• zurück

Chantal Thomass: «Verführung hat mit Mode nichts zu tun»

Von Son­ja Hugen­to­bler - Im St. Galler Tex­til­mu­se­um läuft bis Ende Jahr eine grosse Dessous-Ausstel­lung. Die Paris­er Designer­in Chan­tal Thomass hat die reizvollen Stücke insze­niert.

Mit milch­weiss­er Haut, schar­lachroten Lip­pen und eben­holz­far­ben­em Pagenkopf erin­nert Chan­tal Thomass an Seri­gra en von Patrick Nagel. Wie Nagel hat sie ihr Image in den 80er-Jahren geprägt und ist ihm bis heute treu geblieben. Mit ihrer emblema­tis­chen Erschei­n­ung führt die Köni­gin der Dessous durch ihr per­fekt designtes Web-Uni­ver­sum, musikalisch unter­malt von ein­er kindlichen sexy Stimme, die an die ver­führerischen Crazy-Horse-Girls mit ihrem typ­is­chen Pagenkopf erin­nert.

Wom­it wir bei Luxus und stil­voller Ver­führung wären, Chan­tal Thomass’ Kernkom­pe­tenz. Schon als Teenag­er hat­te Chan­tal Gen­try, einziges Kind ein­er gut­bürg­er­lichen Paris­er Fam­i­lie, Dessous im Kopf. Sie sah nicht ein, weshalb so schöne Stücke unter Klei­dern ver­steckt wer­den soll­ten. Lange bevor Jean-Paul Gaulti­er oder Dolce&Gabbana diese Idee kom­merzial­isierten, hat sie Kor­sagen über Klei­dern getra­gen. Heute ist ihr gle­ich­namiges Dessous-Label das exquis­iteste und sinnlich­ste, das es weltweit auf dem Markt gibt. Der Fokus auf ihre Per­son ist kein Mar­ket­ing-Gag. Sie ist das Label «Chan­tal Thomass» und entwirft jedes einzelne Teil selb­st, was ein­ma­lig ist bei ein­er Welt­marke. Mit Ver­we­gen­heit und Intel­li­genz erforscht und inter­pretiert sie die intim­sten Klei­dungsstücke der Frau und ermutigt sie, ihre kör­per­lichen Reize mit ver­führerischen Dessous in Szene zu set­zen, zu ihrer eige­nen Freude, nicht der des Mannes, wie sie betont.

Ohne formelle Aus­bil­dung begann Chan­tal Thomass mit 18, Klei­der für sich und ihre Fre­undin­nen zu nähen. Mit 19 heiratete sie Bruce Thomass, Absol­vent der Ecole des Beaux Arts. Zusam­men grün­de­ten sie ihre kleine Mod­e­fir­ma «Ter et Ban­tine» und pro­duzierten flip­pige Klei­der aus von Bruce handge­mal­ten Sei­den­stof­fen und für die dama­lige Zeit exo­tis­chen Mate­ri­alien wie Lurex­jer­sey, Parchent und gewach­stem Toile. Damals war jugendliche und fan­tasievolle Klei­dung etwas Aussergewöhn­lich­es und mit der aufk­om­menden Hip­pie-Bewe­gung bald der let­zte Schrei, so dass Bou­tiquen wie Dorothé Bis ihnen ihre Klei­der aus den Hän­den ris­sen, erst recht, als Brigitte Bar­dot ihre Kundin wurde. 1969 eröffnete das Paar seine eigene Bou­tique auf dem Boule­vard Saint Ger­main. 1975 grün­de­ten sie das Label Chan­tal Thomass und wagten den Sprung auf den Paris­er Cat­walk mit eini­gen weni­gen Lin­gerie-Stück­en als Acces­soires zu den Klei­dern. Eine Rev­o­lu­tion! Kein ander­er Mod­edesign­er beschäftigte sich zu jen­er Zeit mit Dessous. BHs waren durch den neu ent­deck­ten Kör­perkult der 68er aus der Mode ger­at­en und im Übri­gen hat­te Unter­wäsche nur einen Zweck zu erfüllen, prak­tisch sein. Sie selb­st, sagt Chan­tal Thomass, hätte bis zum Alter von 25 Jahren nie einen BH getra­gen und heute besitzt sie rund 100 Stück. Die Dessous, denen eine Neben­rolle in der Show zugedacht waren, geri­eten zum Startschuss zu Chan­tal Thomass’ steil­er Kar­riere als Lin­gerie-Designer­in. Mit ihnen läutete sie eine neue, ultra­fem­i­nine Mode­strö­mung ein. Dass einige Teile aus dem sel­ben Stoff geschnei­dert waren, eröffnete dem Dessous-Sek­tor neue Dimen­sio­nen und brachte erst­mals Dessous als sicht­bares Acces­soire ins Spiel und ans Tages­licht.

