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Neuer Biss des Krokodils

Von Son­ja Hugen­to­bler-Zur­flüh - Jährlich 30 Mil­lio­nen verkaufte Krokodil-Artikel mehr als 70 Jahre nach Fir­men­grün­dung zeu­gen von der beispiel­losen Erfol­gs­geschichte des gestick­ten Gross­mauls, das von René Lacoste ins Leben gerufen wurde. Enträt­selung eines Phänomens.

Weil Tra­di­tion Hochkul­tur hat, lieben wir Leg­en­den und Geschicht­en aus ver­gan­genen Zeit­en. Wir sehnen uns nach ver­lässlichen, aus der Mode ger­ate­nen Werten. Das ehe­ma­lige Yup­pie-Label Lacoste sym­bol­isiert diese Werte, gepaart mit sportlich­er Ele­ganz und — ganz neu — auch mit dem Look der Hip-Hop-Gen­er­a­tion.

Lacoste ist ein Tra­di­tion­sla­bel, dessen Verkauf­szahlen, anders als die viel­er ander­er Tra­di­tion­sun­ternehmen, seit dem 60er Jahre Boom ständig gestiegen sind und in den let­zten fünf Jahren eine beispiel­lose Pop­u­lar­itäts-Explo­sion erlebt hat. Das mag den modis­chen Beobachter ver­wun­dern, denn mit sein­er getreuen anges­tammten ehe­ma­li­gen Yup­pie-Kund­schaft der 80er Jahre, die heute zu den Gold­en Agern gehört, hat Lacoste sozusagen unter Auss­chluss der Mode-Öffentlichkeit seine Geschäft weit­er gesteigert. Und dabei ist es nicht geblieben. Um das Image des leg­endären Krokodils nicht mit dem Älter­w­er­den sein­er Stammkund­schaft verblassen zu lassen, wurde 2001 der franzö­sis­che Design­er Christophe Lemaire verpflichtet. Dieser hat­te die Auf­gabe, eine jün­gere, mode- und stil­be­wusste Gen­er­a­tion zu erre­ichen. Auf die Frage, weshalb Lacoste nicht wie seine berühmten Mit­stre­it­er einen noch berühmteren Design­er­star verpflichtet, antwortet Guy Latourette, CEO der Fir­ma La Chemise Lacoste und Präsi­dent der Fir­ma Devan­lay, Pro­duk­tions­fir­ma von Lacoste: «Wir haben einen Star. Das Krokodil ist der Star. Wir haben das Glück, keine Leg­ende kreieren zu müssen. Seit dem Relaunch des Labels vor fünf Jahren im ele­gan­ten Paris­er Polo Club im Bois de Boulogne wurde nicht nur Wer­beaufwand, son­dern auch der Umsatz ver­dop­pelt.

Christophe Lemaire ist gelun­gen, die anges­tammte Kund­schaft bei der Stange zu hal­ten und eine neue dazu zu gewin­nen. So sind die Umsatzen­twick­lun­gen kon­tinuier­lich steigend. Lemaires Rezept: «Ich kreiere nie in der Eile. Ich beobachte und nehme Abstand. Ich unter­schei­de zwis­chen Ten­den­zen, die wan­del­nde Lebensstile her­vor­brin­gen und den hys­ter­ischen, von den Medi­en hochge­hypten Mod­eer­schei­n­un­gen». Diesem Cre­do fol­gt eine Kund­schaft mit ein­er Alterss­panne von 13 bis 70, was im Jahrmarkt der Eit­elkeit­en für einen Mod­ean­bi­eter eine Meis­ter­leis­tung ist. Im Jahr 2005 wurde ein Umsatz von 857 Mil­lio­nen Dol­lar erzielt. Und der Zukun­fts­markt kommt dem Sinn für sportliche Ele­ganz ent­ge­gen. Noch nie war an Edel­sport angelehnte Mode so gefragt wie heute.

