Von Heinrich Gartentor - Alexandre Schmidt ist seit Mai 2012 mein Facebookfreund. Mein Interesse hat er 2012 geweckt mit dem Vorschlag, ein im Tierpark geplantes Süsswasseraquarium mit einheimischen Fischen direkt an den Beckenrand der Ka- We-De zu bauen. Meinen Kindern würde das extrem gefallen, dachte ich. Und seither verfolge ich aus dem fernen Horrenbach, was Schmidt in Bern unternimmt. Aus Stadtrat Schmidt ist Gemeinderat Schmidt geworden. Er ist zuständig für Finanzen, Personal und Informatik.
Herr Schmidt, was ist aus der Ka-We-De-Idee geworden?
Nichts ist stärker als eine gute Idee! Meret Oppenheim sagte einst sinngemäss, jede wirklich neue Idee ist eine Aggression. Entsprechend ist Beharrlichkeit gefragt. Als Variante wird die Idee nächstens dem Gemeinderat unterbreitet. Soviel vorweg: Aus Fischen sind Pinguine geworden.
Seit 2013 sind Sie Gemeinderat der Stadt Bern. Nun ist Wahlkampf und Sie stehen mit Ihrer FDP auf komplett verlorenem Posten. Wie viel müsste Ihre Partei eigentlich zulegen, damit Sie reelle Chancen auf eine Wiederwahl hätten?
In meinem Leben wurde ich oft unterschätzt. Diese Rolle kenne ich, das macht mir keine Angst. Aber, natürlich, ich brauche jede Stimme!
Die FDP hat am meisten Bundesräte, Regierungsräte und Gemeinderäte. Wie in der ganzen Schweiz werden die Berner eine pragmatische, seriöse und sachliche Stimme in ihrer Regierung wollen. Aber es stimmt: Für einen sicheren Sitz braucht es über 15 Prozent, da steht mir noch etwas bevor. Aufgrund der Konstellation mit dem Proporz wäre an meiner Stelle Erich Hess gewählt.
2012 hattet ihr 10%, im Jahr 2000 noch 20.7%. RGM scheint es nicht allzu schlecht gemacht zu haben, dass die FDP derart eingebrochen ist?
Ich bin genau an einem schwarzen Wahlsonntagabend der FDP beigetreten. Unser Land verdankt einen grossen Teil des Erfolgs unseren liberalen Vorfahren, und solange die FDP nicht wieder dort ist, wo sie einst war, werde ich mich einbringen. Die FDP muss selbstkritisch sein. Sie hat sich zu lange nur um die totale Freiheit gekümmert, und um den verantwortungsvollen Umgang mit ihr, und vor allem die Haftung bei Missbrauch der Freiheit vernachlässigt und damit die Wähler enttäuscht. Ich will, dass wir wieder für Werte und Verantwortung erkannt werden.
RGM ist langweilig geworden. Sie will vorschreiben, wie wir wohnen und uns bewegen sollen, welche Energie wir zu nutzen haben, was wir lernen und essen müssen, welche Werbung wir zu Gesicht bekommen, was wir gernhaben dürfen. Das ist das pure Gegenteil von Multikulti, wo jeder nach seiner Façon leben darf. Ich wünsche mir eine offene, bunte und erfolgreiche Stadt.
Aber wenn ich ein paar Zahlen dieser Legislatur anschaue, scheint Bern doch ziemlich attraktiv zu sein. Seit 2012 gibt es in Bern über 500 juristische Personen mehr, und allein im letzten Jahr ist der Ertrag der Stadt um 25 Millionen gestiegen. Sogar die jährlichen Übernachtungen sind um 48’000 gestiegen seit 2012.
In Bern regiert nicht die Planwirtschaft. Die Gesellschaft ist komplexer. Voran bringt uns der Gestaltungswille der Individuen. Etwas dogmatisch zusammengefasst gilt: Je weniger staatliche Bevormundung, desto grösser das Wachstum. Darum die Gegenfragen: Kommen wir voran dank oder trotz RGM? Ist der Abstand zu Basel oder Zürich grösser oder kleiner geworden?
