Von Roja Nikzad — Haus des Friedens, Theater Winkelwiese: Das Plakat für die Produktion «Haus des Friedens» (Lothar Kittstein) ziert eine polierte goldene Patronenhülse, aus der ein halbausgedrehter pinker Lippenstift ragt; das Stück behandelt den Krieg in Afghanistan; das Ganze in der klassizistischen, ehrwürdigen Villa an der Winkelwiese. Alle diese vermeintlichen Widersprüche sind Teil unserer heutigen Welt, kapitalistischer Lifestyle einerseits, Krieg, Tod und Verwüstung andererseits; die herrschaftliche Villa in Zürich und das leidgeschüttelte Afghanistan – «Haus des Friedens» versus «Haus des Kriegs» .
Kriege werden auf den höchsten Staatsebenen beschlossen, aber von den tiefsten sozialen Schichten ausgetragen. Die kleinen Leute sind es schliesslich, die sich gegenüberstehen, sich gegenseitig auslöschen, um ihr Leben bangen, und sich selbst und andere verlieren.
Es sind auch die kleinen Leute, die aus Überzeugung, Perspektivlosigkeit oder Enttäuschung die Grenzen von hier zu da überschreiten, sich aus mitteleuropäischen Gefilden des Friedens in Wüsten des Kriegs stürzen.
Genau dahin führt uns die Schweizer Erstaufführung von «Haus des Friedens». Vom Eingang der diesseitigen prunkvollen Villa treten wir in das Gewölbe des Hauses, dessen unverputzte, steinerne Bögen ebensogut ein Weinkeller wie ein verlassenes Haus irgendwo in Afghanistan sein können. Wir überschreiten den gesprengten Lehmboden und treten in die Welt von Lorenz (Gerrit Frers), Jost (Michael Wolf) und Marie (Sarah Hostettler) ein.
Die drei Bundeswehrsoldaten erleiden einen Motorenschaden mitten in der «verdammten Mondlandschaft» des afghanischen Gebirges. Während der naiv kindliche Lorenz über einen undefinierten Zeitraum versucht, das Gefährt wieder startklar zu machen, bleibt keine Aufgabe, ausser die Situation, den Krieg, die eigenen Träume und Wünsche und die individuelle Geschichte zu reflektieren. Obwohl alle drei in der gleichen Situation sind, könnten die Unterschiede zwischen ihnen grösser nicht sein. Marie, der Neuankömmling, ist eine religiöse Christin, um nicht zu sagen Fanatikerin, die es sich als Frau erkämpft hat, endlich in Afghanistan eingesetzt zu werden. Sie ist jung, schön und überzeugt, hier für etwas Gottgewolltes, Grösseres zu kämpfen. Sie ist sicher, für ihr Land zu handeln und durch ihren Einsatz die Menschen zu befreien, hauptsächlich auch die unterdrückten Frauen. Ihr konstant klarer Blick zeugt von grosser innerer Sicherheit. Nichts kann sie aus der Ruhe bringen.
Obwohl weder Lorenz noch der Chef der Truppe, Jost, viel von religiöser Überzeugung halten – weder von christlicher noch islamischer – projizieren sogleich beide Männer ihre Wünsche und ihre Frustration auf Marie. Der ältere und desillusionierte Jost, Kiffer und Lebemann bevor er in den Bund eintrat, «scheisst» sowohl auf Deutschland wie auf Afghanistan. Jost hat durch den Krieg den Glauben an alles verloren und sein stechender Blick, die scharfen Betonungen einzelner Worte und die Starre seiner Hände verraten etwas über die innere Unfähigkeit, mit dem umzugehen, was er hier erlebt hat. Er taumelt zwischen Verzweiflung, absoluter Abstumpfung und einem kleinen Hoffnungsschimmer, wenn er in Marie eine Art Reinkarnation von Milan, einem seiner gefallenen Soldaten, zu erkennen glaubt.
Und dann ist da noch Lorenz, der es immer wieder schafft mit einer erfrischenden, lustig zynischen Naivität etwas Lockerheit in die trostlose Situation zu bringen. Zu Hause hat er es nicht geschafft, in der Arbeitswelt Fuss zu fassen. Im Büro konnte er nicht stillsitzen und sein CV war nicht tauglich für den Arbeitsmarkt. Unüberlegt sagte er sich eines Tages «scheiss drauf, dann mach ich eben Zeitsoldat». Seit vier Jahren ist er also immer wieder in Afghanistan, nie ist ihm etwas passiert, aber ständig lebt er in Angst. Eigentlich will er nur nach Hause, sich eine Frau suchen und in Ruhe leben. Doch immer wieder betont er: «Es ist kompliziert» .
In der erdrückenden Stille der Nacht, wenn das Nichts riesengross erscheint und die Sterne zu nah kommen, reagieren die Figuren unterschiedlich und doch alle gleich. Jeder versucht, sich Sinn in die Einöde zu holen: Lorenz singt das immer gleiche Liedchen, um sich von seiner Panik abzulenken, und Marie sucht das Gespräch mit Gott. Die unerträgliche Stille lässt Jost Ziegen hören und das Rieseln von Asche. Für ihn ist es die Stille des Todes.
Das Ende bleibt offen. Der Jeep ist wieder fahrtüchtig und die drei Soldaten begeben sich zurück ins Hauptquartier.
Stephan Roppel hat es in seiner Inszenierung geschafft, ein subtiles Bild zu zeichnen von Krieg und den Auswirkungen auf die Soldaten in der Fremde. Einfach und ohne viel Schnickschnack bleibt der Spannungsbogen bis am Schluss erhalten. Nichts lenkt ab von den Figuren, die die massive Textfülle mit Bravour gemeistert haben. Die Bühne und die Kostüme sind alle in einem neutralen Beige gehalten, das variierende Lichtspiel unterstützt, aber stört den Lauf des Textes nicht. Der Zuschauer hat die Möglichkeit sich ganz auf den Ausdruck und die Aussagen der Figuren zu konzentrieren und erfährt so die Chance, ganz nah an sie heranzurücken und mit ihnen diese Situation zu durchleben.
Ein schöner Theaterabend, aber trotzdem gut, konnte man nach der Vorstellung in die klare Nacht hinaustreten, wo die Sterne weit genug weg sind.
Foto: zVg.
ensuite, November 2010