• zurück

Hass, Angst und Sturmgewehre

Von Patrik Etschmay­er - Als in der let­zten Woche, bei ein­er Gedenkver­anstal­tung für von Polizis­ten erschossene schwarze US-Amerikan­er selb­st fünf der Polizis­ten, die diesen Marsch überwacht­en, von einem Heck­en­schützen erschossen wur­den, erre­ichte der Wahnsinn aus Hass, Angst und Stur­mgewehren in den USA einen neuen Höhep­unkt und eine schreck­liche Zäsur. Unter­dessen wird weit­er gestor­ben.

Es gab ein­mal eine Zeit, in der es der Autor kaum erwarten kon­nte, wieder ins Flugzeug in die USA zu steigen und einige Wochen an der West­küste unter­wegs zu sein. Diese Zeit­en sind vor­bei. Der Waf­fen­wahn, der die USA schon lange im Griff gehal­ten hat, ist Moment dabei, das Land zu erwür­gen.

Das Ganze in ein­er Kolumne abzuhan­deln, ist natür­lich unmöglich. Aber ver­suchen wir es doch mal. Die Zutat­en in diesem tödlichen Rezept sind:

Waf­fen, Ras­sis­mus, Para­noia, Seg­re­ga­tion, Angst und noch mehr Waf­fen.

Als Erstes beste­ht immer noch das dun­kle Erbe der Sklaverei, welch­es für viele — weisse — Bewohn­er der Süd­staat­en  nicht als über­wun­dene Schande, son­dern als gestoh­lene Chance gilt. Doch nicht nur diese Weis­sen lei­den noch unter diesem Erbe (lei­den, weil sie in einem Nar­ra­tiv gefan­gen sind, dass Weit­er­en­twick­lung ver­hin­dert), auch die Nach­fahren der ein­sti­gen Sklaven sind vielfach in ein­er Kul­tur­spi­rale der Chan­cen­losigkeit gefan­gen. Denn fast kein Afroamerikan­er kön­nte sagen, was denn sein genaues kul­turelles Erbe aus Afri­ka ist. Die Weis­sen sehen sich als Amerikan­er und Iren, Deutsche, Ital­iener etc. Mit der Ver­sklavung und Ver­schlep­pung und anschliessenden Sep­a­ra­tion voneinan­der und der Grausamkeit der wie Jungvieh verkaufen Sklavenkindern wurde den Sklaven sowohl die kul­turelle wie auch die famil­iäre Iden­tität ger­aubt und voren­thal­ten. Dieses Nicht-Volk ohne Geschichte war nach dem Bürg­erkrieg zwar befre­it, aber ohne eine Iden­tität auss­er jen­er, ger­aubt, entwurzelt und erniedrigt wor­den zu sein.

Auch nach der Befreiung, waren diese Men­schen noch lange nicht wirk­lich frei: Seg­re­ga­tion, Diskri­m­inierung, Ghet­toisierung. Und der Blick der weis­sen Mehrheit auf diese ehe­ma­li­gen Sklaven prägte auch deren Eigen­bild nach­haltig: Als jenes eines Her­ren­volkes, dass sich immer wieder vom schwarzen Unter­men­schen abgren­zen musste und sich durch den wirtschaftlichen Erfolg in der ‘weis­sen Über­legen­heit’ bestätigt fühlte.

Doch dann änderte sich die Welt auch für die weis­sen US-Amerikan­er.

His­panis­che und asi­atis­che Immi­granten bracht­en mehr Diver­sität und mehr Konkur­renz. Wobei die Konkur­renz natür­lich immer schon da gewe­sen war.

Wurde man aber von einem anderen Weis­sen in der Kar­riere über­holt, dann war das vielle­icht ärg­er­lich, wurde aber nicht als grund­sät­zlich­es gesellschaftlich­es Prob­lem wahrgenom­men. Denn man war sich sein­er Posi­tion als Teil der Elite immer noch sich­er.

Doch das ist nun vor­bei. Die Her­ren­rasse wird nun SICHTBAR bedrängt. Viele Weisse haben sich denn auch schon lange von diesem Denken ver­ab­schiedet und betra­cht­en ander­sras­sige Men­schen ein­fach als MENSCHEN. Doch wie immer gibt es auch noch viele, die ‘Chinks’, ‘Spics’ und ‘Nig­gas’, die in ihren gesellschaftlichen Kreis ein­drin­gen als unge­hörige, ungerecht­fer­tigt sie bedrän­gende Unter­men­schen betra­cht­en. Die Aggres­sio­nen und Span­nun­gen, die hier her­vor kom­men, sind eine Ressource, die nur darauf wartete, abgeschöpft zu wer­den.

