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Diesseits vom Tanz

Von Kristi­na Sol­dati — Kein Schweiz­er Tänz­er hat derzeit ein lan­desweit anerkan­ntes Diplom in der Tasche. Was schert man sich auch um ein Stück Papi­er, wenn die Bret­ter der Bühne einem die Welt bedeuten und auf ihr das pure Kön­nen zählt? Kein The­a­ter­di­rek­tor hat je einen Blick auf Diplome ver­schwen­det, Kun­st kommt von Kön­nen und das sieht (oder hört) man. Daran wird sich auch nichts ändern. Dass hin­ter der Büh­nen­reife acht Jahre täglich­er Ein­satz steck­en, braucht nicht eid­genös­sisch erkan­nt oder gefordert zu wer­den. Die zuck­enden Kinder­beine fan­den schon immer ihren Weg. Bei den einen zum Fuss­ballplatz, bei den anderen ins Tanzs­tu­dio. Die Hüpflust vor der Rital­in-Ära war Antrieb genug, nach­mit­tags anzu­tanzen. Kleine Auf­führun­gen bracht­en den Flair und die Freude am Fortschritt tat das übrige. Woher die Not also für ein Zer­ti­fikat? Zum einen hüpft es sich richtig oder falsch. Falsches Einüben kann zu Kni­eschä­den führen.

Schon lange tra­cht­en deshalb Fachver­bände danach, päd­a­gogis­che Qual­itäten flächen­deck­end zu sich­ern. Tanzpäd­a­goge ist bis­lang ein ungeschützter Beruf. Neue Qual­i­fika­tio­nen wie das Weit­er­bil­dungs­diplom (seit 2004) oder gar der Weit­er­bil­dungs­mas­ter in Tanzpäd­a­gogik (seit 2007) an der Zürich­er Hochschule der Kün­ste (ZHdK) sollen da Kri­te­rien liefern. Die Sorge um Gesund­heit und Qual­ität ist ein Grund für das Zer­ti­fikats­fieber. Der zweite Grund ist die Ein­sicht, nach jedem noch so erfol­gre­ichen Hüpfen gibt es ein Danach, jen­seits vom pro­fes­sionellen Tanz (vgl. ensuite Nr. 76): Die Rekon­ver­sion. Die beru­flichen Umschu­lungsin­stanzen fra­gen näm­lich nach ertanzten Diplomen. Der dritte Grund ist strate­gisch: Diplome führen zu gesellschaftlich­er Anerken­nung. Und diese fängt bei den Eltern an: «Es sind oft die Eltern, die die tan­zlusti­gen Kinder brem­sen», meint Patrice Delay, Leit­er der von Bal­an­chine gegrün­de­ten Gen­fer Schule und des Bal­let Junior. Wenn sie öfters kom­men wollen, winken die Eltern ab. «Das führt doch zu keinem Beruf!» Die Väter deuten auf das tägliche Schwitzen ihrer Sprösslinge und sehen keine Per­spek­tive. «Beson­ders hier in der Schweiz», fügt der europaer­fahrene Leit­er hinzu. Rück­en Schulen etwa deshalb ver­mehrt in die Nähe von Sportvere­inen? Die Jagd nach Medaillen als Ersatz für Anerken­nung? Als Legit­i­ma­tion? Auf den Schul-Web­seit­en prangen die glänzen­den Ver­di­en­ste und Tanz wird mess­bar.

