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Ein Sommer bei den Sartoris – die Henne setzt sich durch

Von Nataraj von All­men — Weit abseits vom venezian­is­chen Touris­ten­strom, 20 Bus­minuten süd­west­lich von der Uni­ver­sitätsstadt Pad­ua, liegt ganz unschein­bar, ver­steckt zwis­chen alten Häusern ein kleines beschei­denes Muse­um.

Im vorge­lagerten, umzäun­ten Garten ste­ht etwas rechts von der Mit­telachse des weiss getüncht­en Stein­haus­es eine Bronze­fig­ur auf einem kleinen Betonsock­el. Beim genaueren Hin­se­hen erken­nt man eine manns­grosse, männliche Gestalt mit Lanze und einem flachen, länglichen Gegen­stand im Gür­tel, im Lauf­schritt fest­ge­hal­ten. Das Gesicht ist son­der­bar verz­er­rt und überze­ich­net, mit ein­er kleinen Stup­snase, weit aufgeris­se­nen Augen und hohlen Back­en, dem ank­om­menden Besuch­er ent­ge­gen­blick­end: Arlecchi­no. «Museo Inter­nazionale del­la Maschera», ste­ht in kleinen Let­tern rechts von der Ein­gangstür in den Vor­garten. Der Buschauf­feur, die Frau auf der Strasse und der Velover­mi­eter im Ort wussten nichts von diesem Muse­um, als ich vor vier Jahren hier her kam, um im Muse­um die Led­er­masken der «Com­me­dia dell’arte» zu besichti­gen. Im Muse­um befind­et sich zum Beispiel die 1’700 mal gespielte, mit Schweiss getränk­te Arlecchi­no-Maske des Schaus­piel­ers Fer­ruc­cio Soleri in der Pro­duk­tion «Arlecchi­no, Servi­tore di due Padroni» vom Pic­co­lo Teatro in Milano in der Insze­nierung von Gior­gio Strehler. Magisch im Dunkeln, The­ater­stim­mung vortäuschend, in schwach­beleuchteten Vit­ri­nen insze­niert, rei­ht sich Maske an Maske, vol­len­det im Handw­erk, stark im Aus­druck: 60 Jahre The­atergeschichte; ein Wieder­au­fleben der für tot erk­lärten Com­me­dia dell’arte nach dem 2. Weltkrieg. Ein wun­der­sames Zusam­men­tr­e­f­fen von dem Mimen Jacques Lecoq aus Paris und dem Bild­hauer Amle­to Sar­tori an der Uni­ver­sität Pad­ua führte 1948 mit der The­ater­gruppe der Uni­ver­sität zum Wieder­aufer­ste­hen der Led­er­maske für das The­ater, nach 200 Jahren des Vergessens der Com­me­dia del­l’arte.

Nun bin ich wieder da, für einen Monat hier in Abano Terme. Im berühmtesten Masken­stu­dio der Welt, wie es in einem kleinen Büch­lein über Masken geheis­sen hat, das ich zur Vor­bere­itung auf den Maskenkurs gele­sen habe. Schaus­piel­er, Sat­tler, Büh­nengestal­ter, Set-Design­er, Kostüm- und Masken­bild­ner, Kun­st­stu­den­ten aus der ganzen Welt – und eben auch ich als The­ater­schaf­fend­er haben sich hier einge­fun­den, um die Tech­nik des Led­er­masken-Her­stel­lens fürs The­ater zu erler­nen.

Kana­da, USA, Hol­land, Deutsch­land, Däne­mark, Ital­ien, Frankre­ich, und eben auch die Schweiz sind vertreten. Alle sind glück­lich, hier einen Platz bekom­men zu haben; es wur­den nicht alle genom­men, wurde gemunkelt. Die ersten 3 Tage begeben wir uns in einem Neben­raum des Muse­ums auf eine Reise durch die Welt der Maske: «Die Chris­ten has­sten die Frauen und die Masken», war der erste Satz, den Dona­to Sar­tori, Kursleit­er, Bild­hauer und Schöpfer viel­er berühmter Masken aus der Werk­stadt der Sar­toris – nach dem frühen Tod von Amle­to Sar­tori hat Sohn Dona­to die Werk­statt weit­erge­führt – qua­si in den Raum warf. Ton­nen­schw­er liess er ihn einen Moment im Raum schweben. «Warum has­sten sie die Masken?», stellt er die Frage; post­wen­dend kommt die Antwort: «Gott hat den Men­schen nach seinem Eben­bild geschaf­fen.» Gott mit ein­er Maske, unvorstell­bar, sage ich zu mir, inner­lich nick­end. Dona­to spricht frei, schöpft aus seinem riesi­gen Erfahrungss­chatz und seinem Wis­sen über Masken; hier ein paar erwäh­nenswerte The­men aus seinem dre­itägi­gen Vor­trag:

In Neukale­donien bemalen sich die Men­schen die Haut mit Tierköpfen, was die Zuge­hörigkeit zu einem Clan bestätigt; Dona­to meint, diese Tra­di­tion bee­in­flusse die heutige Tat­too-Bewe­gung.

