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Akris — in der Stille liegt die Kraft

Von Son­ja Hugen­to­bler-Zur­flüh - Bei der Geschichte des St. Galler Mod­e­la­bels Akris bewahrheit­et sich das alte Sprich­wort, dass der Prophet im eige­nen Land kein Gehör find­et. Inter­na­tion­al wird Akris im gle­ichen Atemzug mit Dior oder Chanel genan­nt und die Mod­ezeitschrift «Vogue US» hat Akris kür­zlich auf die Liste der weltweit zehn wichtig­sten Labels geset­zt. Rund um den Globus tra­gen ele­gante Frauen die Mode made in Switzer­land, nicht nur Susan Saran­don, San­dra Bul­lock, Brooke Shields, Con­doleeza Rice und Rania von Jor­danien. Nur in der Schweiz ist Akris vie­len unbekan­nt.

Beim New York­er Luxu­skaufhaus Bergdorf Good­man schlägt Akris die Umsatzquoten von Armani und Chanel und sein Konkur­rent Saks wid­met dem hel­vetis­chen Label zweimal jährlich seine zwanzig Meter lan­gen Schaufen­ster­fron­ten. Wenn Akris in Paris zur Mod­e­präsen­ta­tion ein­lädt, find­et sich die erste Garde von Hochglanz- und Fach­presse zusam­men mit hochkaräti­gen Einkäufern aus Asien, USA und Europa ein. Ein beispiel­hafter Auf­stieg für ein Fam­i­lienun­ternehmen, das vor 85 Jahren mit der Pro­duk­tion von Schürzen für die Gas­tronomie begann. Alice Kriem­ler, Gross­mut­ter der heuti­gen bei­den Chefs Peter (1962) und Albert Kriem­ler (1960), hat 1922 mit ein­er einzi­gen Näh­mas­chine den Grund­stein für die Fir­ma gelegt und ihr den Namen Akris, ein Kürzel für Alice Kriemer Schoch, gegeben.

Schon ihr Sohn Max hat­te 1945 bei Ein­tritt in die Fir­ma die Ambi­tion, mit dem Unternehmen über die Gren­zen hin­auszuge­hen. Er weit­ete das Sor­ti­ment um Blusen und Klei­der aus und so gelang es ihm, in den siebziger Jahren, mit den Cou­ture­häusern Givenchy und Lapidus zusam­men­zuar­beit­en und deren Kollek­tio­nen herzustellen. Damit hat er den Weg aufs inter­na­tionale Par­kett geeb­net.

Als Albert Kriem­ler 1980 zwanzigjährig prak­tisch über Nacht den Kreativchef seines Vaters erset­zen musste, war er darauf nicht vor­bere­it­et, denn er hat­te ganz andere Pläne. Er wollte in Paris die Mod­e­schule besuchen. Doch schon bald fand er gefall­en an der Her­aus­forderung, getra­gen von der Vision, Akris zu ein­er weltweit erfol­gre­ichen Mode­marke zu machen. Noch heute erzählt er, wie er als neun­zehn­jähriger Abi­turi­ent vor den Schaufen­stern des New York­er Kaufhaus­es Bergdorf Good­man ges­tanden hat und sich wün­schte, Akris dere­inst in diesen Schaufen­stern zu sehen. Als sein um zwei Jahre jün­ger­er Brud­er Peter 1987 zur Fir­ma stiess, war das Tan­dem per­fekt und man kon­nte daran gehen, die Vision in Real­ität umzuset­zen. Als pro­moviert­er Jurist und Ökonom ist Peter bis heute ver­ant­wortlich für Man­age­ment, Pro­duk­tion und Logis­tik. Sei­ther haben die Brüder mit der moralis­chen Unter­stützung ihrer Eltern Max und Ute Kriem­ler das Unternehmen ziel­sich­er in die tech­nol­o­gis­che Zukun­ft geführt und für ein langsames, aber kon­tinuier­lich­es Wach­s­tum gesorgt.