Sie haben einen Masterplan präsentiert, mit vielen Ideen, welche die Innenstadt aufwerten sollen. Ist das nicht nur Wahlkampf?
Nein, ich arbeite schon lange am Thema. Die Innenstadt wird vom Bahnhofshopping, Online-Handel, Einkaufstempeln und Quartieraufwertungen bedrängt. Die SBB investieren bald eine Milliarde in den Bahnhof, damit in rund zehn Jahren der Hirschengraben als Hauptausgang fungiert, was den Schwerpunkt der Altstadt nach Westen verlagert. Kinosterben und Einwohnerrückgang tun ihr übriges.
Was heisst das für die Altstadt?
Bern soll nicht die Geschichte der Altstadt sein, sondern die Altstadt soll die Zukunft von Bern sein. Wir müssen handeln. Ich habe zwei städtische Liegenschaften für Wohnraum geleert, das Swiss Brand Museum ins Zollhäuschen gebracht, im Münsterpavillon einen neuen Pächter eingesetzt, und mit dem durch den Mosesbrunnen fliessenden Stadtwein den Nukleus eines neuen Stadtfests geschaffen. Aber das reicht nicht.
Mit 100 Litern Weisswein und einem Allerweltsfestzelt mit Stehtischen wie in diesem Jahr hat das potentiell neue Statdtfest aber einen schweren Stand gegen die Stadtfeste Fasnacht und Buskers. Wie geht es nun weiter mit dem Weissweinfest? Hat es eigentlich einen Namen?
«Le Neuveville Nouveau». Der Stadtwein kommt aus La Neuveville. Er gehört den Einwohnerinnen und Einwohnern der Stadt. Darum soll am Tag, wenn der neue Jahrgang in die Läden kommt, eine Happy Hour stattfinden. Eine kleine, feine Perle könnte so entstehen, vielleicht scheitern wir aber.
Zurück zur Altstadt. Was braucht es sonst noch?
Ohne das Unesco-Kleid zu wechseln, kann die Altstadt an Attraktivität punktuell mit Accessoires zulegen. Das Waisenhaus dem Kunstmuseum übergeben, Bern als Schokoladengeburtsstadt positionieren, längere Ladenöffnungszeiten gezielt am Samstag, weg mit den Oberleitungen der Busse von Bernmobil – die Technik ist ja soweit –, Daueröffnung des Zytglogge-Turms, die Technologiesprünge bei den Fassadenbeleuchtungen nach Bern bringen. 15 Vorschläge habe ich letzthin präsentiert, sicherlich gibt es viele andere Ideen. Hauptsache, wir einigen uns auf ein paar davon.
Ist die Liste abgeschlossen oder kommt da noch mehr?
Dieses Wochenende ist mir beim Spazieren in der unteren Junkerngasse aufgefallen, wie schön dekoriert eine Laube sein kann. Das wäre mein 16. Vorschlag, adressiert an die Hausbesitzer. Wenn wir schon zurecht stolz auf die sechs Kilometer Laubengänge sind: Sie könnten mit Mitteln der Beleuchtung, Stuckatur oder Musterung weit prächtiger strahlen!
Da graut mir aber vor Basteleien und Kitsch. Wieso kann man die Lauben denn nicht einfach so lassen, wie sie sind?
Halt. Ich meine natürlich Laubenverzierungen, die Unesco-würdig gestaltet sind. Schauen Sie mal genau hin. Zig Laubenbögen wurden mit der Zeit herausgehauen. Statt Rundungen dominieren Ecken. Teils sind Lampen montiert, die keine echte «Anciennität » ausstrahlen.
Ich hätte Ihnen auch einen Vorschlag. Auf dem Thunersee steht ein ausrangiertes Schiff mit dem Namen «Stadt Bern». Das müsste doch wieder fahren und für Bern werben? Die «Stadt Bern» galt immerhin neben dem Dampfschiff Blüemlisalp als schönstes Schiff auf dem See.
Und das Schiff legt dann auch wieder beim Ländtetor bei der Nydeggbrücke an? (lacht) Mich sprechen solche Ideen immer an, wenn wir wichtige Zeitzeugen wiederauferstehen lassen.