Doch das Phänomen Lacoste birgt noch ein zusät­zlich­es Geheim­nis. Das Krokodil, lange Zeit Sym­bol sozialen Wohl­stands, hat die reichen Stadtquartiere ver­lassen und ist zum Hausti­er der Vorstadt-Kids gewor­den. Auf Beton­spielplätzen von Sozial­baut­en erlebt es seinen zweit­en Früh­ling neben Puma, Nike und Adi­das. Die Kids mit Lacoste-Polos‑, Sneak­ers- oder Bana­nen­taschen wis­sen sehr wohl, dass das bis­sige Rep­til über Jahrzehnte der Inbe­griff diskreten bürg­er­lichen Chics war. Und genau das ist es, was sie reizt. Ihre neuen Must Haves drück­en die Zuge­hörigkeit zu ein­er Gesellschaftss­chicht aus, die für sie unerr­e­ich­bar ist. Deshalb wollen sie auch nicht die Kopie, son­dern das Orig­i­nal. Und stürzen sich in Massen auf Acces­soires, die Lacoste neu her­aus­bringt, selb­st wenn es eine banale Bana­nen­tasche ist. 17‘000 Exem­plare gin­gen in der Schweiz in einem Jahr über den Laden­tisch, meist an Jugendliche. Die Lacoste-Banane wird nicht wie die Bauch­tasche eines Bil­lig­touris­ten getra­gen, son­dern wie eine Chanel-Preziose, über der Schul­ter unter die Achsel gek­lemmt.

Seit amerikanis­che Rap­per Lacoste tra­gen und das noble Rep­til nun auch die Sprache der Strasse spricht, reagiert man im Haupt­sitz irri­tiert über den stets steigen­den Umsatz-Segen. Auf Nach­fra­gen wird das Phänomen bagatel­lisiert. Man will Rotari­er und Ten­nis-Cracks nicht vor den Kopf stossen, son­dern für sie das Image des Bon Chic, Bon Genre Chics bewahren. Denn dass diese «vieille Bour­geoisie» bei der Stange bleibt, ist essen­tiell, um die Begehrlichkeit für die Vorstadt-Kids weit­er­hin am Pulsieren zu hal­ten. Um den Elite-End­ver­brauch­er mit den tra­di­tionellen Lacoste-Werten anzus­prechen, wurde denn auch die neue Image-Kam­pagne in Gang geset­zt, die wieder mit dem Kon­ter­fei des Fir­men­grün­ders operiert.

Gle­ichzeit­ig hat der Wille, auf zwei Hochzeit­en zu tanzen, wesentliche Verän­derun­gen im Mar­ket­ing bewirkt. In den let­zten vier Jahren sind in den Ban­lieus von Paris elf Lacoste-Shops eröffnet wor­den. Die Délés wer­den nicht mehr in Paris präsen­tiert, son­dern in New York. Zur Präsen­ta­tion der Lacoste-Mode wer­den neuerd­ings auch schwarze Mod­els verpflichtet. Damit sig­nal­isiert die Paris­er Fir­ma deut­lich die Öff­nung seines Mar­ket­ing auf sozialer und kul­tureller Ebene, auf dass sich das Krokodil wohl fühlt, sei es auf dem Court, in den Vil­len­vierteln und auch in den Beton-Hochhäusern der Vorstädte. 

Fir­mengeschichte Die Geschichte des Krokodils begin­nt 1925. Damals gewann die Ten­nisle­gende René Lacoste, 21-jährig, alle Titel vom Coupe Davis zu Roland Gar­ros über Wim­ble­don bis zu den US Open. Die Geburt des Krokodils hinge­gen geht auf ein ver­lorenes Spiel zurück. Der Cap­tain des franzö­sis­chen Davis-Cup-Teams ver­sprach René Lacoste einen sünd­haft teuren Krokodilled­erkof­fer, den René bei einem gemein­samen Spazier­gang während des Davis Cup in einem Boston­er Schaufen­ster ent­deck­te. René Lacoste ver­lor den Match, und eine Zeitung meldete, er hätte gekämpft wie ein Krokodil. Die weltweite Presse berichtete for­t­an von Lacoste von «le croc­o­dile». Zum Trost für den nicht gewonnenen Krokodilled­erkof­fer liess Lacostes Fre­und Robert George dem Ten­nis-Cham­pi­on ein Polo-Shirt anfer­ti­gen mit einem handge­stick­ten Krokodil. Das Krokodil wurde zu René Lacostes per­sön­lichem Marken­ze­ichen und nie wieder wurde er auf dem Ten­nis­platz gese­hen ohne ein Krokodil auf seinem Shirt. Voilà, die Leg­ende Lacoste war geboren! Sei­ther wurde das Rep­til nur zweimal ger­ingfügig verän­dert, das let­zte Mal vor einem Jahr zum 70. Fir­men­ju­biläum (das Schwarzweiss­bild zeigt dieses erste Polo mit handge­stick­tem Krokodil).

