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Was hat die Schweiz mit den Hopi-Indianern gemeinsam?

Von Klaus Bonano­mi - Bei­de wer­den sie von einem Ältesten­rat regiert… Es sind gute Zeit­en für böse Sprüche, denke ich mir beim Betra­cht­en der heuti­gen Zeitung: Vor­wei­h­nächtliche Schlüs­selüber­gabe im Finanzmin­is­teri­um, ein älter­er Grauhaariger und ein älter­er Glatzkopf lächeln gemein­sam in die Kam­era, und wer es nicht wüsste, käme angesichts dieses Bildes nicht auf die Idee, dass der eine der bei­den der abtre­tende und der andere der neu antre­tende Bun­desrat ist: Ein 61-jähriger erset­zt einen 62-jähri­gen, Mut zum Auf­bruch heisst das wohl.

Oder Mut zum Abbruch, denn Hans-Rudolf Merz eilt der Ruf voraus, ein ganz eis­ern­er Spar­er zu sein. Wir wer­den sehen. Sparen ist ja ohne­hin im Trend, auch bei den Medi­en wird abge­baut. Zwar, die Börsen­seit­en wer­den vom Volk der Kleinak­tionärIn­nen in guten wie in schlecht­en Zeit­en kon­sul­tiert; der Sport­teil inter­essiert in der Segler­na­tion Schweiz, ungeachtet ob unsere Ski­fahrer nun langsam oder schnell die Pis­ten hin­un­ter­rutschen. Poli­tik ist wichtig und gibt viel her, ger­ade in diesen „struben“ Zeit­en; und über Unglücks­fälle & Ver­brechen liest man und frau immer wieder gerne, schon nur um sich zu vergewis­sern, dass es einem sel­ber bess­er geht: Bei all diesen Ressorts kann man schlecht sparen, da würde das Pub­likum reklamieren. Bleibt also noch die Kul­tur, oder schön­er: das Feuil­leton als bevorzugte Spiel­wiese der Spar­er in den Zeitungs-Chefe­ta­gen.

Beim Tages-Anzeiger wer­den fünf Kul­tur-Redak­torIn­nen ent­lassen, es gibt täglich eine bis zwei Kul­tur­seit­en weniger, und der Leit­er des Kul­tur­res­sorts, der diesen Sparkurs offen­bar nicht mit­tra­gen will, muss gehen. Die Basler Zeitung stellt ihre Woch­enend-Beilage ein, und auch Le Temps in Genf spart. Ander­swo hat­te die Kul­tur gar nie einen grossen Stel­len­wert, etwa beim St. Galler Tag­blatt, wo die tägliche Kul­tur­seite irgend­wo zwis­chen Reklame und Pub­lire­porta­gen ver­steckt ist, als ob man sich ihrer schämte. Auch die Bern­er Zeitung platziert ihre Kul­tur­seit­en (oft­mals ist es auch nur noch eine pro Tag) im wenig pub­likum­swirk­samen hin­teren Teil des zweit­en Bun­des. Gar nicht zu reden vom Schweiz­er Fernse­hen: Hier ist die Kul­turberichter­stat­tung eine ewige Baustelle, wer­den Film- und Kul­tursendun­gen einge­führt und wieder eingestellt, weil sie unter Auss­chluss der Öffentlichkeit spät­nachts oder am Son­ntag früh stat­tfind­en und, oh Wun­der, kein Pub­likum find­en. In tage­sak­tuellen Sendun­gen wie der Tagess­chau kommt Kul­tur höch­stens an einem ereignis­ar­men Son­ntag zum Zug, mit einem Bericht über eine Ausstel­lung, unter­malt von dezen­ter klas­sis­ch­er Musik.

„Das Feuil­leton war nie ein Quoten­bringer“, hat das Mag­a­zin Facts erkan­nt. „Der Kul­tur­jour­nal­is­mus wird zurück­ges­tutzt. Die Feuil­letons haben an Bedeu­tung ver­loren — vor allem, weil sie zu unkri­tisch waren.“ Das mag sein; doch ger­ade in dieser Sit­u­a­tion wird wieder mal am falschen Ort ges­part: Wenn weniger Platz zur Ver­fü­gung ste­ht und kom­pe­tente Kul­tur-Fach­leute ent­lassen wer­den, dann wird im Kul­turteil notge­drun­gen fast nur noch das Pop­uläre disku­tiert. Die Kul­turberichter­stat­tung wird — wie ihr Berichts­ge­bi­et sel­ber — immer mehr event-ori­en­tiert: Keine Zeitung, die dieser Tage nicht über die grosse „Carmen“-Aufführung im Hal­len­sta­dion berichtet, Alain de Bot­tons neue Erleuch­tun­gen gewürdigt oder den Film­start des „Her­rn der Ringe“ beschrieben hätte. Natür­lich find­et gele­gentlich auch Aus­ge­fal­l­eneres und Exo­tis­cheres statt, aber kul­tur- und gesellschaft­spoli­tis­che Debat­ten, Rede und Gegenrede, Reflex­io­nen über den Tag find­et man heute fast nur noch im gut dotierten Feuil­leton bei der NZZ oder bei der WOZ. Diese lieferte kür­zlich frei Haus eine 16-seit­ige Beilage über „Musik und Poli­tik im glob­alen Rauschen“: Über­raschend, viel­seit­ig, manch­mal auch etwas abge­hoben und ärg­er­lich, aber nie lang­weilig. Etwas mehr von dieser Stre­itkul­tur wün­sche ich mir auch von anderen Medi­en im neuen Jahr!

Aus der Serie Von Men­schen und Medi­en
Car­toon: www.fauser.ch

ensuite, Jan­u­ar 2004

Artikel online veröffentlicht: 16. Juni 2017