Qual­i­fizierte Lehrer Medaillen haben bekan­ntlich ihre zwei Seit­en. Sie spornen an, sie stellen Tal­ente erst­mals einan­der gegenüber, dann nebeneinan­der und dann auf ein Podest. Aber es gibt die zweite Seite der Medaille. Diese recht unkün­st­lerische, bisweilen gar unmen­schliche Seite ver­tanzt ger­ade das Béjart-Bal­let in «Le Con­cours». Doch so, wie es unser­er Wet­tbe­werb­s­ge­sellschaft ger­ade erge­ht, kön­nte es auch dem preisver­liebten (Ballett-)Tanz erge­hen. Auch diesen kön­nte die Ernüchterung nach ein­er Krise ereilen. «Immer schneller, immer bess­er» ist eben nicht nach­haltig. Tech­nis­che Ver­siertheit kann forciert wer­den. Gesund­heitliche Stra­pazen und Risiken nehmen ehrgeizige Schüler wie Schulen in Kauf, denn die Aus­fal­lquoten tauchen in den Bilanzen nicht auf. Oder haben Sie schon irgend­wo von der Zahl der Ver­let­zten und Abbrech­er in Akademien oder Schulen gele­sen? Damit sich Schulen aus dem Pro­fil­ierungswahn über Preise lösen kön­nen und auf nach­haltige Werte set­zen, sind geregelte Lehrerqual­i­fika­tio­nen nüt­zlich. Nüt­zlich sind sie auch, um ander­er­seits dem Dile­tan­tismus im Ama­teu­run­ter­richt fehlhüpfend­er Kinder zu begeg­nen. Die Förderung der Freude der Kleinen am kreativ­en Schaf­fen eben­so wie die unspek­takuläre tech­nis­che Grund­la­ge­nar­beit hät­ten mit Zer­ti­fikat­en unab­hängige Legit­i­ma­tion.
Was aber besorgte Väter let­ztlich in ihrem Zweifel umstim­men kön­nen wird ist die Per­spek­tive auf eine Beruf­slehre mit eid­genös­sisch anerkan­ntem Fähigkeit­szeug­nis (EFZ) für Büh­nen­tänz­erIn­nen. Erst­mals ange­boten ab Herb­st 2009 in Zürich.

Tanz oder Schule? Wie andere musis­che Fäch­er winkt auch der Tanz am Ende des Tun­nels eines arbeit­samen Schülertages (Und dem Mama-Taxi davor der Stau). Musik oder Malerei brauchen aber keine Früherken­nung von Tal­en­ten und keine tägliche Pil­ger­fahrt zum Rit­u­al. Einzig der Tanz fordert Büh­nen­reife im Alter von Achtzehn, um in den besten Jahren zu ern­ten. Und nur der Tanz übt sich nicht allein. Und so ver­stopfen täglich hun­derte Bewe­gung­shun­grige erst ein­mal die Strassen, bevor sie sich an die Bal­lettstange rei­hen. Wen wundert’s, wenn Schule und logis­tisch involvierte Eltern darunter lei­den? Wenn Tanz und Schule unvere­in­bar wird? «Mit der täglichen Mit­tagspause, dem vier­fachen Schul­weg kann die Schweiz nicht das Arbeit­spen­sum der Nach­bar­län­der schaf­fen», meint Mar­jo­laine Piguet, Lei­t­erin der «Dans­es Etudes» in Lau­sanne. Sie hat während ihrer Aus­bil­dungszeit im Aus­land vorteil­haftere Tagesabläufe ken­nen­gel­ernt.

Tanz und Schule sollen nun ver­söh­nt wer­den, ganz nach dem Vor­bild des Lau­san­ner SAEF-Gym­na­si­ums (Sport-Arts-Etudes-For­ma­tion), wo gute Schüler ihren musis­chen oder sportlichen Schw­er­punkt in den leicht entschlack­ten Schul­stun­den­plan inte­gri­eren kön­nen. Wenige hun­dert Meter ent­fer­nt hat Mar­jo­laine Piguet das­selbe für den Tanz geschaf­fen: «Danse Etudes». Über dreis­sig Kinder besuchen tagsüber die Sekun­darstufe (I und II) in näch­ster Nähe und schlüpfen im Tagesver­lauf mehrmals in die Train­ing­shaut. Jedes Jahr schnei­dert sie als Mitver­ant­wortliche des Col­lège Béthusy ihren Tanzschülern einzeln den Stun­den­plan zurecht und stopft Löch­er bei Bedarf mit Math­e­matik- oder Deutschnach­hil­fe. Doch Schulleis­tun­gen seien nicht das Prob­lem. 80 Prozent ihrer Schüler sind ohne­hin auf dem Gym­na­si­um oder der gym­nasialen Mit­tel­stufe. 2003 hat «Danse Etudes» begonnen und eine Tänz­erin mit Matu­ra bere­its geliefert. Gle­ich im Anschluss wurde diese von Patrice Delay in das Gen­fer Bal­let Junior über­nom­men.