Bleiben wir beim Tourismus: Die Reitschule ist doch der heimliche Tourismusmagnet Nummer eins. Gibt es Erhebungen, was die Reitschule der Stadt und ihrer Wirtschaft finanziell bringt?
Reitschule und Kommerz? Steht dies in ihrem Manifest neu so drin?
Ich kann es auch Umwegrendite nennen: Die Reitschule ist ein Wirtschaftsfaktor in Bern. In welchem finanziellen Umfang profitiert Bern indirekt von der Reitschule? Das hat man ja sicher mal berechnet oder geschätzt.
Ich kenne die Antwort nicht, und würde den Wert der Reitschule nie nur aufs Ökonomische reduzieren. Generell freue ich mich über alle, die täglich aufstehen, um unsere Stadt voranzubringen. Da kommen viele Wirtschaftsfaktoren zusammen.
Wieso denken Sie, dass eine temporäre Schliessung der Reitschule nach dem Angriff von ein paar Tubeln auf die Polizei im März 2016 gut gewesen wäre?
Aus Erfahrung: Wäre nach dem Radau vom Freitag die Reitschule für den Samstag geschlossen worden, hätte es die Eskalation mit den elf verletzten Polizisten nicht gegeben.
Die Reitschule will Freiräume. Als Liberaler interessiert mich dies! Aber Freiheit ohne verantwortungsvolles Handeln zum Thema Gewalt ist Missbrauch von Freiheit. Das geht nicht und ist unhaltbar.
Auch aus Erfahrung: Marco Albisetti (Gemeinderat 1981–1992), einer ihrer FDP-Vor-Vor-Vorgänger, ist 1982 mit einem ähnlichen Vorhaben gescheitert. Er liess die Reitschule räumen, weil sich die Betreiber nicht mit der Stadt auf ein Betriebskonzept einigen konnten. Es folgte eine Nacht der Strassenschlachten. Wäre die Reitschule an diesem März-Samstag geschlossen worden, hätte die Stadt möglicherweise gebrannt. Ich war erstaunt, dass Sie die temporäre Schliessung verlangt haben.
Nach den März-Vorfällen hat sich ja die Reitschule selber eine temporäre Schliessung überlegt, und sie dann verworfen. Anders als früher müssten wir eine solche Schliessung am Ende einer Kaskade sehen, die wir vorher gemeinsam abgemacht haben. Zu Bern gehört ein autonomes Zentrum. Wir müssen aber einen Ausweg finden wie die Rote Fabrik, die Kaserne oder l’Usine es vorgemacht haben. Ich bin überzeugt, dass es zwischen Behörden und Reitschule eine Schnittmenge gegen Gewalt gäbe. Lippenbekenntnisse reichen nicht, es braucht Handlung. Ich bin offen für jede bessere Idee. Die Distanz zwischen den Betreibern der Reitschule und der Polizei ist noch immer zu gross.
Ich bin trotzdem erstaunt, dass Sie die temporäre Schliessung verlangt haben. Der Schmidt ist für mich eigentlich der, der mit Bedacht handelt – wie in der ehemaligen Feuerwehrkaserne, wo die Flüchtlingskinder nicht draussen spielen durften, und der Schmidt kam und führte unbürokratisch eine Lösung herbei.
Danke für die Blumen!
Sie kandidieren auch für das Stadtpräsidium und würden der oberste Chef der Kultur. Was wäre Revolutionäres zu erwarten?
Kunstrevolutionen erwarte ich von den Künstlern! Aber es freut mich, dass Sie es mir zutrauen. Christoph Reichenau präsentierte kürzlich nicht weniger als neun Thesen zur städtischen Kulturpolitik und liess keinen Stein auf dem andern. Nach 23 Jahren RGM gibt es offensichtlich zuhauf Baustellen.
Welche denn?
Die Abteilung für Kultur ist toleriert, nicht aber vollends akzeptiert. Mir fehlt sodann ein anerkanntes Massnahmen-Inventar, was Veranstalter, Publikum und Kulturmarkt brauchen, das man abarbeiten könnte. Die ordnende Hand des Gemeinderates könnte bei der Museumsinsel am Helvetiaplatz, bei einem gemeinsamen Kultur-Ticketing oder bei der Bündelung von Kulturwerbung helfen. Sodann dürfen wir nie mit Bestrebungen aufhören, der Jugend die Kultur nahezubringen.