Die NRA kul­tiviert diesen Hass-Berg­bau in freudi­ger Ein­heit mit Hil­fe der US-Amerikanis­chen Waf­fenin­dus­trie und der von ihr eingekauften Abge­ord­neten, die sog­ar erfol­gre­ich ver­hin­dern, dass geprüft wer­den muss, ob ein Waf­fenkäufer eine doku­men­tierte psy­chis­che Erkrankung, Vorstrafen oder Verbindun­gen zu ter­ror­is­tis­chen Organ­i­sa­tio­nen hat, bevor er ein Stur­mgewehr an ein­er Waf­fen­messe kauft.

Mit der Aufrüs­tung der Bürg­er musste natür­lich auch die Polizei nachziehen. So ist es jet­zt nicht sel­ten, dass Polizei-Departe­mente über Panz­er und Armee-Waf­fen ver­fü­gen. Die Ratio dahin­ter ist dabei keineswegs absurd: Wer damit rech­nen muss, dass er mit Ver­brech­ern zu tun hat, die poten­tiell über Waf­fen ver­fü­gen, die nor­male kugel­sichere West­en durch­schla­gen wie ein Luft­gewehr eine Postkarte, will auf ein höheres Lev­el gehen, um seine Haut zu schützen.

Diese ganze Spi­rale geht nur in Rich­tung Eskala­tion. Polizeiaus­bil­dung beste­ht meist aus Waf­fenge­brauch, tak­tis­chem und offen­sivem Vorge­hen.

Deeskala­tions-Train­ing hinge­gen ist in den USA so sel­ten, dass es ein Grund für Schlagzeilen war, als die Polizei von Las Vegas nach ein­er Volksab­stim­mung ein solch­es in ihr Train­ing auf­nahm. Resul­tat: inner­halb von nur weni­gen Jahren ging die Zahl an Schuss­waf­fenein­sätzen um über dreis­sig Prozent zurück, während die Zahl Unbe­waffneter, die erschossen wur­den, von 6 im Jahr 2010 auf nur mehr einen 2015 zurück gefall­en ist.

Aber noch ist das eine Aus­nahme und solche Mass­nah­men sind bei notorisch blutig agieren­den Polizis­ten (wie Chica­go) erst vage angedacht. Die Polizei sieht sich an vie­len Orten ein­fach als die Front­truppe in einem Krieg um die Erhal­tung von materiellen, ideellen und gesellschaftlichen Besitzstän­den. Wenn Don­ald Trump davon redet, die (weisse) Mit­telk­lasse wieder wohlhabend zu machen, erweckt er den Ein­druck, der Wohl­stand von diesen werde von den ‘anderen’ — Lati­nos, Schwarzen, wer auch immer — gestohlen. Das ist zwar Mumpiz, sieht man sich erst mal die Ver­mö­gensverteilung und den Trend, dass die Reich­sten immer reich­er wer­den, an, aber die Idee räsoniert bei vie­len wesentlich mehr, als die Tat­sache, dass das eigene Sys­tem nun seine ein­sti­gen Lieblingskinder frisst.

Und wie immer bei einem Krieg — selb­st einem, der vor allem in den Köpfen existiert — muss dieser mit Waf­fen gefüt­tert wer­den. Angst, Para­noia und Hass sind dabei Verkauf­sprofis, von denen andere Branchen nur träu­men kön­nen. Die Schuss­waf­fen­her­steller erleben Verkauf­s­reko­rd nach Verkauf­s­reko­rd. Und jedes Mal, wenn es zu einem Amok­lauf kommt, fol­gt wieder ein Ansturm auf die Waf­fengeschäfte. Und als Reak­tion rüstet auch die Polizei weit­er auf.

Nach dem Scharf­schützenan­griff von Dal­las wird dieser jet­zt zu einem Wen­depunkt her­auf stil­isiert, der alles entwed­er bess­er oder noch viel schlim­mer machen werde. Der Autor ist sich­er: Die Waf­fen­lob­by in den USA sieht dieses Dra­ma nicht als Desaster, nicht als Schreck­nis, son­dern als eine Chance. Solange die Anzahl Todes­opfer nicht die poten­tielle Kund­schaft über Gebühr schrumpfen lassen, wird sich in den USA nichts ändern. Dafür wer­den die NRA, ihre Gön­ner und ihre Poli­tik­er mit gross­er Ver­lässlichkeit sor­gen! Denn wie gesagt: Hass, Angst und Stur­mgewehre sind ein fast unschlag­bares Geschäftsmod­ell!

 

Artikel online veröffentlicht: 11. Juli 2016