Südameri­ka: Maya-Geis­ter müssen mit Blut getränkt wer­den, damit die Sonne am näch­sten Tag wieder aufge­ht. Priester tra­gen 20 Tage lang den Totenkopf mit Haut des Geopfer­ten als Kopf­be­deck­ung. In Mexiko gibt es einen kämpferischen Tanz zwis­chen den Erober­er-Masken und den Einge­bore­nen; die Einge­bore­nen gewin­nen.

Der wilde Mann aus dem Wald oder aus den Bergen taucht in vie­len Masken als Motiv auf. Auf meine Erwäh­nung wird «Die Hard­er­potschete» aus Inter­lak­en sofort mit viel Inter­esse in die Ahnen­ga­lerie der Masken aufgenom­men; ob auch Frauen diese Masken tra­gen, wollte Pao­la, die Frau von Dona­to wis­sen.

Die Com­me­dia del­l’arte wurde von den Erober­ern nach Südameri­ka gebracht. In Brasilien gibt es ein Fest, wo Cap­i­tao (=Cap­i­tano) auftritt. Nach 500 Jahren ist diese Tra­di­tion dort immer noch lebendig.

Nach den Griechen und Römern brachen die Bar­baren aus dem Nor­den in Nordi­tal­ien ein: es kommt zu einem Bruch. Die Nordlän­der sind ein kriegerisches Volk; sie schmück­en sich um das Jahr 1000 n. Chr. mit pelzbe­set­ztem Schädel als Kopf­be­deck­ung. Diese Verbindung Men­sch und Tier­schädel führt offen­sichtlich zum Ein­bezug von Tier­for­men in die Maske. Dona­to weiss, dass Michelan­ge­lo sich für das Gesicht von David von einem Löwen inspiri­eren liess.