Die Expan­sion der Geschäfte rief nach Geldge­bern, die sie 1985 in der japanis­chen Gruppe World Com­pa­ny fand. Man eröffnete zwölf Bou­tiquen in ganz Frankre­ich, ver­gab Lizen­zen in Japan und Europa für Lin­gerie, Bade­mode, Schuhe, Brillen und die mit­tler­weile ent­standene Kin­der­mode, zu der Thomass durch die Geburt ihrer zwei Kinder inspiri­ert wurde. Zehn gute Jahre ende­ten 1995, als World Com­pa­ny Konkurs machte und Thomas das Recht auf die Benützung ihres Namens ver­lor. Bis sie diesen 1998 gerichtlich zurücker­oberte, designte sie für Marken wie Wol­ford, Victoria’s Secret, Ken­zo und Rosy. In der soli­den Lin­gerie-Gruppe DIM fand Chan­tal Thomass ihren neuen Part­ner und wagte ihr Come­back. Dieses feierten die Galeries Lafayette 1999, das franzö­sis­chste aller franzö­sis­chen Kaufhäuser, mit ein­er spek­takulären Präsen­ta­tion, bei der es die heis­sen Chan­tal-Thomass-Dessous von Mod­els im Schaufen­ster des Haupt­geschäftes am Boule­vard Hauss­mann live vor­führen liess. Der Boule­vard Hauss­mann vib­ri­erte, lei­der nur eine Woche lang und nicht 25 Tage, wie es geplant war. Das Hap­pen­ing wurde auf Druck von Fem­i­nistin­nen abge­set­zt, denen die Frau als Schaufen­s­ter­ob­jekt miss­fiel. Der Coup war trotz­dem gelun­gen. Chan­tal Thomas war zurück im Busi­ness. DIM ist zuständig für Dis­tri­b­u­tion und Einkauf. Pro­duziert wird in Marokko. Ihre Luxus-Dessous sind weltweit in 27 Shop­corners zu find­en, in ein­er eige­nen Bou­tique in Moskau und in der neuen Paris­er Bou­tique im Stil von Napoléon III an der 246 Rue St. Hon­oré, bere­its wieder Tre­ff­punkt der Dessous-Lieb­haberin­nen, auch Stars wie Mon­i­ca Bel­luc­ci, Vanes­sa Par­adis oder Isabel­la Adjani. Die Kollek­tion ist zwar weltweit zu find­en, doch Spitzen-Delikatessen ohne die kom­merziellen Vor­gaben der Gruppe DIM gel­ten nach wie vor Thomass’ Lei­den­schaft. Diese pro­duziert sie nur für die Paris­er Bou­tique. Sie sind nach wie vor die Pas­sion der Designer­in, deren Renom­mé in Frankre­ich beachtlich ist. 2001 wurde Chan­tal Thomass vom Kul­tur­min­is­teri­um der Orden «Cheva­lier des Arts et Let­tres» ver­liehen. Damit ist sie mit anderen Meis­tern ihres Fachs wie Rudolf Nure­jew, Mar­lene Diet­rich, Jean-Paul Bel­mon­do und David Bowie in bester Gesellschaft.

Interview

Was bedeutet die Schweiz für Sie?

Ruhe, Natur und St. Galler Stick­ereien, eine immense Inspi­ra­tionsquelle seit drei Jahrzehn­ten, in denen ich mit St. Galler Stick­ern arbeite.

 Wie kam es zur Zusam­me­nar­beit zwis­chen Ihnen und dem Tex­til­mu­se­um?

Wenn Tobias Forster mich ruft, kann ich nur ja sagen. Mit ihm verbindet mich eine lange fre­und­schaftliche Zusam­me­nar­beit. Allerd­ings war mir nicht bewusst, in was ich mich da ein­liess, als ich zusagte. Doch Dessous aller Epochen haben mich schon immer inter­essiert und ich habe das gerne gemacht.

 Gibt es Lieblingsstücke in der Ausstel­lung?

Ich liebe die 20er- und 30er-Jahre. Deshalb mag ich die Stücke aus jen­er Zeit am besten. Sie sind so kun­stvoll gear­beit­et aus wun­der­schö­nen Stof­fen, wie man sie heute aus kom­merziellen Grün­den lei­der nicht mehr machen kann. Für meine Bou­tique in Paris mache ich allerd­ings Stücke ohne kom­merzielle Zwänge. Da kann ein Set dann über 250 Euro kosten.

 Sie waren als Mod­edesigner­in erfol­gre­ich. Weshalb haben Sie auf Dessous gewech­selt?

Als ich 1975 meine Mode erst­mals auf einem Paris­er Lauf­steg zeigte, ent­warf ich einige Lin­gerie-Teile dazu, doch solche, die ich nicht unter den Klei­dern ver­steck­te. Das war ein sen­sa­tioneller Erfolg. Ich kriegte dauern Bestel­lun­gen für Unter­wäsche. Deshalb machte ich weit­er und so entwick­el­ten Dessous sich zu mein­er Lei­den­schaft.

 Nicht nur Erfolg, es war eine Rev­o­lu­tion.

