Von Anna Roos — Wo vor ein paar Jahren alte Autounterstände standen, steht seit 2006 das erste Minergie-P-ECO-Haus der Schweiz. Minergie-P-ECO ist das höchste ökologische Zertifikat, mit dem ein Gebäude hier ausgezeichnet werden kann. Das Mehrfamilienhaus an der
Gebhartstrasse in Köniz-Liebefeld ist das erste Gebäude in der Schweiz, welches diesen Standard erreicht hat. Wir hören so viel von Öko-Architektur, aber ab wann ist ein Gebäude ökologisch? Welche Bedingungen muss ein Gebäude erfüllen, um Minergie-P-ECO zu sein? Um ein hohes Niveau an Bauökologie zu erreichen, braucht das Bauwerk zuerst eine dichte Gebäudehülle, wie eine dicke Jacke im Winter. Es braucht im Sommer Schutz vor Strahlung, einen Hut. Es braucht eine gute Durchlüftung, um Schadstoffe, wie Radon-Strahlung, zu verhindern. Um die strengen Regeln für die Gesundheit der BewohnerInnen zu erfüllen, soll das Interieur auch viel Tageslicht erhalten, aber wenig Lärmbelastung. Die Auswahl von Materialien ist wichtig; die sollen gut verfügbar sein und so weit wie möglich aus Recyclingbaustoffen bestehen. Die Herstellung und der Aufbau soll die Umwelt wenig belasten. Das Ganze muss auch demontierbar sein, so dass das Gebäude abgebaut werden kann, ohne Spuren zu hinterlassen.
All diese Bedingungen haben die Architekten, Halle 58, in ihrem Projekt erfüllt. Natürlich benützt das Haus erneuerbare Energie: Das Warmwasser wird zu 76 Prozent von Solarenergie und zu 24 Prozent aus Pelletfeuerung geheizt. Die Wohnungen sind zu 100 Prozent mit Holzfeuerung geheizt. Obwohl das Haus eine grosse Glasfront besitzt, was die Energiebilanz belastet, bringt dies einen Vorteil, nämlich eine hohe passive Nutzung des Sonnenlichts. Um Überhitzung zu vermeiden, sind die Holzdecken mit Splittfüllung und einem Zementüberzug konstruiert, welche die Speichermasse erhöht.
Ökologisch denken ist auch ökonomisch denken. Die Grundfläche einer Wohnungen ist «nur» 140 m² gross. Die Wohnungen sind grosszügig, aber nicht zu gross. Sie sind ökonomisch geplant und für eine Familie konstruiert. Der «Open-plan»-Gemeinschaftsraum, kochen, essen und wohnen, ist erhellt durch Licht und Sicht von drei Seiten. Der Raum öffnet sich südlich auf Balkone, auf die schmale Seite des Grundrisses. Die Balkone schlingern um die Ecke bis zur Nord-Fassade. Der Überhang, welcher die auskragenden Balkone schaffen, schützt die Glasfassaden von der direkten West-Sonne im Sommer. Die Rollladen, an den Kanten angehängt, schaffen noch ein wenig privaten Raum und Flexibilität für die Bewohner.
Die Konstruktion hat ein Untergeschoss-Fundament aus Beton. Doch nach dem Untergeschoss ist die Konstruktion komplett aus Holz. Dank dieses Aufbaus sind die Wände nicht tragend. Das gibt eine grosse Flexibilität in die Raumeinteilung vom Grundriss. Jeder Bewohner konnte die Position und Art von Trennwänden auswählen. So war ein grosser Teil Individualität eingeplant. Der stützfreie Grundriss ermöglicht auch die Änderung der Nutzung der Räumlichkeiten. Mit dem Lauf der Zeit können die Räume angepasst werden. So kann man in die Zukunft ein Studio oder Büro in den Raum planen.
Der Halle-58 Inhaber und Architekt, Peter Schürch, hat langlebige, natürliche Materialen ausgewählt. Er wollte, dass die Materialen ihre Integrität behalten, sie nichts anderes darstellen als was sie sind. Man spürt in der Tat die Echtheit geölter Eichenböden, unbehandelter Lärche und Duripanel-Platten (Holzfaserplatten), ‑Verkleidung und Beton.
Die fünfte Fassade, das Dach, ist nicht nur den Solarkollektoren zugewiesen. Oben gibt es eine tolle gemeinsame und begrünte Dachterrasse mit herrlichem Blick auf die Stadt und den Berner Gurten.
Schon seit Jahrzehnten sind wir uns ökologischer Bauweise bewusst. Deshalb ist es eine verpasste Chance, dass wir seit Jahren nur ca 1 % der Gebäude nachhaltig bauen.
Anna Roos ist Architektin bei «kr2» und stammt aus Südafrika, ihre Muttersprache ist Englisch. Ihre Texte werden in Zusammenarbeit mit ensuite — kulturmagazin übersetzt.
Foto: Christine Blaser, Bern
ensuite, Juni/Juli 2010