Wie entste­ht die Idee zu ein­er Maske? Die Sar­toris haben sich hierzu eine beson­dere Übung zurecht­gelegt. Maria aus Brasilien lebt in Mar­seille, ist dort Req­ui­si­teurin des The­ater «Tab­u­la rasa», Marie-Eve, Set­de­signer­in aus Cana­da, und ich sollen eine Szene, eine the­atralis­che Sit­u­a­tion mit drei dazuge­höri­gen Charak­teren erfind­en. Es entste­hen also neue Masken, die sich aufeinan­der beziehen; nicht schlecht, denke ich. Ein Huhn (Servier­tochter, allein­erziehend, bis spät in die Nacht arbei­t­end, etwas dümm­lich, aufge­plus­tert), ein Bär (aus gutem Haus, Jus-Studi­um abge­brochen, etwas träge, gemütlich) und ein Wolf (arbeit­s­los, herum­lungernd, hin­ter­trieben und schlau) ver­passen gle­ichzeit­ig um Mit­ter­nacht den Zug: aus dieser Sit­u­a­tion entwick­elt sich dann eine kleine Geschichte, die später mit den fer­ti­gen Masken gespielt wer­den kön­nte. Die Vorstel­lung der Tiere ist nur eine Arbeit­shil­fe, die am Ende mit den men­schlichen Wesen­szü­gen ver­schmilzt. Basierend auf dieser Sit­u­a­tion mit den gefun­de­nen Charak­teren entste­hen nun Skizzen, Entwürfe und Zeich­nun­gen; Dona­to führt uns sich­er in unserem Prozess des Suchens, Ver­w­er­fens und Find­ens, schliesslich hat er 1000 Masken erfol­gre­ich gestal­tet und real­isiert, und seine Masken wur­den lebendig auf der Bühne. Mit mein­er Henne, mit Augen wie Schein­wer­fer eines alten Peu­geots und der schn­abelähn­lichen Nase, mit hän­gen­den Augen­säck­en, die sich mit zu hohen Augen­brauen fast zu ein­er Taucher­brille vere­ini­gen ist er zufrieden. Ich staune über die Zeichenkün­ste der Bären­frau aus Kana­da. Ab mor­gen sind wir im Ate­lier, dem berühmten Maske­nate­lier der Sar­toris, 7 Rad­minuten vom Muse­um ent­fer­nt. Pao­la führt uns durch das Ate­lier; hier oben, in unerr­e­ich­bar­er Höhe, hänge der leicht rot gefärbte, schelmis­che Gip­skopf von Dario Fo, etwas rechts davon Fer­ruc­cio Soleri, der lebenslange Arlecchi­no-Darsteller, den ich vor drei Jahren im Alter von 80 Jahren noch in sein­er Leben­srolle auf der Bühne des Pic­co­lo Teatro in Mai­land in der Insze­nierung von Gior­gio Strehler gese­hen habe. Auch Gior­gio Bon­gio­van­ni, der im Pic­co­lo Teatro seit 25 Jahren den Pan­talone gibt, hat seinen Platz. Selb­st Lecoq müsste da sein, der ist aber, nach­dem er gestor­ben ist, oben in der Woh­nung in Sicher­heit gebracht wor­den, oder um ihm näher zu sein, wie ich ver­mute. Dort ist er gebor­gen, als Gips unsterblich auf dem Olymp. Dona­to sagte mir, dass er noch Dario Fo und die Sar­toris besucht hat, im Ate­lier let­zte Szenen für seinen Film gedreht hat, dann nach Frankre­ich zurück­gekehrt und dort 3 Monate später gestor­ben ist. Wenn es auf Erden einen Masken­paradies gibt, dann ist es das Ate­lier der Sar­toris: hun­derte von Gip­sköpfen an der Wand, Masken in Led­er, Holz­for­men, Fratzen und schrul­lige Alte in Ton geban­nt, Gip­shohlfor­men, Werkzeuge, Pin­sel, Leim, frühere Skulp­turen, Entwürfe; es ist ein­fach nicht zum Sattse­hen. Man will ein­tauchen in diese Welt der Maske, alles Auf­saugen, zur Maske wer­den. Aber Achtung: Fotografieren streng­stens ver­boten! Alle diese jun­gen The­ater­men­schen aus aller Welt, die den Kurs übers Inter­net gefun­den haben, sind aus­gerüstet mit i‑Phone usw., sie sind es gewohnt, ihre Erfahrun­gen ins Netz zu stellen und mit ihren Fre­un­den zu teilen, somit kön­nte alle Welt teil­haben am Reich­tum dieses Masken-ate­liers. Die Sar­toris sind über­fordert, schützen sich; zwei Wel­ten, zwei Zeit­en tre­f­fen aufeinan­der. Die Absur­dität zeigt sich in der ange­blichen Inter­na­tion­al­ität, die sich das Muse­um und das Cen­tro Maschere geben will, und im Dorn­röschen­da­sein, das sie pfle­gen, darin, dass es hier in der Umge­bung kaum ein­er ken­nt. Kann Arlecchi­no und seine Fam­i­lie so wirk­lich ins 21. Jahrhun­dert gerettet wer­den?

Masken­mach­er sind Men­schen der Tat, und schliesslich wollen meine Entwürfe nun Masken­wirk­lichkeit wer­den; Tage der Arbeit, des Schweiss­es, der Ver­wun­derung fol­gen; wir sind ver­wun­dert über all die Reg­is­ter, die die Sar­toris ziehen: Meth­o­d­en, Ver­fahren und Tech­niken, jahre­lang erprobt, erwarten uns. Das Herzstück ist die mod­el­lierte Maske in Ton. Die Maske soll hier aber auf das eigene Gesicht angepasst wer­den; das bedeutet: Jed­eR von uns muss dem Tod des eige­nen Gesicht­es ins Auge schauen. Das Ich, das Gesicht des Spiel­ers muss ster­ben, damit die Maske leben kann, wie sich ein­er mein­er The­ater­lehrer aus­drück­te. Ein­drück­lich, wie die Gesichter mein­er Mit-Stu­dentin­nen und ‑stu­den­ten immer mehr unter flüs­sigem Gips ver­schwinden; eine erste Maske? Aus einem abge­formten Gip­spos­i­tiv wird dann das eigene Gesicht in Ton mod­el­liert. Auf dieses Gesicht erwächst dann organ­isch die Masken­form. Meine Henne gewin­nt an Kon­tur. Es zeigt sich bald, was das Marken­ze­ichen Sar­tori bedeutet; einen sehr hohen Anspruch an Mass­ge­nauigkeit an das eigene Gesicht, an Verdicht­en des Aus­drucks, an Real­isier­barkeit in Led­er, Trag­barkeit der Maske, Reduzieren und Suchen von Abstrahierung der Form. Dona­to Sar­toris Masken leben von stark­er Vere­in­fachung, Reduk­tion auf das Zeichen­hafte mit gle­ichzeit­igem max­i­malem Aus­druck. Meine Henne hüpft etwas aus der Norm, ist nicht eine Com­me­dia dell’arte Maske, hat keine tiefen Fal­ten, keine Pul­cinel­la-Nase, keine hohlen Back­en wie Arlecchi­no. Die Sar­toris kom­men immer wieder vor­bei und staunen; La maschera strana, die son­der­bare Maske, meint Dona­to, Pao­la dage­gen meint, sie habe etwas vom Tod.

