Von Ruth Kofmel Bild - Ich weiss ja nicht, wie es Ihnen geht, wenn Sie sich so richtig in ein Thema reinknien — bei mir besteht immer die Gefahr, dass mir das eine oder andere dann auch verleidet. Momentan geht es mir mit meiner Musik so. Sie ist mir über, es tönt gerade alles gleich. Soul, Jazz, Hip-Hop: na ja… Gähhhn. Und weil die Welt irgendwie doch ganz gut eingerichtet scheint, komme ich auf Umwegen dazu, einen Artikel zu schreiben, der sich um ein Label dreht, das all den Sound vertritt, von dem ich keine Ahnung habe. Subversiv Records wird fünfzehn Jahre alt und ich muss — damit ich nicht ganz unwissend bin — Musik hören, die mir die Zähne zum Flattern bringt. Es ist ein Riesenspass, sag ich Ihnen. Ich schlage mir hier lauter Genres um die Ohren, die ich in keinster Weise zuordnen kann, mir fehlt jede Referenz, ich drehe die Anlage auf und lasse mir von Gitarren, Schlagzeug, Bass und rauen Stimmen das Testosteron erklären.
Ziel eines jeden Labels, welches mehr als einen Musikstil vertritt, ist es wohl, die geneigten Zuhörer ein wenig aufzuknöpfen und einen Musikgeschmack soweit auszudehnen, dass mehrere Stilrichtungen darin Platz finden. Im besten Fall ist ein Label eine Qualitätsgarantie, welches allen Musikliebenden ermöglicht, im heutigen Überfluss zu ihrem Stoff zu kommen, ohne sich gross zu verfransen. Auch wenn Musik zum festen Bestandteil fast jeden Alltags gehört, ist es abseits vom Mainstream extrem schwierig, sich zurechtzufinden. Die Suche nach guter Musik wird also durch das Label des Vertrauens enorm erleichtert und Subversiv Records ist ganz offensichtlich eines dieser Labels, welches sogar Novizinnen innerhalb eines Nachmittags dazu bringt, mit dem festen Vorhaben durch die Welt zu gehen, mehr «so Gitarremusig» zu hören.
Angefangen hat das alles aber natürlich viel bescheidener: Wie tönen Berge eigentlich? Massiv. Kein Wunder also, verschreibt sich eine Horde Teenager, umgeben von hohen Gipfeln, massiver Musik. Subversiv Records fand seinen Anfang auf einem Pausenhof im Berner Oberland, dort war die Tauschbörse für Kassetten mit Musik der härteren Gangart. Es musste anders klingen als das übliche Pop-Rock-Gesäusel, welches einem Teenager in ländlichen Schweizer Regionen Mitte der Neunzigerjahre serviert wurde. Am besten war Musik aus Amerika; wo Grosses auch gross klingt. Rund zehn Jungs fanden sich also zusammen — aber nur Musik zu hören und darüber zu lesen reichte als ernstzunehmende Revolution gegen das Alteingesessene nicht aus und sie wollten selbst Hand anlegen. Also fuhren sie nach Bern, kauften ein paar Instrumente und legten los. So entstanden zwei Bands: Unhold und Amokadatum, sie spielten bald die ersten Konzerte, und auf Kassetten aufgenommen und vervielfältigt wurden diese ihren Fans zugänglich gemacht; das Grafiktalent unter ihnen erschuf ein zeitloses Sujet — Subversiv Records war aus der Wiege gehoben. Dieser eingeschworene Kreis huldigte der Musik und weitete sich im Verlauf der Jahre von den Höhen aus in die Niederungen. In den Jugendtagen wurde das Fundament gelegt und man war mit Feuereifer, Improvisation und durchwachten Nächten mit dabei. Das Anderssein war Programm, dem Untergrund anzugehören ist es gewissermassen immer noch. Die Lebensläufe der Bergbuben entwickelten sich selbstverständlich in verschiedene Richtungen, ein harter Kern hat aber die fünfzehn Jahre überdauert und ist mit ungebrochener Energie am Werke. Dazu gehören Dani Fischer und Philipp Thöni, die zwei «Chefs» von Subversiv Records.
