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Hey, ran an die Ruder!

ensuite_152_September_15Von Lukas Vogel­sang (edi­to­r­i­al ensuite 153) — Die Krise greife um sich – in der Schweiz soll jedes zweite Unternehmen Stellen stre­ichen. Ursache sei die Franken­stärke, welche den Export lähme. So stand es in den Medi­en. Ich finde diese Aus­sagen span­nend. Vor allem deswe­gen, weil die Schweiz sel­ber wenig pro­duziert, wofür die Rohstoffe hier aus dem Land stam­men. Wir importieren sehr viel, und wir vere­deln höch­stens die Pro­duk­te bei uns – aber irgend­wie fehlen mir die Fab­rikhallen und Fir­men, welche in diesem Masse für den gelähmten Export tätig sind. Und die Phar­main­dus­trie lei­det eher unter den Gener­i­ka als unter ihren Paten­trecht­en. Soft­ware lassen wir in Indi­en schreiben. Unsere Fir­men arbeit­en vom Büroses­sel aus und bleiben da sitzen – auch wenn eine Krise aus­gerufen wird. Kein Wun­der wird  gejam­mert! Hey, ran an die Rud­er! Bewegt Euch. Von selb­st geht’s nicht.

Aber ich ver­mute hin­ter dieser «Schweiz­erkrise» eine ziem­lich haus­gemachte Suppe. Der Wohl­stand, den wir bish­er pflegten und der auf altem Unternehmergeist beruhte, geht mit der Zeit und durch  Gen­er­a­tio­nen­wech­sel ver­loren. Die Fir­men wer­den jet­zt von Fühungskräften geleit­et, welche Betrieb­swirtschaft an den Unis gel­ernt haben – nicht aber durch den Bau ein­er neuen Welt. Es wer­den monatlich neue Fir­men aus dem Boden gestampft, welche als Busi­ness­mod­ell uno­rig­inelle Kopi­en von anderen Geschäft­sideen klo­nen. Wer heute eine Fir­ma grün­det, will reich wer­den. Die Welt ret­ten, Arbeit­splätze schaf­fen, mit ein­er regionalen Pro­duk­tion neue Märk­te erschliessen, oder einen Fam­i­lien­be­trieb über Gen­er­a­tio­nen auf­bauen – das klingt uncool. Der «mod­erne » Unternehmer macht Ferien, hat ein Häuschen und einen sehr guten Lohn. Und wenn dieses Bild nicht stimmt, wird verkauft und etwas anderes ver­sucht. Das Geld für die Grün­dung dieser Fir­men stammt aus Erb­schaften, Förderungs­fonds oder Invest­ment­beiträ­gen. Wenn es nicht klappt, ver­sucht man eine neue Idee. Ferien wer­den trotz­dem gemacht. Doch kaum ein Teller­wäsch­er ver­spielt auf diesem Weg seine Vision vom Mil­lionär. So han­delt nur, wer sich als das «Zen­trum aller Dinge» definiert und nicht über den Teller­rand blickt.

«Die Welt» pulsiert ausser­halb unser­er Lan­des­gren­zen manch­mal schneller, als in unserem beschränk­ten Länd­chen. Im Medi­en­bere­ich ist das beschaulich­er darzustellen: Während in Deutsch­land alleine 80 Mil­lio­nen Ein­wohn­er für eine Tageszeitung oder ein Mag­a­zin einen inter­es­san­ten Nährbo­den darstellen, sind wir in der Schweiz mit unseren knapp 8 Mil­lio­nen Ein­wohn­ern mas­siv eingeschränk­ter. Unser Markt ist klein, und wir haben den ersten Zug der Glob­al­isierung ver­passt. Heute bestellt man Waren per Inter­net – und viel zu oft sind die Preise für nor­male Chi­naware (also fast alles Tech­nis­che, Händies, TVs, Com­put­er, etc..) aus dem Aus­land min­destens 1/3 bil­liger und sog­ar schneller geliefert, als wenn ich in der Schweiz bestelle. Selb­st Fir­men­vertre­tun­gen von aus­ländis­chen Fir­men in der Schweiz verkaufen die Waren über jedem gesun­den Preis. Warum? Vielle­icht, weil wir schlechte Verträge machen. Vielle­icht aber eher, weil wir Schweiz­erIn­nen immer bere­it waren, mehr zu bezahlen – statt sel­ber die Pro­duk­te hier zu bauen! Herr und Frau Schweiz­er, und auch die Unternehmer, möcht­en das Geld für den eige­nen, pri­vat­en Wohl­stand – mit dem höch­st­möglichen Prof­it. Ohne einen Fin­ger zu krüm­men.

Das «Zen­trum aller Dinge», der Zen­trums­gedanke, ist allerd­ings etwas kom­pliziert­er, wenn wir die neue, glob­al­isierte und ver­net­zte Welt, und damit den Wirtschaft­sraum nicht als eine Fläche, son­dern als Kugel definieren. SVP, jet­zt kön­nt ihr was ler­nen: Die Kugel hat das Zen­trum im Mit­telpunkt, und die per­ifer­en Punk­te auf der Aussen­fläche sind eben nur noch kleine Punk­te. Es gibt an der Ober­fläche kein zweites Zen­trum. Umso wichtiger ist es als Nation, sich als Teil der Kugelober­fläche zu definieren. Wir müssen ler­nen, wo und wie unsere Funk­tion in Abhängigkeit zu den anderen Teilen ste­ht. Der Zaun um das Gärtchen, so wie viele es gerne hät­ten, ist ein ziem­lich rück­ständi­ges Sym­bol. Wir sind eben «nur» ein Teil des Ganzen. Und das mit der Kugel ist nicht son­der­lich neu: Pythago­ras hat­te das schon 600 Jahre vor Chris­tus erkan­nt.

Was hat das alles mit Kul­tur zu tun? Alles. Ich zwei­fle aber lei­der daran, dass wir die Kugelde­f­i­n­i­tion mit Kreatio­nen wie dem «Bauer ledig sucht…»-SRF-Image, dem ach so fröh­lichen Musikan­ten­stadel-Jass-Kilchsperg­er und den neu­ro­tis­chen Punk­teprof­it-Poli­tik­erIn­nen lösen kön­nen. Auch wird es schwierig, dabei auf den Stühlen sitzen zu bleiben. Deswe­gen: Hey, ran an die Rud­er! Bewegt Euch.

Artikel online veröffentlicht: 27. August 2015 – aktualisiert am 17. März 2019