1933 been­dete René Lacoste seine Sportler­lauf­bahn und grün­dete zusam­men mit seinem Fre­und André Gilli­er, Besitzer der grössten Strick­erei Frankre­ichs, eine Pro­duk­tion­s­ge­sellschaft, die sich heute Devan­lay S. A. nen­nt, um das bestick­te Polo-Shirt zu kom­merzial­isieren. Im sel­ben Jahr bracht­en sie den erste Kat­a­log her­aus mit Bek­lei­dung für Ten­nis, Golf und Segel­sport. Alle Teile tru­gen das markante Krokodil. Erste Wer­be­plakate erschienen. Sie waren die Sen­sa­tion, denn nie zuvor wurde ein Marken­ze­ichen auf der Aussen­seite eines Klei­dungsstücks ange­bracht. Das Lacoste-Shirt ver­bre­it­ete sich unter Sportlern explo­sion­sar­tig. Das erste Lacoste-Shirt war weiss mit kurzem Arm und Rip­penkra­gen und hat­te die Fab­rika­tion­snum­mer 1212. Es war hergestellt aus dem berühmten «petit piqué», dem bis heute beliebtesten und imi­tierten Bienen­waben-Jer­sey. Die Beze­ich­nung 1212 als interne Pro­duk­tion­snum­mer wird bis heute gebraucht. Bis 1950 existierte das Shirt nur in Weiss. 1951 kamen Marineblau und Rot dazu. Heute wird es in 65 Farbtö­nen ange­boten.

Zwis­chen 1946 und 1996 wur­den sys­tem­a­tisch aus­ländis­che Märk­te in 85 Län­dern erobert, Lizen­zen vergeben und das Ver­trieb­snetz erweit­ert mit 784 eige­nen Bou­tiquen und 1700 Shop­cornern, in denen mit­tler­weile Damen‑, Her­ren- und Kin­der­mode verkauft wird, Uhren, Schuhe, Brillen und Sport­taschen. Mit dem Cou­ture­haus Jean Patou wur­den ver­schiedene Män­nerdüfte entwick­elt, vor fünf Jahren das erste Damen­par­fum.

Lacoste beste­ht aus zwei Fir­men. Die eine ist La Chemise Lacoste, Besitzerin der Marke Lacoste. Sie gehört den bei­den Aktionärs­grup­pen Lacoste zu 65 Prozent und Devan­lay zu 35 Prozent, die ihre Pro­duk­te in der nord­franzö­sis­chen Tex­tilin­dus­tri­es­tadt Troyes her­stellt.

Die zweite Fir­ma ist Devan­lay S. A. und dieser Faden führt in die Schweiz. Seit 1998 gehören 90 Prozent davon der Gen­fer Fir­ma Maus Frères, 10 Prozent der Fir­ma La Chemise Lacoste. Devan­lay wur­den 1999 die weltweit­en Lizen­zrechte bis am 31.12.2012 über­tra­gen. Diese schliessen Kreation, Fab­rika­tion, Dis­tri­b­u­tion, Mer­chan­dis­ing und Wer­bung der Lacoste-Pro­duk­te ein und vere­inen so wichtige Pole unter einem Dach. Heute, 73 Jahre nach Fir­men­grün­dung, zählt Lacoste 50‘000 Mitar­beit­er, die 30 Mil­lio­nen Artikel pro­duzieren, 6 Mil­lio­nen davon immer noch Kurzarm-Shirts.

Seit 52 Jahren ist das Krokodil in der Schweiz etabliert. Die Gen­fer Devan­lay-Tochter Delac SA, beschäftigt 75 Mitar­bei­t­erIn­nen. In der Schweiz wer­den 22 Lacoste-Bou­tiquen und 40 Shop­corner geführt.

Bild: Fir­men­grün­der René Lacoste, zVg.
ensuite, Novem­ber 2007

 

 

 

Artikel online veröffentlicht: 18. September 2017