Fünf Minuten mit der Metro vom Bahn­hof und hun­dert Schritte von der Sta­tion Ours ist das mutige Pro­jekt Real­ität gewor­den, das Tanz und Schule verknüpft. Mit dieser guten Lage möchte sie eine Lösung für Begabte der ganzen Westschweiz bieten. Ein Junge kommt etwa täglich aus Freiburg. Dass bisweilen nicht mehr als sechs pro Tanzk­lasse teil­nehmen, erk­lärt die Lei­t­erin so: «Viel gröss­er ist die Aus­beute wirk­lich­er Tal­ente der Region nicht.» Von der lux­u­riösen Über­schaubarkeit solch­er Klassen prof­i­tiert das Ambi­ente und die Leis­tung. Aber auch die Schu­lauf­gaben zwis­chen­durch, denn Diszi­plin und Moti­va­tion steck­en an. Mit zwei bis vier mod­er­nen beziehungsweise zeit­genös­sis­chen Tanzs­tun­den die Woche ist die Aus­bil­dung rel­a­tiv fortschrit­tlich. Obwohl wie aus einem Munde die Schüler hier nach mehr rufen. Die Lei­t­erin erwägt dur­chaus einen Aus­bau, denn in der Region soll eine eid­genös­sisch anerkan­nte Beruf­slehre für zeit­genös­sis­chen Tanz entste­hen. Falls, ja, falls deren stilis­tis­che Aus­rich­tung eine Vor­bil­dung über­haupt vor­sieht.

Eid­genös­sisch anerkan­nt in der Westschweiz Wenn die Deutschschweiz die Beruf­slehre Büh­nen­tanz klas­sis­ch­er Prä­gung haben wird, so die Westschweiz diejenige zeit­genös­sis­ch­er. Im Jahr 2010 soll’s los­ge­hen, doch Inhalt und Ort wird seit­ens des Bun­de­samtes für Berufs­bil­dung und Tech­nolo­gie (BBT) erst dieser Tage pub­lik. Ob Lau­sanne oder Genf anste­ht, ist weniger entschei­dend als der stilis­tis­che Anspruch. Während sich im mod­er­nen Tanz eine Methodik und ein fes­ter Lehrkanon entwick­eln kon­nte (z.B. mit der Limon- , Gra­ham- und Cun­ning­ham-Tech­nik), so sind die zeit­genös­sis­chen Stile noch nicht autonom «tänzer­bildend». «Mit der Zeit haben die unter­schiedlich­sten Stile, auch der Jaz­ztanz, den Train­ingsablauf und viele Übun­gen des Bal­letts (von pliés über ten­dus bis grosse Sprünge) sich ein­ver­leibt», meint Car­o­line Lam, diplomierte Lehrerin für zeit­genös­sis­chen Tanz. So wid­mete sie sich erst einge­hend dem Jazz in Paris und kon­nte den­noch mit achtzehn Jahren in den klas­sis­chen Tanz ein­steigen. Das klappt offen­sichtlich, denn nach ihrer Tan­zaus­bil­dung zirkulierte sie «zeit­genös­sisch» in der freien Schweiz­er Szene.