Die inter­na­tionale Aus­rich­tung began­nen sie 1988 mit Ameri­ka und kon­nten Bergdorf Good­man in New York als ersten Kun­den gewin­nen, wom­it Alberts Jugend­wun­sch in Erfül­lung ging. Es fol­gten bald auch die bei­den anderen Pres­tige-Kaufhäuser Saks und Neiman Mar­cus. In den neun­ziger Jahren peil­ten sie den japanis­chen Markt an und fan­den auf dem Nährbo­den der dama­li­gen Bub­ble-Econ­o­my sofort grossen Anklang. Diese Erfolge und das Defilee in Paris haben der Marke den Weg bere­it­et für den Durch­bruch in Europa, wo Akris seit eini­gen Jahren auch expandiert.

Die Strate­gie der Langzeit­en­twick­lun­gen für wirtschaftlichen Erfolg und Image-Aus­bau ist wohl ein Teil der Erk­lärung für den Erfolg von Akris. Ein Ziel, das Hun­derte ander­er Mod­e­la­bels ver­fol­gen, indem sie auf kur­zlebige Exper­i­mente und hochge­hypte Mode­strö­mungen set­zen, jedoch bei der ger­ing­sten Kon­junk­tur­baisse kapit­ulieren müssen. Eine solche Baisse hat­ten die Kriem­ler-Brüder im Jahr 1994 zu meis­tern, als die Umsätze aus Japan und Deutsch­land ein­brachen, die schwierig­ste Zeit seit der Exis­tenz des Unternehmens. Sie meis­terten sie mit Bedacht, indem sie für kurze Zeit ihre Struk­turen red­i­men­sion­ierten, nur um zwei Jahre später umso erfol­gre­ich­er zu expandieren.

Doch auch in ander­er Hin­sicht macht Akris vieles anders als andere Labels. Albert Kriem­ler lässt sich nicht — wie die meis­ten Design­er gross­er Mod­e­häuser — als ein Gott auf einem Sock­el bewun­dern, dem man jeden Wun­sch von den Augen abli­est und nicht mit Irdis­chem behel­li­gen darf. Sein Sinn für harte Real­itäten und den glob­alen Auftritt eines Labels bringt mit sich, dass er sich mit den Real­itäten des Mark­tes kon­fron­tiert. Auf die Frage nach ein­er Erk­lärung für den Erfolg von Akris sagt er: «Das hat mit der Arbeit­skul­tur zu tun, mit dem handw­erk­lichen Back­ground, unser­er Kernkom­pe­tenz, dass unsere Kollek­tio­nen in unseren eige­nen Ate­liers entste­hen mit einem tra­di­tionellen Knowhow, das von uns in die heutige Zeit gebracht wurde. Es ist nicht nur die Qual­ität, denn Qual­ität ist heute, eben­so wie Kreativ­ität, eine Bedin­gung. Auch Zara und H&M bieten im Ver­hält­nis zu ihrem Preis Qual­ität und ver­fü­gen über eine enorme Kreativ­ität. Doch das sind, genau wie Liefer­zu­ver­läs­sigkeit, nur Grundbe­din­gun­gen, die jed­er erfüllen muss. Das sind keine Spezial­itäten. Wir sind authen­tisch und wieder­erkennbar. Wir arbeit­en nur mit einem kleinen Wer­be­bud­get im Gegen­satz zu anderen grossen Häusern wie z. B. Chanel, die mit enor­men Bud­gets ins­beson­dere die Pro­duk­tions­bere­iche Par­fums, Kos­metik und Acces­soires bre­it kom­mu­nizieren. Bei uns ist es immer wieder ‹nur› das Kleid, das für sich selb­st in dieser Ent­fer­nung für uns arbeit­en kann.» Bewusst konzen­tri­ert sich Akris auf seine Kernkom­pe­tenz — das Kleid und verzichtet auf Acces­soires, den schnellen Umsatzbringer, der jenen Häusern die Exis­tenz sichert, die nicht auf die solide Basis bauen kön­nen, die Akris aus­macht.

