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Frühlingsbeginn — oder: Was hat ein Museum mit dem Krieg zu tun?

Von Klaus Bonano­mi - 21.3. in Bern — die Muse­um­snacht wird zum Pub­likum­ser­folg, Tausende von Men­schen besuchen die 16 Museen, die bis 2 Uhr in der Früh geöffnet haben. Tagund­nacht­gle­iche in Bern — die Nacht wird zum Tage, weil wir zu unge­wohn­ter Stunde einen ganz anderen Blick auf Bilder und Kunst­werke wer­fen kön­nen…

21.3. in Bag­dad — der Grossan­griff auf Sad­dam Hus­sein und seine Paläste hat begonnen, tausend Marschflugkör­p­er schla­gen in der irakischen Haupt­stadt ein. Tagund­nacht­gle­iche in Bag­dad — die Nacht wird zum Tage, erleuchtet durch Gross­brände und die Leucht­spuren von Raketen…

Der Krieg — er ist auch dies­mal wieder: ein Krieg der Bilder. Was ist Infor­ma­tion, was Pro­pa­gan­da? Wir wis­sen heute, dass die von den Amerikan­ern ver­bre­it­eten Video­bilder der fer­nges­teuerten Marschflugkör­p­er, die uns damals so faszinierten, weil sie mit chirur­gis­ch­er Präzi­sion ihre aus­gewählten Ziele trafen, nur einen kleinen Teil der Real­ität zeigten: Was auf unseren Bild­schir­men wie ein Videogame aus­sah, verur­sachte im wirk­lichen Leben echte Todes­opfer und Ver­let­zte; die Bilder ent­pup­pten sich als Pro­pa­gan­da — genau­so wie auf der anderen Seite die Auf­nah­men von ein­er zer­störten Fab­rika­tion­san­lage für chemis­che Kampf­stoffe bei Bag­dad: Bevor die Irakis die aus­ländis­chen Fernse­hteams zum Schau­platz des Geschehens bat­en, mal­ten sie Tafeln, auf denen auf englisch geschrieben stand, dies sei eine Fab­rik für Milch­pul­ver gewe­sen.

Dies­mal sind wir noch näher dran und live dabei bei Panz­er­vorstössen und bei der Jagd auf abgeschossene Kampf­flugzeug-Piloten; doch wie damals wird ein gross­er Teil der Wahrheit erst später ans Tages­licht kom­men. Sich­er ist nur: In jedem Krieg ster­ben Men­schen, die Infra­struk­tur wird zer­stört, die Umwelt beschädigt — und auch uner­messliche kul­turelle Schätze sind in Gefahr. Die alli­ierten Luftan­griffe auf Dres­den im Zweit­en Weltkrieg forderten nicht nur viele Men­schen­leben, son­dern macht­en auch Weltkul­turgüter wie die Sem­per­op­er oder den Zwinger dem Erd­bo­den gle­ich; trotz inter­na­tionaler Proteste sprengten die islamistis­chen Tal­iban-Fun­da­men­tal­is­ten die gewalti­gen Bud­dha-Stat­uen im afghanis­chen Bami­an-Tal in die Luft, und auch im Golfkrieg von 1991 wur­den Kul­turgüter im Zweistrom­land zwis­chen Euphrat und Tigris in Mitlei­den­schaft gezo­gen. Im his­torischen Mesopotamien haben Sumer­er, Assyr­er, Baby­lonier, Pers­er, Römer und Byzan­ti­ner bedeu­tende Städte wie Baby­lon und Ninive gebaut, hier errichtete König Nebukad­nezar die Hän­gen­den Gärten der Semi­ramis, eines der sieben Weltwun­der der Antike; in Ur, der Geburtsstadt Abra­hams, in der Nähe des heuti­gen Bas­ra, liess der Herrsch­er Urnam­mu die Stufen­pyra­mide Zikku­rat erbauen, die als Vor­bild für den Turm­bau zu Babel diente… In Mesopotamien rollte erst­mals ein Rad, wurde die Schrift entwick­elt und ent­standen die ersten Städte und Staat­en; hier, so ver­mutet die Wis­senschaft heute, lag der bib­lis­che Garten Eden. Der Angriff auf Irak ist darum auch ein Angriff auf eine der Wiegen der Zivil­i­sa­tion.

In einem Ren­nen gegen die Zeit ver­suchte ein amerikanis­ches Archäolo­gen-Team, wenig­stens einen Teil der his­torischen Stät­ten zu kartieren und vor Kriegs­be­ginn die Mil­itärs auch auf dieses The­ma aufmerk­sam zu machen. Denn schon der Irak-Krieg von 1991 richtete in Ur, Baby­lon und Ninive grosse Schä­den an his­torischen Stät­ten an, und im irakischen National­mu­se­um von Bag­dad, das die weltweit schön­ste Samm­lung mesopotamis­ch­er Fund­stücke besitzt, schlug 1991 eine (fehlgeleit­ete) amerikanis­che Rakete ein, wie der öster­re­ichis­che Jour­nal­ist Andreas Feiertag in der Zeitung “Der Stan­dard” schreibt. Das eigentliche Ziel war nicht das Muse­um, son­dern das gegenüber­liegende Haus: Das Gebäude des irakischen Fernse­hens. Denn wer einen Krieg gewin­nen will, muss nicht nur die mil­itärischen Vertei­di­gungsan­la­gen des Geg­n­ers auss­chal­ten, son­dern auch dessen Infor­ma­tions- und Pro­pa­gan­dam­aschiner­ie…

Aus der Serie Von Men­schen und Medi­en
ensuite, April 2003

Artikel online veröffentlicht: 19. Mai 2017