Doch beim neuen Lehrgang ste­ht zur Diskus­sion, ob — ganz nach dem Vor­bild des Chore­ografiezen­trums der Loirestadt Angers — über­haupt eine Vor­bil­dung von­nöten sei. Bei der Man­gel­ware «tanzen­der Mann» gab es solche Konzes­sio­nen schon immer. Doch die vie­len fieber­haft tanzen­den Jugendlichen lockt eine solche Tol­er­anzschwelle kaum. Im Alter von 15 bis 16 Jahren kön­nen sich viele gar nicht vorstellen, von ihrer täglich feilen­den Arbeit zu lassen und mit Tanzunkundi­gen erst ein­mal zusam­men zu impro­visieren… Die scharfe Zweit­eilung der Tanz(ausbildungs)landschaft klas­sisch ver­sus zeit­genös­sisch kommt ihnen nicht gele­gen.

Durch­läs­sigkeit quer Aus der Pro­jek­t­phase der neuen drei­jähri­gen Beruf­slehre zeit­genös­sis­ch­er Tanz in der Westschweiz ist zu hören: «Die Kluft zwis­chen Klas­sik und Zeit­genös­sisch soll über­brück­bar wer­den. Wer nach den ersten fünf Monat­en merkt, er habe die falsche Aus­rich­tung gewählt, soll wech­seln dür­fen. Im Prinzip.» Es soll also nicht nur der Rösti­graben samt Sprach­bar­ri­eren über­wind­bar sein, son­dern auch der Graben zwis­chen (system-)freiem zeit­genös­sis­chen Tanz und dem Bal­lett à la Wagano­va rus­sis­ch­er Prä­gung. Die Zukun­ft wird es zeigen… Und der Entscheid der kün­fti­gen Leitung.

Anschluss nach oben Nichts weniger als die Entwick­lung eines ganz eige­nen Sys­tems im zeit­genös­sis­chen Tanz ver­spricht die Lei­t­erin des Bach­e­lor-Pro­gramms in Zürich, Prof. Tina Man­tel. Das BA (Bach­e­lor of Arts) ist ein weit­eres Zer­ti­fikat, das das Bun­de­samt für Berufs­bil­dung und Tech­nolo­gie BBT dem Tanz dieses Jahr ver­ma­cht. Der erste Stu­di­en­gang begin­nt kom­menden Herb­st an der Zürcher Hochschule der Kün­ste. GaGa heisst das Sys­tem und hat seine Wiege in Jerusalem, in der Bat­she­va Dance Com­pa­ny. Der berühmte Chore­ograf und Direk­tor Ohad Naharin liess seine (klas­sisch aus­ge­bilde­ten) Tänz­er anfangs ein­mal, mit­tler­weile fünf­mal pro Woche, «GaGa wer­den», um sie aufzu­lock­ern. Diese Impro­vi­sa­tion­s­meth­ode ver­hil­ft zur ganz eige­nen Bewe­gungssprache, wenn man bere­it ist, den angeeigneten Codex aufzubrechen. Géral­dine Chol­let, die kün­ftige GaGa-Lehrerin des Stu­di­en­gangs, die selb­st den Weg nicht in die begehrte Com­panie fand, ver­fol­gte unbeir­rt diese Meth­ode in Naharins Work­shops. Sie überre­dete ihn, der Meth­ode eine Methodik und ein Sys­tem abrin­gen zu lassen. Mit fast täglich­er Anwen­dung und jährlichem Besuch aus der Bat­she­va Com­pa­ny möchte sie genau das in Zürich bew­erk­stel­li­gen: Ein päd­a­gogis­ches Sys­tem. Zürich als Labor für die Bat­she­va Com­pa­ny? Prof. Tina Man­tel lacht: «Ja, dur­chaus.» Wenn das Exper­i­ment klappt, wün­scht man ihr auch das Paten­trecht.