Für viele stellt sich einmal die Frage, wie es mit den jugendlichen Passionen weiter geht: Entweder abgeklärt werden oder aber die Idee verfolgen, das Feuer weiter brennen lassen. Professioneller versteht sich, organisierter, vielleicht etwas vernünftiger — aber es ist immer noch dasselbe Feuer und es schlägt einem im Gespräch mit Dani auch ungebremst entgegen. Der Treibstoff ist an diesem Abend Koffein in seinen verschiedenen Erscheinungsformen, die Sätze sprudeln und zwischendurch eignet sich ein Holzstäbchen und ein Glas optimal, um die Erzählungen nebenbei mit kleinen Rhythmen zu unterlegen. Dani erzählt davon, wie das Label kontinuierlich gewachsen ist. Wie er mit 24 Jahren nicht mehr in der Bank, sondern im Plattenladen arbeiten wollte und das auch tat. Wie er immer mehr über Musik lernte und lernte, seinem Gespür für Qualität zu vertrauen. Wie er sich immer noch die Nächte um die Ohren schlägt, um Bands zu hören, die vielleicht auf das Label passen würden. Kurz: Er erzählt davon, wie er die Musik zu seinem Lebensinhalt gemacht hat. Wie sein Alltag davon durchdrungen ist, das Private ins Berufliche spielt und umgekehrt, er also eigentlich immer mehr oder weniger am Arbeiten ist — es klingt anstrengend und sehr, sehr spannend.
Der zweite im Bunde, Philipp Thöni, ist einerseits als Grafiker eine bestehende Grösse und widmet sich andererseits mit ebenso viel Begeisterung der Musik. Bei der Labelarbeit ist er vor allem für den visuellen Auftritt zuständig, berät, setzt um und hilft auch sonst wo er kann. Grafik und Musik sind für ihn eng verknüpft, genaustes Analysieren der Plattencover gehörte für ihn von Anfang an dazu und hat seinen Zeichenstil massgeblich geprägt. Auch für ihn war es immer Ziel und Wunsch, die Musik fest in seinem Leben verankert zu wissen, auch er lebt ein Leben, dass sich nicht in Arbeit und Freizeit einteilen lässt — es sind lediglich verschiedene Formen der Umsetzung von Gedanken und Empfindungen. Philipp kommt ins Philosophieren, wenn er nach den Beweggründen für das fünfzehnjährige Bestehen sucht: Es sei eine Eigenart von ihnen, dieser Zusammenhalt, das Weitermachen, wohl auch eine gewisse Sturheit; und es sei auch nicht immer lustig, aber je länger man dabei sei, desto mehr fühle man sich irgendwie auch verpflichtet und zugehörig — ganz ähnlich einer Familie.
Selbstverständlich muss auch die Familienfeier zum Fünfzehnten mächtig werden. Mehrere Nächte lang gibt es in der Stadt Bern einen regelrechten Subversiv-Marathon, praktisch alle Bands des Labels werden im Verlauf dieses Wochenendes ihre Verstärker hochschrauben und in alles reinhauen, was da an Tasten, Saiten, Klangkörpern zur Verfügung steht, Stimmorgane frohgemut in den Ruin treiben und dem lieben Gott Musik seine Ehre erweisen. Damit auch der visuelle Hunger gestillt wird, ist ein abendfüllender Film abgedreht, der die Labelgeschichte nacherzählt: «Unter Strom» von Jan Mühlethaler und Matthias Hämmerly ist eine Collage von altem und neuem Filmmaterial aus der Subversiv-Welt und dürfte für Neulinge wie alte Hasen ein wahrer Leckerbissen sein.
Foto: zVg.
ensuite, Dezember 2009