Auch Wolf und Bär nehmen For­men an. Über ver­schiedene Gipsabgüsse entste­ht dann die Masken­form aus Gips, die Vor­lage für die Holz­form. Ein kantiger Holzk­lotz, Mass­werkzeuge, Bleis­tift, Holzham­mer und ver­schiedene Stech­beu­tel liegen daneben bere­it. Stellt euch vor der hölz­erne Maskenkern liegt ganz im Wass­er, langsam sinkt der Pegel, alles über Wass­er ausser­halb der Masspunk­te kann weggeschnit­ten wer­den, bis Nasen­spitze, dann Nasen­flügel, Ober­lippe usw. aus dem Wass­er schauen; mir gefällt das Bild, nichts wie los! Ein dre­itage­langes Häm­mern und Schwitzen bei fün­fund­dreis­sig Grad ist die Folge, langsam glotzt meine Holzhenne aus dem Klotz. Wie beim Ton muss auch hier die Ober­fläche «geputzt» wer­den, wie sich die Sar­toris aus­drück­en; die kle­in­ste Uneben­heit wird vom Led­er wiedergegeben wer­den, also weg damit. Der sauber her­aus geschnit­tene Holzk­ern der zukün­fti­gen Maske bekommt etwas Magis­ches, fängt an zu leben. Die Henne macht uns Sor­gen, geben mir die Sar­toris immer wieder zu ver­ste­hen. In ein­er Arbeitspause wurde sie exam­iniert, dann wurde eine Krisen­sitzung abge­hal­ten; die Tiefe der Schn­abel­nase macht ihnen Sorge, für einen Maske­nan­fänger wie mich fast nicht zu meis­tern. Nun schwebt die Henne wie ein Damok­less­chw­ert über der Werk­statt. Deine ist am Ende noch am besten, tröstet mich Nico­lai aus Lübeck, mein WG-Part­ner; die Tiefe wird ihr einen starken Aus­druck geben. Qua­si im Chor der heili­gen Masken­werk­statt, wo die berühmten Holzk­erne von Arlecchi­no, Brighel­la und Pan­talone usw. aufgeschichtet sind, wird schon emsig am Led­er gear­beit­et; Lydia die erfahrene, langjährige Mitar­bei­t­erin der Sar­toris, macht die ersten wichti­gen Arbeitss­chritte, das Ein­klei­den des Holzk­erns mit dem nassen, mehrmals gewrun­genen Led­er­stück, das durch diesen Prozess weich und beweglich gewor­den ist. Durch das Fes­t­nageln bei den Augen, den Nasen­löch­ern und an den tief­sten Stellen, und ring­sherum am hin­teren Rand, kann das Led­er nicht mehr weichen und wird in ver­schiede­nen Schrit­ten durch Holzs­pach­tel, ver­schiedene Häm­mer und weit­ere Holzspin­del in die Form gezwun­gen. Da das Led­er beim Trock­nen etwa 5% schwindet und sich beim Trock­nen aus den Ver­tiefun­gen her­aus­reisst, muss der Feuchtigkeit­shaushalt des Led­ers genau beachtet wer­den. Schritt für Schritt wird aus ein­er Kuh­haut eine neue, the­atralis­che Haut für den Schaus­piel­er, deren Wesens­merk­male eines Charak­ters sich tief in das Led­er ein­prä­gen. Da die schwierige Henne viele Fra­gen offen­lässt, ist sie die let­zte die dran kommt. Wegen Zeit­not und dem Schwierigkeits­grad ist Lydia über­mäs­sig beansprucht, das wird eine Sar­tori-Maske spot­tet Nico­lai. Doch ist nun der langersehnte Moment gekom­men, wo der Holzk­ern her­ausgenom­men und dieser leere innere Raum für das Gesicht des Spiel­ers entste­ht. Obwohl noch lange nicht fer­tig, stecke ich mein Gesicht heim­lich rein; erstaunlich wie die Maske passt, sie ver­schmilzt mit dem Gesicht zu ein­er Ein­heit; fast nichts ste­ht mir mehr im Wege, diese quere, unlieb­same Henne zu wer­den. Alle sprechen schon von den schwarzen Klei­dern, die wir mor­gen brauchen; drei Tage wird Gior­gio Bon­gio­van­ni, langjähriger Pan­talone, uns ins Masken­spiel ein­führen. Arlecchi­no, Dot­tore, Brighel­la und Pan­talone wer­den, neben unseren eige­nen Masken, auch ins Spiel kom­men.

