Von Sonja Wenger — Kurz bevor sein neuer Film «Der letzte schöne Herbsttag» beim Züricher Film Festival gezeigt wird, verrät der Münchner Regisseur Ralf Westhoff, mit welchem Trick er seine Filme zum individuellen Erlebnis macht, was es für eine funktionierende Paarbeziehung braucht – und weshalb er dafür trotzdem keine Tipps geben kann.
Ralf Westhoff, in ihrem neuen Film «Der letzte schöne Herbsttag» sieht man über weite Strecken zwei Personen, Claire (Julia Koschitz) und Leo (Felix Hellmann), die über ihre Beziehung sprechen. Worum geht es sonst noch in dem Film?
Ralf Westhoff: Der Film hat zwei Ebenen. Zum einen ist da dieses junge Paar, das seine Beziehung diskutiert. Sie sind zwar überzeugt davon, dass sie zusammen passen und sich lieben, aber irgendwo hakt es und sie wissen nicht warum. Doch sie kämpfen um diese Beziehung. Im Erzählen über den jeweils anderen versuchen sie, mehr über das Gegenüber und über sich selbst herauszufinden, und so die Frage zu beantworten, ob diese Beziehung eine Zukunft hat. Die zweite Ebene passiert genau durch diesen Kunstgriff des Erzählens. Der Zuschauer weiß, dass alles, was da erzählt wird, eine Interpretation ist – und kann dann entscheiden, ob das mehr über den aussagt, der erzählt, oder über den, der beschrieben wird. Dadurch hat der Zuschauer die Möglichkeit, sich zu fragen, wie er sich selbst in Beziehungen verhält.
Aber lenkt das nicht zu sehr von der Geschichte ab, wenn die Zuschauer immer mal wieder abdriften oder man plötzlich für eine der beiden Figuren Partei ergreift?
Genau das finde ich das Spannende an diesem Film, auch weil ich darauf keinen Einfluss habe. Der Zuschauer filtert alles durch seine eigene Lebensrealität und jeder wird am Ende mit seinem eigenen Film nach Hause gehen. Hier ist nicht alles vorgekaut. Diese offene Dramaturgie hat zur Folge, dass der Film für den Zuschauer zu einem sehr individuellen Erlebnis werden kann.
Bereits in ihrem letzten Film «Shoppen», der achtzehn Leute beim Speed-Dating zeigt und für den Sie den Bayerischen Filmpreis erhalten haben, ging es um Beziehungen. Ist «Der letzte schöne Herbsttag» eine Art Fortsetzung davon?
Nein. Höchstens in dem Sinne, dass ich beide geschrieben habe. Doch bei «Der letzte schöne Herbsttag» wollte ich einen thematischen Gegenentwurf zu «Shoppen» machen, bei dem es ja um die Kritik an einer Art der Partnersuche geht, die manchmal dem Einkaufsverhalten gleicht. Im Sinne von: Ich habe klare Vorstellungen davon, wie mein Partner ist oder wie er aussehen soll, und wenn das nicht erfüllt wird, wechsle ich sofort zum Nächsten. Bei Claire und Leo ist es genau anders: Da sind zwei Personen, die haben Schwierigkeiten, aber sie kämpfen um ihre Beziehung. Sie bemühen sich, weil sie zusammen sein wollen.
Aber richtig kämpfen um ihre Beziehung tun die beiden erst gegen Schluss.
Sagen wir es so: Es wird erst spät deutlich, weil gegen Ende mehr Handlung passiert. Aber wichtig sind die Szenen des Erzählens über den anderen. Das ist für mich der Versuch der beiden, sich besser zu verstehen und sich mit dem anderen auseinanderzusetzen – und das ist das Gegenteil von Unachtsamkeit. Solange man dem anderen gegenüber Achtsamkeit aufbringt, macht man einen aktiven Schritt, die Beziehung zu bewahren. Erst wenn man sich keine Gedanken mehr darüber macht, wie der andere ist oder wie er denkt, ist die Beziehung gefährdet.
Und doch wirft Claire über weite Strecken Leo genau das vor. War das auch Dramaturgie, dass Sie den beiden sehr viele Kommunikationsschwierigkeiten eingebaut haben?
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, diese Art Fragen gar nicht zu beantworten. Die Geschichte braucht keine Erklärungen von meiner Seite. Das macht ja den Reiz des Films aus: Das man sich als Zuschauer selber die Fragen stellt, ob dieser Leo beispielsweise tatsächlich so unaufmerksam ist, wie Claire es ihm vorwirft, oder ob sie übertreibt oder untertreibt. Was auch immer ich mir gedacht habe spielt keine Rolle mehr. Es liegt jetzt am Zuschauer sich ein Bild zu machen.
Viele Menschen scheinen heutzutage das Bedürfnis nach einer «Gebrauchsanweisung» für das andere Geschlecht zu haben. War das in Ihrem Film auch ein Thema?
Nein. Ich wollte auf keinen Fall einen Film machen nach dem Motto: Männer sind so und Frauen sind so. Das ergibt sich zwar zwangsläufig, wenn sich ein Mann und eine Frau gegenseitig beschreiben. Aber es ging mir darum, welche Schwierigkeiten es gibt, wenn man eine Beziehung führt und nicht darum, Frauen und Männer in Schubladen zu stecken. Das würde sowieso nicht funktionieren. Aber das Thema Beziehung finde ich spannend, und ich wollte es auf meine Art und Weise beleuchten.
Woher kommt diese Faszination für das Thema Beziehungen?
Ich kann’s gar nicht sagen. Aber ich schreibe einfach gerne Dialoge, die Menschen charakterisieren und in denen sie erzählen können – und Beziehungen sind für Menschen nun mal ein grosses Thema.
Wird man nach zwei Filmen zu diesen Thema zum Experten?
Nein, um Himmels Willen! Es ist ja auch kein Film, der irgendwelche Tipps gibt. Ich stelle einfach Fragen, die dann jeder für sich beantworten kann. Ich weiss auch nicht mehr als andere.
Woher nehmen Sie die Inspiration für ihre Geschichten und Dialoge?
Das ist zum Grossteil Phantasie. Die Geschichten entstehen bei mir am Schreibtisch und ich schreibe einfach jene Szenen, auf die ich gerade Lust habe. Ich habe durch die Art, wie ich meine Filme aufbaue keine Not, dass ich gewisse Szenen schreiben muss, weil die Dramaturgie es beispielsweise verlangt, dass jemand von A nach B geht. Aber natürlich gehe ich auch mit wachen Augen durchs Leben. Aber wenn mir Leute Geschichten erzählen, nehme ich das nicht eins zu eins auf, sondern denke von dem Punkt aus dann weiter.
Wie viel von Ihnen selbst steckt in der Geschichte?
Das darf natürlich nie zu viel sein, sonst wäre das ein ganz langweiliger Film, den sich niemand ansehen möchte – und ich will ja, dass die Menschen ins Kino gehen. Als Drehbuchautor versuche ich mir einfach Mühe zu geben, dass ich über Menschen aus der heutigen Zeit schreibe – und dabei kann ich auch meinen Horizont erweitern.
Foto: zVg.
ensuite, November 2010