Menschen & Medien: Der Tagi, der “Bund” sein will

Von Lukas Vogel­sang — Nun ist die Katze aus dem Sack: Der Tagi will «Bund» wer­den. Statt den «Bund» als «Bund» weit­erzuführen und ein wirk­lich beachtlich­es 160. Jubiläum zu feiern, wird aus der Zeitung noch im 159. Jahr eine Invest­mentzeitung vom Tagi. Das Alter scheint denn auch der Grund zu sein, warum die Zeitung weit­er­hin «Bund» heis­sen soll. Inhaltlich wird ein Tagi kom­men, auch das Lay­out will man dem Tagi anpassen. Das hat nicht mit Wille oder Mut zu tun, son­dern mit der Angst, Abon­nen­ten und Mark­tan­teile zu ver­lieren.

Aber die Pressemit­teilun­gen machen alle auf gute Stim­mung. Auch die Ver­bände und die Bun­di­aner­In­nen nick­en mit dem Kopf – auch wenn 22 Kol­legIn­nen den Bund ver­lassen müssen. Irgend­wie sind alle froh, dass die Mogel­pack­ung so schön mogelt und nie­mand dage­gen sein will. Ich bin’s: Ich finde es nicht gut, was hier geschieht. Das Kleinge­druck­te hat wohl nie­mand laut gele­sen: «…eine Strate­gie, die sich in den näch­sten Jahren bewähren muss.» Auch wenn «Der Bund» schon lange nicht mehr ist, was er mal war oder was wir gerne von ihm hät­ten und erwarten. In Sachen Region­aljour­nal­is­mus schreibt er die The­men schon länger der «Bern­er Zeitung» ab, und in Sachen «Recherche» ist er oft gar zu ein­seit­ig und unbeleuchtet. Ich weiss, es gibt Schlim­meres, auch in Bern, aber wir müssen nicht schönre­den, was nicht da ist. Aus dieser Sicht ist der Tagi-Bund eigentlich eine gute Sache. Wech­sel tut auch gut. Aber man hätte diesen «Bund» ster­ben lassen oder kon­se­quent «Tagi» nen­nen müssen — und vor allem müsste man einen neuen Chefredak­tor ein­set­zen. Das währe ehrlich­er und vor allem glaub­hafter – und so was in dieser Art erwarten wir doch von ein­er Tageszeitung.

Erstaunt habe ich auch zur Ken­nt­nis genom­men, dass der Abo­preis für den «Nicht-mehr Bund» nach oben gedreht wird. Nun, nach­dem das selb­ster­nan­nte Komi­tee «Ret­tet-den-Bund» eine Art Sam­me­lak­tion für die Zeitung simulierte und der Tame­dia gratis eine Mark­t­studie erstellte, hat Tame­dia Blut geleckt. Wenn 35’000 Abon­nentIn­nen je 50 Franken im Jahr mehr bezahlen «wollen» – dann ist das ein geschenk­tes Sack­geld, welch­es man nicht ablehnen darf. Vielle­icht braucht die Tame­dia dieses Geld, um den Sozialplan für die 22 ent­lasse­nen Mitar­bei­t­erIn­nen zu berap­pen?

Warum läuft das Ganze eigentlich nicht umgekehrt? In der ganzen Umbauphase vom Tagi, der sich momen­tan eben­falls neu erfind­et, wäre eine neue Namensge­bung in Zürich sin­niger gewe­sen: «Bund» als Zeitungsna­men ist nach wie vor ein­er der besten in der Schweiz, während «Tage­sanzeiger» nach «Fund­gruebe» und «bil­ligem Jakob» klingt. Und so weit weg ist Tame­dia ja nicht mehr vom «Der Bund – Tage­sanzeiger Schweiz». Der Bun­desrat würde dann zum «BUN­Drat» und Tame­dia wäre Allei­n­un­ter­hal­terin Num­mer eins. Es kön­nte eine erfol­gre­iche Sache wer­den.

Was mir Angst macht sind die aggres­siv­en Zürcher-Jour­nal­istIn­nen, die sich täglich auf Bewährung­sprobe befind­en. Das Bun­desrats-Bash­ing kommt aus Zürich, nicht aus Bern. Und es gibt in unserem Haupt­stadt­dör­fli auch keine Wirtschaft­sall­macht – höch­stens eine Ohn­macht. Den Tagi näher in Bern zu haben, diese Züri-Aggres­soren auf unsere Beamten loszu­lassen, kön­nte die Stim­mung über­hitzen. Ich weiss nicht — meine Zukun­ftsvi­sio­nen erin­nern an einen «Stäck­likrieg»…

Der Unter­schied zwis­chen den Bern­er und den Zürcher Jour­nal­istIn­nen? Die von Züri-West kom­men im Stadtverkehr mit dem Velo schneller voran, als die anderen mit dem Mer­cedes. In Bern kaufen die Men­schen auch keine Schuhe für 800 Franken und es macht deswe­gen auch keinen Sinn, Lifestyle-Debat­ten über 3‘000-fänkige Jeans oder 25‘000-fränkige Uhren abzuhal­ten. Ja, der Tagi muss noch viel ler­nen, wenn er sich in Bern nieder­lassen will. Wir tick­en hier wirk­lich anders. Aber es ehrt Bern natür­lich, wenn der Tagi sich ums Ver­reck­en als Bern­er «Bund» aus­geben will. Unter­schätzt uns nur nicht, liebe ZürcherIn­nen.

Car­toon: www​.fauser​.ch
ensuite, Juni/Juli 2009

Artikel online veröffentlicht: 19. August 2018