Von Simone Weber — Sie ist in jedem Kleiderschrank zu finden, hat längst Kultstatus erreicht und lässt sich aus dem Alltag nicht mehr wegdenken. Laute Stimmen behaupten, sie sei das weltweit am meisten getragene Kleidungsstück. Die Jeans. Keine Hose ist so widerstandsfähig, so pflegeleicht, so praktisch, so vielfältig wie sie. Keine kann mit so vielen Vorteilen punkten wie die beliebte Königin aus Denim.
Dieses grandiose Kleidungsstück für jedermann verdanken wir ihrem Gottvater Levi Strauss. Ursprünglich als Arbeiterhose für Goldgräber gedacht, fertigte er 1853 in Amiland die erste Jeans aus braunem Segeltuch. Schon bald aber stieg er auf den strapazierfähigeren indigogefärbten Drillich, ein Baumwollgewebe aus Nimes, um. Aus Nimes kam also der «Bleu de Nîmes» und wurde zu «Blue Denim». Das zur Färbung verwendete Indigoblau liess Strauss von Genua nach Amerika schippern und schon wurde «Bleu de Gênes» zu «Blue Jeans». Heraus kam die Blue Jeans aus Denim. So war das.
Doch die Blue Jeans hatte einen Schwachpunkt: die Nähte. Gelöst wurde das Problem vom Schneider Jacob Davis, der die gefährdeten Stellen mit Kupfernieten rissfest machte. Als Geburtsstunde der heutigen Jeans gilt der 20. Mai 1873, als Davis und Strauss die Denimnietenhose zum Patent anmeldeten.
Das robuste Beinkleid fand schnell viele Anhänger. Von Minenarbeitern, Farmern und Cowboys getragen, erfreute sie sich immer grösserer Beliebtheit und wurde in den 30er-Jahren auch bei Städtern gesellschaftsfähig. Im Zweiten Weltkrieg brachten die GI’s die Jeans nach Europa und nach und nach wurde die blaue Denimhose auf der ganzen Welt bekannt. Sie verlor das Image der reinen Arbeiterhose und wurde eines der begehrtesten amerikanischen Produkte. Berühmte Vorbilder wie Marlon Brando und James Dean machten die Jeans in den 50er-Jahren noch populärer. Sie sahen ja auch verdammt scharf darin aus. Schon 1953 gab es die Jeans schliesslich erstmals auch für Frauen.
In den 60er- und 70er-Jahren explodierten die Absatzzahlen für Jeans förmlich. Das blaue Beinkleid, das für Lebensfreude, Freiheit und Zwanglosigkeit stand, war vor allem bei jungen Menschen sehr bliebt. Während etablierte Kreise mit Giftpfeilen gegen die Wilden in Nietenhosen schossen, wurde die Jeans zum Ausdruck der Auflehnung gegen alte Traditionen und Autoritäten. Sie wurde, getragen von Hippies, Gammlern, Studenten und Popkonzertbesuchern beider Geschlechter, zur Protesthose schlechthin. Die Passform der Jeans musste damals noch in harter Eigenarbeit erreicht werden. Besagte Generation pflegte aus diesem Grund das Ritual, sich mit der neuen Jeans in die gefüllte Wanne zu sitzen und sie dann am Körper trocknen zu lassen. Die Jeans legte sich dadurch wie eine zweite Haut perfekt über die entscheidenden Körperteile.
Designer wie Calvin Klein, Armani und Joop entdeckten das Potential der blauen Denim und nahmen sie in den 80er-Jahren in ihre Kollektionen auf. Den Querulanten war nun das Maul gestopft, die Jeans war büro- und ausgehtauglich. Die Denimhose gehört nun längst in die Prêt-à-porter-Liga, und wer reich und dämlich genug ist, gibt gut und gerne 3 000 Franken für sie aus.
Heute wird die Jeans jedem Trend gerecht. Es gibt die Röhre für die Schlanken, die Bootcut für Verspielte, das Rüebli für Geschmacklose, die Baggy für die Coolen. Es gibt sie mit Knopfleiste oder Reissverschluss, in jeder Grösse und in unzähligen Formen. Kurzbeinige, schlanke, grosse, dicke, dünne Menschen, für jeden gibt’s die passende Jeans. Und für einen knackigen Sitz um den Arsch muss Stretch-sei-Dank keiner mehr in die nasse Wanne steigen.
Und blau muss die Blaue auch nicht mehr sein. Es gibt sie in schwarz, grau, weiss, rot, grün und allem, was Sie auf dem Farbenkreis sonst noch antreffen. Aber zugegeben, die Bluejeans ist, gefolgt von der Schwarzen, die ungeschlagene Bestsellerin. Es gibt sie in den unterschiedlichsten Ausbleichungen und in allen Stadien der Zerstörung. Ja, es gibt menschliche Exemplare, die dafür bezahlen, dass sie nicht warten können, bis sie am Stacheldraht hängen bleiben, mit den Inlines auf die Schnauze fallen oder beim Bücken die Naht am Hintern platzt.
Die Lieblingsjeans hingegen erzählt wahre Geschichten. Jeder hat ein solches Exemplar im Schrank. Mit dieser Hose geht man durch dick und dünn. Sie begleitet einen zu ersten Dates, man fährt zusammen Fahrrad, Skateboard oder Achterbahn, geht gemeinsam auf Konzerte, ins Theater oder zum Chinesen. Sie reist mit in ferne Länder, Städte oder auf den Campingplatz. Sie wird mit Essen bekleckert, mit Kettenöl versaut und mit Grasflecken verfärbt. Diese Hose ist eine wahre Freundin, eine treue Begleiterin, unersetzlich.
Die blaue Denim hat aber auch im grossen Sinne Geschichte geschrieben und damit bis heute nicht aufgehört: Auf der Berliner Fashion Week wurde soeben der erste Jeans-Automat, die sogenannte «Magnificent Jeans Machine», präsentiert. Was Herr Strauss wohl dazu sagen würde?
Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2009