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Das «Vroom» des Mannes – oder wie aus Spiel Ernst wird

Von Roja Nikzad — Final Lap im Fab­rik­the­ater: Zum aus­gedehn­ten Apéro bei ein­er Fre­undin, die mit mir die The­ater­szene von Zürich unsich­er macht, als Hor­i­zont-Erweiterungs-Pro­gramm, wie sie es liebevoll nen­nt, entsch­ieden wir uns für das Stück «Final Lap» (Reto Fin­ger). Denn, was ist span­nen­der für Frauen, als dem unnachvol­lziehbaren Mys­teri­um männlich­er Fre­und­schaften auf die Schliche zu kom­men. Na dann: Nach ein­er Flasche Pros­ec­co macht­en wir uns also auf ins Fab­rik­the­ater, um Ein­blicke in die männliche Psy­che zu erhal­ten.

Zwei Män­ner, nen­nen wir sie Rot (Dom­inque Rust) und Beige (Philippe Nauer) – ana­log zu ihrer Ober­bek­lei­dung, denn Namen haben sie keine – find­en sich, Pop­corn aus Motor­rad­hel­men essend, in ihrem ein­mal wöchentlich besucht­en Hob­byraum wieder. Sie sind Fre­unde, denn sie spie­len zusam­men Autorennbahn. Sie tauschen sich über, naja, fak­tis­che Nichtigkeit­en aus: Ist Rot nun Luzern­er oder nur Papi­er-Luzern­er? Sind grüne Spargeln leck­er und wie schmeck­en Spargeln aus dem Glas? Dies wird begleit­et von ein­er monot­on sich wieder­holen­den Syn­thi-Orgel-Fahrstuhlmusik (Mario Marchisel­la), die auf der Gefühlsskala irgend­wo zwis­chen fröh­lich und unheim­lich anzusiedeln ist. Dazwis­chen einige Male das Geräusch eines vor­beirasenden Ren­nwa­gens. Eine Art Wet­tren­nen sind auch die Dialoge der bei­den Män­ner. Fak­ten­wis­sen wer­fen sich die bei­den fast brachial ent­ge­gen, ohne sich gegen­seit­ig zuzuhören. Gau­guin, Tahi­ti, Haiti, Sar­diniens Cos­ta Smer­al­da, dann Shahruk Khan und Paul Get­ty. Als Zuschauer ist man amüsiert, aber auch etwas wirr bei solch sprach­lich­er Schnel­ligkeit. Dann und wann eine Sequenz mit mor­bi­dem Dröh­nen, dazu das Fil­men von Unfall­bildern. Die heile Welt der Män­ner­fre­und­schaft, in der man zwar spricht, sich aber nicht aus­tauscht, den­noch selig und irgend­wie auch intim zusam­men ist, scheint in Gefahr.

Beige hat den Ver­dacht, dass Rot krank sein kön­nte, vielle­icht Krebs. Rot schwitzt neuerd­ings: Der Schweiss riecht anders und die entwick­elte Grund­ner­vosität ist nicht mit exzes­sivem Kaf­fekon­sum zu erk­lären. Sehr beun­ruhi­gend find­et Beige auch, dass Rot nicht mit ihm darüber reden will, obwohl sie doch Fre­unde sind. Und dann fan­gen die bei­den wieder an zu per­se­ver­ieren. Der eine spricht vom Fig­uren­basteln aus Kar­ton­ab­fall, der andere von sein­er Lei­den­schaft, Glas zu entsor­gen. Nir­gends find­en sie sich in den Gesprächen, kein kom­mu­nika­tiv­er Berührungspunkt, nur hem­mungslos­es Aneinan­der-Vor­beis­chwafeln. Trotz­dem spie­len sie gerne zusam­men, und freuen sich auf das wöchentliche High­light: Plaud­ern, spie­len, sich ver­ste­hen ohne zu kom­mu­nizieren, Fak­ten aus­tauschen. Doch was passiert, wenn ein­er den ver­stören­den Fetisch des anderen ent­deckt, erken­nen muss, dass dieser nicht an Krebs lei­det, son­dern ein­er janusköp­fi­gen Phan­tasie unter seinem Rennbah­n­tisch nachkommt, und diese auch noch filmt? Wenn keine Kom­mu­nika­tion möglich ist, wie löst man dann einen emo­tionalen Kon­flikt? Der sich Ritzende, Schnei­dende, Stochernde recht­fer­tigt sich damit, nie­man­dem weh zu tun. Beige ver­fällt dem Selb­stzweifel wegen man­gel­nder Ver­we­gen­heit. «Wir zeigen uns unsere Wel­ten, aber du hast Geheimnisse vor mir. Ich bin Dein Fre­und, aber du lügst mich an.» Die emo­tionale und ver­bale Eskala­tion bleibt aus, denn die Worte für wahren Aus­tausch fehlen. Ein: «Vielle­icht hätte ich früher…» bleibt Rot auf den Lip­pen hän­gen, von Beige mit: «Ich weiss nicht.» quit­tiert, und von Rot mit: «Ich auch nicht.» abgeschlossen.