Albert Kriem­ler legt grossen Wert auf men­schliche Kon­tak­te und per­sön­liche Kom­mu­nika­tion, auf Ver­bun­den­heit und Part­ner­schaft in der Zusam­me­nar­beit. In seinem Nähate­lier ist er umgeben von einem eingeschwore­nen Team von Mod­elleurIn­nen, Entwer­ferIn­nen und Zeich­ner­In­nen, von denen viele schon seit Jahrzehn­ten für Akris arbeit­en. Er beschäftigt mit Vorzug Mitar­bei­t­erIn­nen, die eine Her­ren­schnei­der­lehre absolviert haben: Die Fer­ti­gung ein­er Jacke dauert durch­schnit­tlich zwei Tage und liegt in den Hän­den von ein und dem­sel­ben Her­ren­schnei­der. Höch­ster Anspruch an Qual­ität, per­fek­te Pass­form und klare Lin­ien machen die Wertbeständigkeit von Akris aus. Alle Teile der Akris-Kollek­tion wer­den auss­chliesslich in der Schweiz pro­duziert, jene von Akris pun­to grössten­teils. Auf­schläge und Innen­säume wer­den von Hand genäht, eben­so Ärmel­fut­ter, Knöpfe und Knopflöch­er. Auch wer­den die Vorder- und seitlichen Rücken­nähte von Hand aus­ge­bügelt, um ein­wand­freien Sitz zu gewährleis­ten. So bekommt jedes Teil seinen handw­erk­lichen Fin­ish, der dem Klei­dungsstück den Wert eines Unikats ver­lei­ht. Dieses Prädikat ver­di­enen vor allem Dou­ble-Face-Klei­dungsstücke. Diese anspruchsvolle Nahtver­ar­beitungs-Tech­nik ist die Spezial­ität von Akris. Bei­de Stoff­seit­en — sehr oft aus Kaschmir sind mit ein­er «blind­en» Naht ver­bun­den. Um dieses Mate­r­i­al zu ver­ar­beit­en, muss es an der Schnittstelle geöffnet und dann von Hand gesäumt wer­den. Somit ist das Teil bei­d­seit­ig trag­bar. Die ver­sierte Kundin weiss, dass solche Teile nicht in Men­gen hergestellt wer­den kön­nen und ist bere­it, den hohen Preis zu bezahlen. Akris-Teile kön­nen preis­lich von 1200 Franken (Kleid) bis 5000 Franken (Man­tel) vari­ieren. Ein Stück von Akris ist jedoch keine saisonale Investi­tion, son­dern kann als Klas­sik­er Jahre über­dauern.

Wertbeständigkeit, frei von Pathos In ein­er Zeit, in der Ver­pack­ung wichtiger ist als Inhalte, ist das Cre­do des Haus­es Kul­tiviertheit, Ele­ganz, Reduk­tion. Wer den feinsin­ni­gen Albert Kriem­ler ken­nt, weiss, dass er diese Eigen­schaften in sich vere­int, Werte, die nicht auf Anhieb sicht­bar sind, son­dern durch ihre Stille wirken. Im ober­fläch­lichen Küss­chen-Küss­chen-Milieu der Mode ist er denn auch insofern eine her­aus­ra­gende Per­sön­lichkeit, als er meint, was er sagt. Er ist her­zlich, echt und beschei­den. Beschei­den natür­lich nur was sein Auftreten bet­rifft, denn für sein Pro­dukt ist ihm nur das Beste gut genug. Er stellt sich nicht zur Ver­fü­gung für Home­sto­ries und drängt nicht ins Schein­wer­fer­licht, doch er gibt gerne Auskun­ft über das Pro­dukt und freut sich über die Men­schen, die den Luxus darin erken­nen und die Hal­tung ver­ste­hen, aus der sie ent­standen ist. Darauf ange­sprochen, was ihn bee­in­flusst, sagt Albert Kriem­ler: «Ich schöpfe meine kreative Kraft aus meinem Umfeld, aus Gesprächen mit Fre­un­den aus Architek­tur und Kun­st und nicht zulet­zt aus meinen Reisen rund um den Globus.» Weil Kriem­lers Mode aus der Ruhe seines Inneren kommt, strahlt sie eine sen­si­ble Ästhetik aus und bei aller Reduziertheit und Moder­nität immer auch Wärme. Sie ist frei von Pathos und niedlich­er Deko­ra­tion, aber mit Geist und Seele für vielbeschäftigte Frauen für jeden Tag und jeden Anlass.

