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Paolo Sorrentino: Youth

Von San­dro Wied­mer - In seinem neuen Film erfind­et der ital­ienis­che Regis­seur einen Zauber­berg, mit Michael Caine und Har­vey Kei­t­el als alte Män­ner, die Betra­ch­tun­gen über ihre Kar­ri­eren, den Tod, und die titel­gebende Jugend anstellen.

Davon aus­ge­hend, dass diese kurze Inhalt­sangabe dem Film gerecht wird, kann kaum auf aufre­gen­des Kino geschlossen wer­den. Eher auf etwas schw­er Las­ten­des, wie etwa «Amour» (2012) von Michael Haneke, mit Jean-Louis Trintig­nant und Emmanuelle Riva, oder auf eine melan­cholis­che Komödie wie «The Buck­et List» (2007) von Bob Rein­er, mit Jack Nichol­son und Mor­gan Free­man, oder «About Schmidt» (2002) von Alexan­der Payne, in dem eben­falls Jack Nichol­son bril­liert. Obwohl diese Ver­gle­iche nicht kurz fall­en, kein­er trifft auf das neue Werk von Sor­renti­no zu, dessen Hand­schrift mit jedem neuen Film an Unverkennbarkeit gewin­nt, ohne dass er sich dabei wieder­holen würde. Charak­ter­is­tis­che Eigen­schaften sind zum Beispiel die untrennbare Verquick­ung von Bild und Ton, unge­wohnte Kam­er­ap­er­spek­tiv­en, eine Bild­kom­po­si­tion, welche nicht sel­ten an die alten Meis­ter der Malerei gemah­nt, die pointierten Dialoge, welche oft über Blicke und Gesten geführt wer­den. Nicht von unge­fähr wird seine opu­lente Bild­sprache in die Nähe der­jeni­gen von Fed­eri­co Felli­ni gerückt.

Michael Caine gibt den britis­chen Kom­pon­is­ten und Diri­gen­ten Fred Ballinger, der sich endgültig zur Ruhe geset­zt hat, sich sog­ar weigert, anlässlich sein­er Adelssprechung durch die Köni­gin Eng­lands am Geburt­stag ihres Sohnes Prinz Philip seine «Sim­ple Songs» zu dirigieren. Har­vey Kei­t­el tritt als amerikanis­ch­er Regis­seur Mick Boyle auf, welch­er daran ist, das Drehbuch zu seinem filmis­chen Tes­ta­ment «Life’s Last Day» zu vol­len­den, nach zwanzig Fil­men «dem einzig wichti­gen», seinem «emo­tionalen, intellek­tuellen und moralis­chen Ver­mächt­nis». Die bei­den tre­f­fen sich wie seit Jahren während der Ferien in einem lux­u­riösen Kurho­tel in den Schweiz­er Alpen. Der Musik­er in Begleitung sein­er Tochter und Assis­tentin (Rachel Weisz), der Filmemach­er mit einem fün­fköp­fi­gen, jugendlichen Drehbuchteam, welch­es seinem Werk den let­zten Schliff ver­lei­hen soll. Unter den Kurgästen weilt zudem der auf­strebende junge Schaus­piel­er Jim­my Tree (Paul Dano), frus­tri­ert, weil er immer wieder auf seine Rolle als «Mr. Q» ange­sprochen wird, in einem Film über einen Robot­er, in dem er eine schwere Rüs­tung trug die selb­st sein Gesicht ver­barg. Da ist auch ein schw­er übergewichtiger Mann, dessen Rück­en das tätowierte Kon­ter­fei von Karl Marx ziert, in ständi­ger Begleitung sein­er Frau, die ihn mit einem Sauer­stof­fgerät begleit­et. Ein tibetanis­ch­er Mönch, dem nachge­sagt wird, dass er die Kun­st des Schwebens beherrscht. Die altver­heirateten Ehep­art­ner, welche die bei­den Pro­tag­o­nis­ten im Speis­esaal zu Wet­ten ver­an­lassen, ob sie vielle­icht dies­mal ein Wort wech­seln wer­den. Und da sind die Aben­dun­ter­hal­tun­gen, über die ständig gefrotzelt wird, sei es die Dar­bi­etung eines Alphorn-Orch­esters auf ein­er Drehbühne, sei es ein Auftritt von Mark Kozelek, oder eine kun­stvolle Per­for­mance, in welch­er gigan­tis­che Seifen­blasen geschaf­fen und zum Platzen gebracht wer­den.

Vieles in diesem vielschichti­gen Film ist metapho­risch, die Ironie darin hat min­destens einen dop­pel­ten Boden wenn nicht mehr, und trotz­dem lässt Sor­renti­no jed­er sein­er Fig­uren die Momente, in welchen sie auf­scheinen. Das geht so weit, dass während ein­er Par­al­lelfahrt, als Rachel Weisz an einem leeren Pool ent­lang geht, für drei Sekun­den Tom Hardy sicht­bar ist, der ein­fach so da sitzt und ihr nach­schaut. Der fet­tleibige Mann erweist sich als Darsteller von Diego Maradona, das Nägel kauende Teenage-Girl als die einzige Per­son, welche den jun­gen Schaus­piel­er aus einem anderen Film als «Mis­ter Q.» zu schätzen weiss, der Mönch aus Tibet begin­nt, zum Crescen­do aus «Storm» von God­speed You Black Emper­or, tat­säch­lich vor dem Alpen­panora­ma zu schweben. Ein Kabi­nettstück ist auch Michael Caine, der am Wal­drand sitzt und die Kühe betra­chtet, dem Gebim­mel ihrer Glock­en lauscht. Irgend­wann begin­nt er, mit den Hän­den zu dirigieren, und das Glock­en­geläute fügt sich zur Musik zusam­men, bis er die Arme aus­bre­it­et und hin­ter ihm ein Vogelschwarm aus den Bäu­men auf­steigt. «Men­schen, Artis­ten, Tiere, Pflanzen, kein Unter­schied, wir sind alle nur Sta­tis­ten», meint der Regis­seur, als er sein Drehbuch-Team am Bahn­hof vor der Heim­reise ver­ab­schiedet, nach­dem seine langjährige Haupt­darstel­lerin Bren­da Morel (Jane Fon­da) angereist ist, um ihm zu eröff­nen, dass sie aus dem Pro­jekt aussteigt, wom­it sie es platzen lässt, weil sie der Rolle in ein­er Fernseh-Serie den Vorzug geben will. Allerd­ings ist sie nicht auss­chliesslich zu dem Zweck nach Europa gekom­men, son­dern um «an irgen­dein­er Gala am Film­fes­ti­val von Cannes teilzunehmen», wie ein­er der Autoren zu bericht­en weiss. (Der Film hat­te an der diesjähri­gen Aus­gabe seine Pre­miere.) Der sub­tile Witz, die Bildge­walt, ger­ade in den an das Sur­reale gemah­nen­den (Traum-) Sequen­zen, machen den Film zu wahrhaft aufre­gen­dem Kino, welch­er dem Pub­likum in Cannes anlässlich der Urauf­führung tat­säch­lich eben­so lei­den­schaftliche Ablehnung wie eupho­rischen Applaus ent­lock­te.

«Youth» (I/F/CH/UK), 2015, Regie: Pao­lo Sor­renti­no, mit Michael Caine, Har­vey Kei­t­el, Rachel Weisz, Jane Fon­da, Paul Dano, Madali­na Diana Ghe­nea, Sumi Jo, Ed Stop­pard, Palo­ma Faith, 123 Min., ab 10. Sep­tem­ber in den Schweiz­er Kinos

Artikel online veröffentlicht: 15. Juni 2016