Von Lukas Vogelsang — Ein Jahresende ist immer ein guter Zeitpunkt für eine Rückblende und für die Frage, ob es ein gutes Jahr war, ob man seine Vorhaben erfüllt hat, ob der Weg, den man eingeschlagen hat noch an das richtige Ziel führt. Was war das für ein Jahr? War da was?
Die Kultur war das ganze Jahr im Diskussionsfokus – allerdings mit relativ wenig Nachhaltigkeit. Es ging vielen Diskussionswilligen einzig darum, den Status Quo zu halten, einen Fuss in den Türrahmen zu stellen, Bewegungen zu verhindern oder aber gerade das Gegenteil: nicht aufzufallen. Andere Exponenten stellten sich nach vorne, allerdings mit wenig Führungsmotivation. Seien wir ehrlich: Wir sind am gleichen Punkt wie vor einem Jahr. In Bern hat sicher die «Berner Kulturkonferenz» im Januar die grosse Bewegung ausgelöst, welche zumindest etwas Hoffnung aufkommen liess und schweizweit für Aufsehen und Nachfragen führte. Doch schlussendlich zeigten die Behörden Stadt und Kanton, die Verbände und Institutionen wenig Bereitschaft an einer Zusammenarbeit. Grosses Bouquet: Die Stadt Bern blamierte sich im Oktober mit einem absurden und lächerlichen Sinneswandel: Jetzt soll plötzlich ein Kulturkonzept erschaffen werden – nachdem man sich 6 Jahre lang davon distanziert hatte und die 46 Stellungnahmen der Vernehmlassung zum miserablen Kulturfahrplan bis 2019 einfach ignorierte. Absurd ist das alles, weil die Abteilung Kulturelles nicht mal die einfachsten Hausaufgaben gemacht hat: So rechnet die Abteilung Kulturelles von Bern beispielsweise noch immer mit dem gesamten Hauptstadt-Kulturbeitrag vom Bund und budgetiert grosszügig Geld, vergessend, dass durch die neue Aufteilung der Institutionen der Löwenanteil dieser BAK-Gelder an den Kanton fliessen werden. Das alles zeugt von einer unglaublichen Überforderung und Naivität. Und wenn eine «Berner Kulturkonferenz» nötig ist, um etwas Bewegung in die Sache zu bringen, so müssen wir mit dieser Institution unbedingt auch im 2015 aktiv bleiben. Mein persönliches Fazit für die Kulturdiskussionen wirkt irritierend: Ich wollte über Inhalte diskutieren und die Kulturschaffenden haben es abgelehnt. Der Kulturjournalist Wolfgang Böhler schrieb sogar: «Kulturpolitik darf nur Finanzpolitik sein». Deswegen finde ich, dass die Berner Abteilung Kulturelles per sofort der Finanzdirektion unterstellt werden müsste. Hören wir doch auf, Kultur und Inhalte im gleichen Satz zu nennen und setzen wir mal konsequent um, was ausgerechnet die Kultur selber fordert. Dann hätten wir wenigstens die Zahlen mal konsequent im Griff und könnten Themen wie Personalvorsorge und Versicherungen für Kultur- und Kunstschaffende oder das steuerbefreite Kultursponsoring schnell in eine neue Runde bringen. Denn hier ist in den letzten Jahren kaum etwas geschehen, ausser, dass die kleinsten Teilnehmer in der Wertschöpfungskette bezahlen müssen.
Aber das Jahr hat noch ganz andere Überraschungen und Erkenntnisse gebracht. So beispielsweise versuchen sich die grossen Medienverlage noch mehr als Softwarefirmen zu positionieren. Die Zukäufe der Verlagshäuser in Online-Märkten sind massiv gestiegen und man eifert den amerikanischen Vorbildern nach – wissend, dass diese nur eine weltweite «one and only»-Strategie verfolgen und somit alle europäischen Konkurrenten und Kopierer verlieren werden. Dass damit die «Leserschaft» verloren geht interessiert niemanden mehr. Die Medienbetriebe mutieren zu Logistikzentren, verwalten «Content» und haben vergessen, dass die Nachricht das eigentliche Business war. Der Raubbau an der Meinungsfreiheit ist nicht zu ersetzen und wird mit dem Weiterschreiten des Vergessens ein übles Ende finden.
Ich habe in diesem Jahr verstanden, dass die Menschheit im Kopf nicht mehr aufnahmefähig ist und die Mächtigen sich an dieser Überforderung der Massen bereichern. Kaum jemand kann die neuen Technologien – sei es ein Smartphone oder einen Computer – vollständig anwenden oder verstehen. Wir verteilen unsere privaten Daten wie Schuppen. Mehr noch: Durch den Verlust von altem Know-how (zum Beispiel in der Industrie), dem fast fanatischen Fokus auf «neue Technologien» und dem ausschliessend «zeitgenössischen» Interesse, verlieren wir – wie in Michael Endes «Unendliche Geschichte» – mehr und mehr von unserer Welt und Menschenwürde. Wir konformieren uns mit Computern und werden selber zu hirn- und seelenlosen Maschinen. In der Zeit der Industrialisierung hatten wir noch physische Ergebnisse, die von ArbeiterInnen erschaffen und von den Gewerkschaften überwacht und auch moralisch legitimiert wurden. Wir lebten darin. Heute ist alles vergeistigt und unsichtbar – der Mensch ist von dieser virtuellen Welt getrennt. Und keine Politik, Gewerkschaft oder Kirche versucht, den Boden zurückzugewinnen. Dieser Zustand ist schon weit fortgeschritten. Aber es ist noch nicht zu spät.
Ich danke Euch LeserInnen und KundInnen für dieses gemeinsame Jahr. Nur Ihr gebt uns unsere Existenz – im existenziellen Sinn und finanziell. Es ist für einen Verleger wahrscheinlich das schönste Feedback zu spüren, dass die Anstrengungen bei der Leserschaft geschätzt werden. Geniesst den feierlichen Dezember – oder macht ihn feierlich. Prost.