Die Sorgfalt, die Akris seinen Mod­ellen angedei­hen lässt, endet nicht bei Abschluss der Pro­duk­tion. So wer­den alle Teile hän­gend ver­sandt, denn die Mod­elle sind zu kost­bar, um gefal­tet zu wer­den. Weil man der Ansicht ist, dass ein Klei­dungsstück an Wert ver­liert mit jedem Tag, den es später in den Laden kommt, gilt die rig­orose Vor­gabe, dass Klei­der­sendun­gen von Tür zu Tür nie länger als drei Tage unter­wegs sein dür­fen, ob die Des­ti­na­tion nun Tokio oder Paris heisst. Das fördert und erhält die Kun­den­treue und die Glaub­würdigkeit als Luxu­s­la­bel.

Der Ein­satz hat sich für die bei­den Brüder nicht nur wirtschaftlich gelohnt. Anerken­nung von Seit­en der Paris­er Schnei­derzun­ft «Cham­bre Syn­di­cale du Prêt-à-Porter et de la Haute Cou­ture Française» wurde ihnen 1999 zuteil, als diese Akris in ihren erlaucht­en Mit­gliederkreis aufgenom­men hat. Während man in New York, Lon­don oder Mai­land bezahlen kann, um im offziellen Kalen­der der Mod­e­woche seine Kollek­tion präsen­tieren zu kön­nen, prüft die «Cham­bre Syn­di­cale» die Qua­lika­tion ein­er Marke, bevor sie ihr den Rit­ter­schlag gibt. Diese Aus­nahmestel­lung geniessen neb­st Akris nur die weni­gen anderen nicht franzö­sis­chen Häuser Issey Miyake, Vivi­enne West­wood, Valenti­no, Yohji Yamamo­to und Dries van Noten.

Weltweit gibt es zwölf Akris-Bou­tiquen: zwei in Paris, je eine in Lon­don, Wien, Ham­burg, Düs­sel­dorf, Monte Car­lo, Frank­furt, Tokio, Seoul, New York und Boston. Akris und die Zweitlin­ie Akris pun­to sind an 600 Verkauf­sstellen und in 35 Shop­corners zu kaufen. Der Fir­menum­satz wird zu je 30 Prozent in Europa und Asien und 40 Prozent in den USA bestrit­ten. Umsatz­zahlen wer­den nicht preis­gegeben. Im Jahr 2002 schätzte die «Welt­woche», dass Akris mit den damals 380 Mitar­beit­ern einen Umsatz von 75 Mil­lio­nen erzielte. Heute zählt Akris 600 Mitar­beit­er…

Getreu der Design­sprache von Akris sind die Akris-Bou­tiquen diskret und ruhig. Reduk­tion, Präzi­sion und Moder­nität sprechen auch aus dem inter­na­tionalen Shop-Design des deutschen Architek­ten Christoph Sat­tler. Die Intérieurs sind durch Albert Kriem­lers Stil geprägt und ver­rat­en seine Bewun­derung für den öster­re­ichis­chen Mod­ernisten Adolf Loos (1870–1933), dem im Schat­ten der Wiener Werk­stätte sein­er Mei­n­ung nach viel zu wenig Anerken­nung zuteil wurde. Mar­mor, Ahorn, Taft und die Stüh­le von Nor­man Chern­er sind weltweit ein­heitliche Akzente in allen Akris-Bou­tiquen. Gegen Mis­ser­folge ist die Fir­ma gefeit, denn Albert Kriem­ler weiss, wovor er sich hüten muss: «Wichtig ist die Offen­heit für Selb­stkri­tik: Gefährlich wird es, wenn man sich an den Erfolg gewöh­nt und sich fürs näch­ste Mal nicht die richti­gen Ziele steckt. In dieser ober­fläch­lichen Welt muss man immer fähig sein, seine Leis­tung mit einem gewis­sen Abstand zu beurteilen, sich immer wieder in Frage zu stellen. Ich bin seit 25 Jahren in dieser Posi­tion. Da ist die Erfahrung sich­er hil­fre­ich. Was uns aber weit­er­bringt, ist das Gefühl für die vie­len Facetten und Ansprüche der Branche, aber auch, dass ich eine Arbeit mache, die ich liebe.»

www.akris.ch

Bild: zVg.
ensuite, Okto­ber 2007

 

 

Artikel online veröffentlicht: 4. September 2017