Und dann? Rewind. — Alles auf Anfang, die Fahrstuhlmusik wird einge­spielt, die bei­den Män­ner sitzen an ihren Plätzchen, Pop­corn fut­ternd, und been­den das Stück mit der exak­ten Wieder­hol­ung des Anfangs­di­alogs: Spargeln und Herkun­ft, als hätte sich abso­lut nichts verän­dert. Doch, eine Kleinigkeit, bei­de ver­spüren den Drang sich zu umar­men, steuern auch darauf zu, wie um den Kon­flikt zu besiegeln. Aber nein, unbe­holfen und beschämt wen­det sich jed­er sein­er Rennbahn zu. Gle­ichzeit­ig lassen sie ihre Ren­nwa­gen im Kreis, in die «final lap» rasen.

Vieles, das rel­e­vant ist für den Bestand dieser Män­ner­fre­und­schaft, spielt sich im non­ver­balen, abstrak­ten Bere­ich ab. So wird Mask­ieren und Demask­ieren zu einem zen­tralen Teil der Insze­nierung. Fin­ger spielt dafür mit dem Ein­satz ver­schieden­er Mate­ri­alien: Die qua­si kahlköp­fi­gen Häupter der Darsteller wer­den mit Alu‑, Klar­sicht­folie und Wat­te ver­hüllt, um sich dann wieder her­auszuschälen. Die cocoonar­ti­gen Gebilde, die die Bühne zieren, kor­re­spondieren mit der verkör­perten Meta­pher des Schlüpfens aus dem Cocoon. Unklar bleibt jedoch der wirk­liche Zusam­men­hang mit dem Stück. Rots Geheim­nis wird zwar enthüllt, führt aber keineswegs zu ein­er Verän­derung des Zwis­chen­men­schlichen; denn schliesslich kehren die Fre­unde genau an den Anfangspunkt zurück. Etwas unvere­in­bar wirken auch die spielzeughafte Welt der Plas­tik-Rennbahn und die far­bigen Motor­rad­helme mit den abstrak­ten Bestandteilen der oben­ge­nan­nten Sym­bo­l­ik. Auch das Geheim­nis der Selb­stver­let­zung scheint nicht in das Konzept zu passen. Haupt­säch­lich Gemein­plätze männlich­er Exis­tenz sind Inhalt des Stücks: Män­ner kön­nen nicht kom­mu­nizieren, Män­ner sind grosse Kinder, Män­ner ken­nen keine Emo­tion­al­ität. Das mag man gutheis­sen oder nicht, jedoch ist es unver­ständlich, warum hier ein typ­isch weib­lich­es «Krankheits­bild» als Mit­tel für den Wen­depunkt ver­wen­det wird.

Trotz­dem gibt die Inter­ak­tion der Schaus­piel­er viel unbe­holfe­nen Witz her, der sich mit der Ern­sthaftigkeit der Charak­tere erst recht zur Sit­u­a­tion­skomik emporschwingt. Die Schnel­ligkeit der Wortwech­sel, wie auch die sub­tile Ausar­beitung von Nebeneinan­der aber nicht Miteinan­der, waren sehr gelun­gen. Das Erstellen des Gefühls von Fremd­heit bei gle­ichzeit­iger Intim­ität hat überzeugt.

Nicht viel klüger über die männliche Ver­hal­tensweise, weil lei­der nur das «Wie», nicht aber das «Warum» behan­delt wurde, sind wir schliesslich – irgend­wie glück­lich darüber, Frauen zu sein – ins näch­ste Tram gestiegen.

Foto: zVg.
ensuite, Dezem­ber 2010

Artikel online veröffentlicht: 6. Dezember 2018