTENS, mach dir die Sit­u­a­tion klar. Für deinen Chefredak­tor ist die Ver­hand­lung ein Spiel. Für ihn bedeutet es nichts. Es geht um eine Stelle hin­ter dem Kom­ma in seinem Bud­get. Er wird also etwas ver­suchen. Aber für dich bedeutet das Ergeb­nis jeden Monat Geld oder nicht Geld auf dem Kon­to.»

Sie zün­dete eine Zigarette an und fuhr fort. «Und zwar, solange du in der Fir­ma bist. Glaub mir: Wenn du niedrig ein­steigst, wirst du das durch Gehalt­ser­höhun­gen niemals auf­holen. Auch wenn du zwanzig Jahre bleib­st, wird noch der let­zte, halb­wegs geschick­te Eumel am Neben­tisch mehr ver­di­enen. Nur, weil du EINE HALBE STUNDE NICHT WIDERLICH sein woll­test!»

«Aber wirkt das nicht etwas…»

«Und ZWEITENS, mach dir keine Illu­sio­nen, dass irgend­je­mand dich sym­pa­thisch find­et, wenn du bil­liger bist. Kein­er dein­er Chefs wird im Nach­hinein an die Ver­hand­lun­gen denken. Und wenn doch, dann wird man dich VERACHTEN, wenn du zu bil­lig zu haben warst. Denn in dieser bescheuerten Welt ver­achtet man die Leute, die zu bil­lig sind.»

Ich ver­suchte, teuer auszuse­hen.

Sie sagte: «Also mach DRITTENS sofort deine ver­dammten HAUSAUFGABEN. Du recher­chierst doch auch son­st jeden Mist. Also frag unter deinen Kol­le­gen herum, was jemand in dein­er Posi­tion in etwa ver­di­ent. Und dann schlag auf das höch­ste Gehalt noch ein­mal 10 bis 20 Prozent drauf.»

«10 bis 20 Prozent?»

«Natür­lich! Wenn sie bei deinem ersten Ange­bot nicht ble­ich wer­den, dann hast du etwa falsch gemacht. SCHANDE über dich, wenn sie dein erstes Ange­bot sofort akzep­tieren! Dann hast du viel zu wenig ver­langt!»

Sie blies sich eine Strähne aus ihrem Gesicht, um einem bösen Lächeln Platz zu machen: «Und falls dir eine halbe Stunde Ver­han­deln unan­genehm sein sollte: Denk stets daran, ich bin NOCH VIEL BÖSER ALS TAMEDIA. Wenn du deinem Ver­lag kampf­los Geld schenkst, dann rede ich nie wieder ein Wort mit dir. Also geh raus und pack sie.»

Und das tat ich dann.

72’000 Franken für eine halbe Stunde Ärg­er

Das Ergeb­nis? Nun, als wir Redak­toren vom «Tages-Anzeiger» let­ztes Jahr unser Gehalt ver­glichen (über ein Drit­tel der Redak­tion machte mit), lag ich zwar nicht an der Spitze, aber im oberen Fün­f­tel.

Ich finde das nicht schlecht. Und bin überzeugt, dass ich ohne den Kaf­fee mit der Gew­erkschafter­tochter im unteren Fün­f­tel rang­iert hätte. Mit wohl 1000 Franken pro Monat weniger. Das macht seit mein­er Anstel­lung 2006 bis heute die Summe von 72’000 Franken.

Deshalb ist Klarheit im Kopf vor Ver­tragsver­hand­lun­gen sehr wichtig. Sie müssen wis­sen:

  • Was ist in diesem Medi­um das übliche Gehalt für den Job (Artikel, Kolumne oder Fes­tanstel­lung)?
  • Was ist das absolute Max­i­mum, das sich keines­falls top­pen lässt?
  • Was ist die Zahl, mit der Sie ein­steigen?
  • Was ist das Min­i­mum, das Sie akzep­tieren?

Falls Sie eine Hon­o­rar- oder Ver­tragsver­hand­lung unvor­bere­it­et trifft, dann sagen Sie am besten nichts. Son­dern ver­schieben Sie diese, bis Sie sich vor­bere­it­et haben. Und falls Sie zu schüchtern sind, proben Sie mit kom­pe­ten­ten Fre­un­den. Oder noch bess­er: Fre­undin­nen.

Aber dann gehen Sie raus und lassen Sie Ihre geschätzten Auf­tragge­ber kurz erble­ichen. Son­st kön­nen Sie sich am Ende das «Deadline»-Buch nicht mehr leis­ten.

Es erscheint diesen Herb­st bei Kein & Aber und wird Sie klug, geris­sen und reich machen.

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Artikel online veröffentlicht: 31. Juli 2013 – aktualisiert am 17. März 2019