Ja, das war es. Und zwar weil bis dato kein ander­er Mod­edesign­er sich mit Dessous beschäftigt hat­te. BHs waren durch 68er-Kör­perkult aus der Mode ger­at­en und Unter­wäsche musste erstens ver­steckt wer­den und zweit­ens funk­tionell sein.

 Wozu dienen Dessous?

Dessous sind ein Mod­eac­ces­soire, das eine Frau kauft, um sich gut zu fühlen, für sich alleine, nicht für die Män­ner. Sie geben ein­er Frau Selb­st­sicher­heit und verbessern ihre Sil­hou­ette.

 Sind Ihre Dessous nicht eher zum Aus- als zum Anziehen gedacht?

Sie wollen sagen, wir machen Reizwäsche. Sich­er machen wir auch Wäsche zum Gefall­en, zum Vergnü­gen. Doch auch reizvolle und lux­u­riöse Wäsche kann prak­tis­che Kri­te­rien erfüllen. Wir haben das ganze Pro­gramm, von Strümpfen zu Miedern, Bodys und Bustiers bis Box­er String, String und BHs bis Grösse 95E.

 Sie sind Exper­tin in tex­til­er Ver­führung. Erk­lären Sie es uns?

Ver­führung hat mit Tex­til nichts zu tun. Ver­führung hat mit der Ein­stel­lung zu tun, die die Frau zu ihrem Kör­p­er hat. Ver­führung fängt damit an, dass man sich mor­gens sorgfältig anzieht. Zur Ver­führung gehört Phan­tasie, ein biss­chen Zwei­deutigkeit, also nicht allzu vorder­gründig fem­i­nine Bek­lei­dung. Dann gibt es natür­lich Hil­f­s­mit­tel. Ein schön­er Spitzen-BH zum Beispiel, den man nicht zeigt, son­dern nur erah­nen lässt mit einem raf­finierten Décol­leté. Und dann die ulti­ma­tive Waffe, Strapsen. Doch die zu insze­nieren will gekon­nt sein, mit einem geschlitzten Rock, der nur einen kurzen Blick auf sie gewähren lässt bei einem gut ein­studierten Ver­lassen des Autos zum Beispiel. Frauen haben es so viel ein­fach­er, ver­führerisch zu sein als Män­ner.

 Wie viele Dessous besitzen Sie?

Da ich immer einen Pro­to­typen zuerst für mich mache, besitze ich natür­lich sehr viele, etwa fün­fzig und dazu natür­lich den passenden Slip. Ich trage nur Sets.

 Sie machen sexy Wäsche. Und doch gelingt Ihnen dabei immer ein mäd­chen­hafter oder humoris­tis­ch­er Ansatz, ohne ins Vul­gäre abzu­driften. Weil Sie selb­st eine Frau sind?

Ja, ich denke, dass nur eine Frau die Gren­ze des guten Geschmacks für eine Frau erspüren kann. Es ist eine Frage der Raf­fi­nesse. Es gibt ein­fach Gren­zen, die man ein­hal­ten muss.

 Welch­es sind denn die Tabus?

Zum Beispiel machen wir keine im Schritt geschlitzten Slips oder Panties. Wir haben sog­ar schon ver­sucht, halbe BHs zu machen, also nur den unteren Teil. Wir schaf­fen es nicht, sie in unserem Sinn her­auszubrin­gen, und so gibt es die bei uns nicht.

 Was ist schlechter Geschmack bei Dessous?

Geschmack ist indi­vidu­ell. Für die einen ist ein schwarz­er BH unter ein­er weis­sen Bluse geschmack­los. Für mich gibt es nur eine richtige Farbe unter ein­er weis­sen Bluse, näm­lich schwarz. Schlecht­en Geschmack finde ich, wenn eine Frau mit grossem Busen einen zu kleinen BH trägt oder wenn der String aus der Hose schaut bei ein­er nicht per­fekt gebaut­en Frau.

 Haben Sie männliche Kund­schaft auch ausser­halb Valentin­stag und Wei­h­nacht­en?

Sehr oft sog­ar. Es gibt Män­ner, die kom­men jeden Monat für ein hüb­sches Geschenk, die ken­nen dann das ganze Sor­ti­ment in- und auswendig und wis­sen, was sie wollen.

 Und dann kaufen sie schwarz-rot?

Das war früher so und trifft heute nur auf die älteren Gen­er­a­tio­nen zu. Zu mir kom­men jün­gere Män­ner. Die haben dazugel­ernt, ken­nen sich oft in der Mode aus und wis­sen sog­ar die Grösse. Sie wählen Dessous, die nicht nur ihnen gefall­en, son­dern auch ihren Part­ner­in­nen.

 Welch­es sind die neuen Dessous-Trends?

Das sind Höschen, die wieder bis hin­auf zur Taille gehen jet­zt wo die Hüft­jeans aus der Mode ger­at­en sind und man nicht mehr den String zeigen will. Eben­so BHs im Stil der 50er Jahre, etwas spitziger, wie die dama­li­gen Pin Ups.

www.chantalthomass.fr

Bild: zVg.
ensuite, Juni 2008

Artikel online veröffentlicht: 4. Oktober 2017