Das kostet aber zusätzliches Geld.
Geld allein löst das Problem nicht. Solches macht viele in der Kultur träge, mundtot, langweilig, und damit schlussendlich kapputt.
Richtig ist, Platz zu machen für neue Kunst. Was das ist, wissen wir immer erst, wenn die Kunst gemacht ist. Nicht vorher. Darum müssen wir Überraschungsmomente nicht einfach zulassen, sondern wollen. Dank der Kunst bekommen wir Sachen zu sehen, an die wir nicht einmal gedacht haben.
Kunst ist für mich als Liberaler ein Ausdruck, auch ein Refugium der Freiheit. Kunst ist ein Gradmesser der Freiheit, nämlich dafür, was die Gesellschaft zulässt. Geschichtlich gesehen sind der Garant für Freiräume nicht die Kirche und der Adel oder der Kommunismus und die Generation der 68er. Sie förderten nicht Kultur, sondern bestimmten, was Kultur ist und darf. Ein Garant für freie Kultur ist dagegen das Bürgertum. Freiheit und Privatsphäre sind Biotope für Innovation und kreatives Schaffen, auch für die Kultur. Künstler sind gut beraten, Liberale zu wählen!
1967 vermachte Frau Schwob die nach ihr benannte Villa der Stadt als Künstlerhaus. Nun will die Stadt die Villa an Meistbietenden veräussern. Was ist da schief gelaufen?
Am Rotationsprinzip lag es. Die Ursprungsidee, dass sich Künstler laufend die Hausschlüssel weitergeben, funktionierte nicht mehr. Auf grosser Fläche passierte zu wenig. Warten wir mal ab, bis die Würfel definitiv gefallen sind.
Ich bin Künstler und Ausstellungsmacher, und die Kunsthalle Bern ist mir ein besonderes Anliegen, denn sie ist seit bald hundert Jahren das Schaufenster zeitgenössischer Kunst. Welchen Stellenwert hat die Kunsthalle für Sie?
Auf meinem Arbeitsweg komme ich täglich an der Kunsthalle vorbei. Von Aussen sieht man kaum Leben. Die Kunsthalle wirkt zu wenig wie ein Magnet. Ihr Bild vom Schaufenster wäre vielleicht die Leitschnur. Für zeitgenössische Kunst unternehme ich sonntags und in den Ferien grosse Wege.
Was würde Sie als Spaziergänger denn in die Kunsthalle hineinziehen?
Eine verstörende Skulptur auf dem Vorplatz, statt der Holz- eine Glastür, die einen Blick auf ein Exponat der Ausstellung zulässt, wiederum Skulpturen auf dem Terrassendach, Beleuchtung des Gebäudes in der Nacht. Von Aussen müsste erkennbar sein, was einen drinnen erwartet.
Seit fast hundert Jahren ist das Stück Land hinter der Kunsthalle für einen Erweiterungsbau vorgesehen. Wieso wurde nie in Betracht gezogen, das Museum für Gegenwart dort zu bauen, und so der zeitgenössischen Kunst mehr Gewicht zu geben?
Immerhin gehört das Land bereits der Stadt. Aber ich kenne die genaue Antwort nicht. Die Stadt investiert generell zu wenig in ihre Substanz. Nachdem wir die Finanzprobleme in den Griff bekommen haben, müssen wir jetzt wieder in die Stadt investieren. Grossen Handlungsbedarf haben wir bei Schulen, Sportanlagen und Kulturgebäuden.
Sie sind gegen ein Kunst-und- Bau-Prozent. Gute Kunst-und-Bau- Projekte könnten doch auch touristisch wertvoll sein?
Oh, ja! Genau deswegen reisen wir doch so gerne in andere Städte. Für Projekte braucht es aber keine Sonderkässeli mit Einmaleinlagen in kleinen Prozenthöhen. Sondern es braucht bloss den Mut, Projekte ordentlich ins Budget zu stellen. Die Mehrheiten kriegen wir schon hin.