Von Lukas Vogelsang (editorial ensuite 153) — Die Krise greife um sich – in der Schweiz soll jedes zweite Unternehmen Stellen streichen. Ursache sei die Frankenstärke, welche den Export lähme. So stand es in den Medien. Ich finde diese Aussagen spannend. Vor allem deswegen, weil die Schweiz selber wenig produziert, wofür die Rohstoffe hier aus dem Land stammen. Wir importieren sehr viel, und wir veredeln höchstens die Produkte bei uns – aber irgendwie fehlen mir die Fabrikhallen und Firmen, welche in diesem Masse für den gelähmten Export tätig sind. Und die Pharmaindustrie leidet eher unter den Generika als unter ihren Patentrechten. Software lassen wir in Indien schreiben. Unsere Firmen arbeiten vom Bürosessel aus und bleiben da sitzen – auch wenn eine Krise ausgerufen wird. Kein Wunder wird gejammert! Hey, ran an die Ruder! Bewegt Euch. Von selbst geht’s nicht.
Aber ich vermute hinter dieser «Schweizerkrise» eine ziemlich hausgemachte Suppe. Der Wohlstand, den wir bisher pflegten und der auf altem Unternehmergeist beruhte, geht mit der Zeit und durch Generationenwechsel verloren. Die Firmen werden jetzt von Fühungskräften geleitet, welche Betriebswirtschaft an den Unis gelernt haben – nicht aber durch den Bau einer neuen Welt. Es werden monatlich neue Firmen aus dem Boden gestampft, welche als Businessmodell unoriginelle Kopien von anderen Geschäftsideen klonen. Wer heute eine Firma gründet, will reich werden. Die Welt retten, Arbeitsplätze schaffen, mit einer regionalen Produktion neue Märkte erschliessen, oder einen Familienbetrieb über Generationen aufbauen – das klingt uncool. Der «moderne » Unternehmer macht Ferien, hat ein Häuschen und einen sehr guten Lohn. Und wenn dieses Bild nicht stimmt, wird verkauft und etwas anderes versucht. Das Geld für die Gründung dieser Firmen stammt aus Erbschaften, Förderungsfonds oder Investmentbeiträgen. Wenn es nicht klappt, versucht man eine neue Idee. Ferien werden trotzdem gemacht. Doch kaum ein Tellerwäscher verspielt auf diesem Weg seine Vision vom Millionär. So handelt nur, wer sich als das «Zentrum aller Dinge» definiert und nicht über den Tellerrand blickt.
«Die Welt» pulsiert ausserhalb unserer Landesgrenzen manchmal schneller, als in unserem beschränkten Ländchen. Im Medienbereich ist das beschaulicher darzustellen: Während in Deutschland alleine 80 Millionen Einwohner für eine Tageszeitung oder ein Magazin einen interessanten Nährboden darstellen, sind wir in der Schweiz mit unseren knapp 8 Millionen Einwohnern massiv eingeschränkter. Unser Markt ist klein, und wir haben den ersten Zug der Globalisierung verpasst. Heute bestellt man Waren per Internet – und viel zu oft sind die Preise für normale Chinaware (also fast alles Technische, Händies, TVs, Computer, etc..) aus dem Ausland mindestens 1/3 billiger und sogar schneller geliefert, als wenn ich in der Schweiz bestelle. Selbst Firmenvertretungen von ausländischen Firmen in der Schweiz verkaufen die Waren über jedem gesunden Preis. Warum? Vielleicht, weil wir schlechte Verträge machen. Vielleicht aber eher, weil wir SchweizerInnen immer bereit waren, mehr zu bezahlen – statt selber die Produkte hier zu bauen! Herr und Frau Schweizer, und auch die Unternehmer, möchten das Geld für den eigenen, privaten Wohlstand – mit dem höchstmöglichen Profit. Ohne einen Finger zu krümmen.
Das «Zentrum aller Dinge», der Zentrumsgedanke, ist allerdings etwas komplizierter, wenn wir die neue, globalisierte und vernetzte Welt, und damit den Wirtschaftsraum nicht als eine Fläche, sondern als Kugel definieren. SVP, jetzt könnt ihr was lernen: Die Kugel hat das Zentrum im Mittelpunkt, und die periferen Punkte auf der Aussenfläche sind eben nur noch kleine Punkte. Es gibt an der Oberfläche kein zweites Zentrum. Umso wichtiger ist es als Nation, sich als Teil der Kugeloberfläche zu definieren. Wir müssen lernen, wo und wie unsere Funktion in Abhängigkeit zu den anderen Teilen steht. Der Zaun um das Gärtchen, so wie viele es gerne hätten, ist ein ziemlich rückständiges Symbol. Wir sind eben «nur» ein Teil des Ganzen. Und das mit der Kugel ist nicht sonderlich neu: Pythagoras hatte das schon 600 Jahre vor Christus erkannt.
Was hat das alles mit Kultur zu tun? Alles. Ich zweifle aber leider daran, dass wir die Kugeldefinition mit Kreationen wie dem «Bauer ledig sucht…»-SRF-Image, dem ach so fröhlichen Musikantenstadel-Jass-Kilchsperger und den neurotischen Punkteprofit-PolitikerInnen lösen können. Auch wird es schwierig, dabei auf den Stühlen sitzen zu bleiben. Deswegen: Hey, ran an die Ruder! Bewegt Euch.