Fast gle­ich­w­er­tig mit den prak­tis­chen Fäch­ern der Tanzfer­tigkeit sind solche der Gestaltung/Produktion und Wissen/Reflexion, wie es im Stu­di­en­plan heisst. Darunter fall­en Per­for­mance Research, der akustis­che und der virtuelle Raum sowie trans­diszi­plinäre Pro­jek­te, Kul­tur­man­age­ment, Anatomie und Dra­maturgie. Deshalb erwartet die Lei­t­erin (Berufs-)Maturität von ihren Stu­den­ten und das Min­destal­ter von 18 Jahren. Da gute mod­erne und zeit­genös­sis­che Voraus­bil­dung nur ver­streut zu haben ist und kein brot­brin­gen­der Beruf wartet, ist manch aufgenommen­er Bewer­ber ein fer­tiger Pri­mar­lehrer und auch mal 25 Jahre alt.

Ob Prof. Tina Man­tel sich auf die zer­ti­fizierten Abgänger der neuen Beruf­slehre zeit­genös­sis­ch­er Tanz der Westschweiz freut? «Ja und nein», sagt sie, «die Besten wer­den wohl tanzen gehen und nur ehrgeizige, intellek­tuell Neugierige hän­gen weit­ere drei Jahre an.» Für welchen Beruf der Stu­di­en­gang dem­nach vor­bere­it­et, muss erneut die Zukun­ft zeigen.

Junior-Bal­lette Nach der Grün­dung des NDT2 1978, ein­er dem Ned­er­lands Danse The­ater angegliederten jun­gen Com­panie, ver­bre­it­et sich das Phänomen: Grosse Com­panien leis­ten sich eine Jugend — was heisst: Sie lagern die Jun­gen aus ihren Rei­hen aus. «Immer weniger Tanztrup­pen kön­nen sich die Betreu­ung und das Risiko mit uner­fahren­em Nach­wuchs leis­ten», meint der Gen­fer Junior-Bal­let-Direk­tor Patrice Delay, der in den 80ern noch in den Genuss ebendieses Luxus des Königlichen Flämis­chen Bal­letts kam. Am Gen­fer The­ater engagiert man mit­tler­weile nur erfahrene Solis­ten, meint Patrice Delay, der sich damals mit der Zeit zum Solis­ten mausern kon­nte. Seine Junior-Truppe ist allerd­ings nicht ans The­ater angegliedert, son­dern seit knapp dreis­sig Jahren an die pri­vate Schule Ecole de danse de Genève. Der hochkarätige Unter­richt und Gastchore­ografen ersten Kalibers lock­en jährlich hun­dert Bewer­ber aus aller Welt — um gehalt­frei zu tanzen. Sie sam­meln Erfahrun­gen. Ja, in grossen Com­panien wür­den sie in der hin­ter­sten Rei­he im Chor tanzen. Hier pro­fil­ieren sie sich in span­nen­den Rollen, so ver­schieden wie die Weltk­lasse-Chore­ografen selb­st — ein ide­al­er Präsen­tierteller für kün­ftige Arbeit­ge­ber, die auch regelmäs­sig geladen wer­den. Das Junior-Bal­lett von Heinz Spo­er­li (seit 2001) erhält die eben­falls zwei­jährige Aus­bil­dung an der hau­seige­nen Oper­nakademie. Es prof­i­tiert von den Werken des Meis­ters, für die eige­nen Tourneen von der Logis­tik des Haus­es und für Stipen­di­en von dessen Know-how: «Wir haben den grössten und besten Spon­soren­samm­ler», erk­lärt das Bal­lettman­age­ment. Zwis­chen 18 und 21 oder 23 Jahren bietet das weltweite Phänomen Junior-Bal­lett also her­vor­ra­gende Weit­er­bil­dung mit Ein­stiegschan­cen in die Arbeitswelt. Ein Nachgeschmack bleibt: Die ertra­gre­ichen Tanz­jahre schrumpfen, nicht nur vom Jen­seits her (vgl. Rekon­ver­sion schon mit Dreis­sig, ensuite Nr. 77), son­dern auch dies­seits vom Tanz.