Endlich kön­nen sich der Wolf, der Bär und die Henne auf der Bühne begeg­nen; welch beschw­er­lichen Weg sind die drei gegan­gen um endlich auf der Bühne zum Leben erweckt zu wer­den. Gior­gios Erfahrung wird schnell sicht­bar; vor allem macht er präzise Angaben zu Pan­talone, sein­er Kör­per­hal­tung, seinem Zug nach vorne. Mir einen Faden an Nase und dem besten Teil vorstel­lend, bin ich sehr erfreut und erle­ichtert; endlich ist Com­me­dia dell’arte das The­ma, wie es eigentlich in der Auss­chrei­bung geheis­sen hat. Durch genaues Studi­um der Hal­tung, der Maske und des Kostüms hat sich ergeben, dass Pan­talone immer im Pro­fil wirkt, der Dot­tore eher von vorne, und Arlecchi­no im Dreiviertel­pro­fil, das sind wichtige Erken­nt­nisse für den Spiel­er. Der Kern der Arbeit mit Gior­gio hinge­gen ist die Arbeit mit der Maske an sich; jeden neuen Gedanken, jeden neuen Plan muss die Maske durch einen Blick dem Pub­likum ver­ständlich machen, bevor er aus­ge­führt wird. Wir vergessen beim Spie­len, dass die Maske den Kör­p­er führt, Gior­gio erin­nert uns immer wieder daran. So nähert sich die Abschlussvorstel­lung. 100 Zuschauer aus der Fam­i­lie der Sar­toris und Masken­in­ter­essiert­er haben sich einge­fun­den. Wir haben eine ein­fache Chore­ografie ein­studiert, wo jede neue Maske sich in ihrer indi­vidu­ellen Art bewegt, und sich hie und da schon schüchtern die dazu passende Stimme und Gedanken­welt des Charak­ters offen­bart. Ein über­gross­es Diplom wird uns über­re­icht, nie­mand wird mit der Ver­weigerung bestraft; spöt­tel­nd haben wir Stu­den­ten uns das immer wieder gegen­seit­ig ange­dro­ht. Ein rauschen­des Fest mit Essen, Palav­ern und Tanzen, wo alle Zuschauer ein­ge­laden wur­den, beschliesst den Maskenkurs. Spezial­itäten aus all den Län­dern der beteiligten Kursteil­nehmer – Rösti aus der Schweiz, Chabissalat aus New York und Caiprin­ha aus Brasilien – zieren das viel­seit­ige Buf­fet. Plöt­zlich werde ich an einen Tisch gerufen um Kom­pli­mente für die Henne ent­ge­gen zu nehmen; ich nehme einen tiefen Atemzug und ver­beuge mich dank­end.

Die Gäste sind gegan­gen. Dona­to ist ver­schwun­den, Pao­la schläft friedlich auf ein­er Liege. Bis in die frühen Mor­gen­stun­den sitzen wir mit Gior­gio am Tisch, auch er geniesst die Unbeschw­ertheit mit uns, schon im Dezem­ber ste­ht er im Pic­co­lo Teatro wieder als Pan­talone auf der Bühne. Endlich haben wir Zeit auch über uns zu sprechen, nie­mand will wirk­lich gehen, e‑Mail Adressen wer­den aus­ge­tauscht. Lieke, die Kun­st­stu­dentin aus Hol­land, erin­nert sich, dass es noch eine Flasche Spumante im gemein­samen Kühlschrank hat; ein Abschied­strunk, die Gläs­er klir­ren ein let­ztes Mal, der Sekt ver­mis­cht sich mit den Abschied­strä­nen: Ciao-Good­bye-Au Revoir-Tschüss; die Masken gehen hin­aus in die weite Welt, und wer­den hof­fentlich lebendig auf dieser oder jen­er Bühne.

Foto: N. von All­men
ensuite, Dezem­ber 2013

Artikel online veröffentlicht: 18. Juni 2019