Tan­za­kademie Zürich schleust Schweiz­er an die Spitze Von den 19 Tänz­ern im Junior Bal­lett Zürich sind zwei Schweiz­er, von zwanzig in Genf nicht mehr. Beim weltweit­en Andrang ist dies nicht über­raschend. Doch die neue Zürich­er Akademieleitung, Stef­fi Scherz­er und Oliv­er Matz, hat sich 2004 vorgenom­men, hau­seigene Tal­ente von klein auf her­anzuzücht­en. Die Früchte sind heran­gereift und man füllt die höhere Aus­bil­dungsstufe nicht mehr mit auswär­ti­gen Schülern. Ab diesem Herb­st sind 12 von 15 Schülern «eigene Kul­tur». Auch das Inter­nat wird ver­mehrt zum Gewächshaus für «heimis­che Sorten». Zur Ern­tezeit find­en 90 Prozent der Aus­ge­bilde­ten Abnehmer, Häuser wie das NDT2 in Den Haag, das Stuttgarter Bal­lett — oder eben vor Ort Heinz Spo­er­li. Dass sie bei so viel­seit­i­gen Com­panien ein­set­zbar sind ist der stilis­tisch aufgeschlosse­nen Kul­tivierung zu ver­danken: Fast täglich ste­hen auch Limon, Gra­ham oder zeit­genös­sis­ch­er Tanz auf dem Stun­den­plan.

Zum Auf­stieg der­er mit Beruf­slehre in die Liga der­jeni­gen mit «eid­genös­sisch anerkan­ntem Fähigkeit­szeug­nis» in diesem Herb­st gehört allerd­ings auch noch etwas anderes auf den Stun­den­plan. Näm­lich Fäch­er für die Beruf­s­matur. Für dieses Finale im Kampf um Anerken­nung muss sich die Leitung aber noch qual­i­fizieren. «Das kommt», sagt sie sieges­be­wusst.

Stef­fi Scherz­er gibt ihre Erfahrung Schweiz­er Lehrern weit­er. Sie ist für die Lehrerbil­dung ver­ant­wortlich, seit 2007 in Form eines Mas­ter­stu­di­en­gangs. «Sie sollen nicht auf Preise hinar­beit­en!», emp­fiehlt sie den Tanzpäd­a­gogen. «Wir haben in der Profis­chule natür­lich mehr Zeit als die Pri­vatschulen und müssen einzelne Tal­ente nicht auf Preise hin­pushen. Die sorgfältige Wagano­va-Meth­ode, die hier angewen­det wird, lässt die Kleinen vor­erst nicht viel bewe­gen. Fol­glich erzielt unsere Akademie in der Kat­e­gorie der Jün­geren auch keine Preise.»

Neben den Zer­ti­fikat­en rund um die prak­tis­che Aus­bil­dung spriessen auch solche der akademis­chen. Die rel­a­tiv junge Diszi­plin Tanzkul­tur, ein Weit­er­bil­dungsstudi­um in Teilzeit an der Uni­ver­sität Bern, baut aus. Neben dem Diplom wird da ab 2010 auch ein Mas­ter ange­boten. Die The­ater­wis­senschaft in Bern bietet ihren Mas­ter schon seit 2007 in Tanz an. Hof­fen wir, dass vor lauter anerkan­nten Zer­ti­fikat­en dem Land das Geld für die Orte der Pro­duk­tion nicht aus­ge­hen. Dem Bern-Bal­lett dro­hte man im Mai mit der Auflö­sung…

Bild: Tanz Akademie Zürich Aram Hasler in «Swarm» von Pablo Ven­tu­ra, Fussspuren IV / Foto: Bet­ti­na Stöss
ensuite, Juni/Juli 2009

Artikel online veröffentlicht: 19. August 2018