Von Karl Schüpbach — Ein Fazit wird immer am Ende einer Entwicklung gezogen, wenn eine Neuausrichtung vorliegt. In den meisten Fällen wird die Betrachtung unter dem Strich individuell unterschiedlich ausfallen und Schwerpunkte verschieden gesetzt. Mit dieser Situation sehen wir uns konfrontiert, wenn wir es wagen an die Beurteilung der neu geschaffenen grossen kulturellen Institution «Konzert Theater Bern» (KTB) heranzutreten.
Die Ausgangslage Durch gravierende Fehlentscheide auf der Chef-Ebene des Berner Stadttheaters (STB) – ich persönlich möchte den Vorstand des Verwaltungsrates in die Verantwortung miteinbeziehen – ist das Theater in tiefrote Zahlen abgerutscht. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig zu wissen, dass das STB und das Berner Symphonieorchester (BSO) in einer Art kultureller Symbiose auf Gedeih und Verderben aneinander gekettet sind, dies weil das viel zu kleine Haus am Kornhausplatz sich keine eigenständige Oper mit eigenem Orchester leisten kann. Die Mitglieder des BSO verdienen dadurch die Hälfte ihrer Gage mit der Arbeit im Theater. Wichtig ist auch zu wissen, dass das BSO vor einigen Jahren auch in rote Zahlen geraten ist. Dank gewaltiger Anstrengungen – keine Entrichtung einer Teuerungszulage, keine teuren Solisten und Programme – konnte das Blatt wieder gewendet werden, das BSO steht heute auf gesunder finanzieller Basis da. Genau zu diesem Zeitpunkt verschiedenster Ausgangslagen – rote Zahlen STB, schwarze Zahlen BSO – sahen die politischen Gremien von Stadt und Kanton, die Gemeinden der Regionalkonferenz Bern-Mittelland Handlungsbedarf, es kam zur Gründung von KTB.
Das Vorgehen
Positiv Seit Jahrzehnten war die Zusammenarbeit zwischen STB und BSO sehr schlecht, obwohl es für beide Institutionen, wie oben erwähnt, gar keine realistische Alternative gab. Mit ewigen Sticheleien und Prestige-Spielchen, bekämpften sich das STB und das BSO bis aufs Messer. Ein kleines, selbst erlebtes Beispiel: Vor vielen Jahren äusserte sich eine Führungs-Person BSO derart: «Mit diesen Leuten spreche ich nicht mehr …» – gemeint war die Abteilung Dramaturgie des Theaters.
Es war und ist also zu begrüssen, dass endlich Bewegung in die verfahrene Situation gekommen ist. Hier sei immerhin noch die Frage gestellt, ohne darauf eine Antwort zu geben: Ist es richtig, dass eine Institution mit solider Basis helfen muss, eine kränkelnde aus dem Schlamassel zu ziehen?
Negativ Sehr zu meinem Bedauern wird dieser Abschnitt viel länger und somit gewichtiger ausfallen. Es sind zwei Themenkreise, welche die folgenden Ausführungen beherrschen werden: Die Unfähigkeit der Politik und von Laien, ihre Inkompetenz in künstlerischen Fragen einzugestehen, und die Unfähigkeit von KünstlerInnen, sich zur Wehr zu setzen.
Seit Jahrzehnten kämpfe ich dagegen an, dass der akademische, hochspezialisierte Beruf einer Orchestermusikerin, eines Orchestermusikers im höchsten Grad fremdbestimmt wird, will heissen, dass Vertreter anderer Berufe, zusammen mit der Politik, über das Schicksal der Mitglieder des BSO und des künstlerischen Personals des STB entscheiden. Ich weiss, dass auch andere Berufsstände gegen dieses Übel ankämpfen müssen. Ich gebe Ihnen für unseren Fall ein sehr schwerwiegendes Beispiel für eine solche Einmischung: Zu Beginn der Auseinandersetzungen über die geplante Fusion äusserte die Stiftung schwere Bedenken, zumal klar spürbar wurde, dass der Präsident des Theater-Verwaltungsrates den wahnwitzigen Versuch unternehmen wollte, das BSO bei der Gelegenheit dem STB unterzuordnen. Um diese Diskussion zu unterbinden, äusserte sich der Stadtpräsident sinngemäss dahingehend: «Wenn die beiden Institutionen nicht endlich spuren, drehen wir den Finanzhahn zu!» – Die Tatsache, dass Herr Tschäppät diese Meinung in der bernischen Presse ungestraft äussern durfte, ohne seine politische Laufbahn in Gefahr zu bringen, lässt den pessimistischen Schluss zu, dass die Hierarchie: hier Politiker und Laien, und unter ferner liefen Kulturschaffende, auf soliden Füssen steht.
Es ist für mich klar, dass die KünstlerInnen von STB und BSO daran mitschuldig sind.
Die Unfähigkeit der KünstlerInnen von BSO und STB sich zur Wehr zu setzen Die Krise zwischen STB und BSO hätte auch anders gelöst werden können, dies allerdings nur unter der Bedingung, dass sich die Betroffenen lautstark und mit Gewicht zu Wort gemeldet hätten: Das künstlerische Personal der beiden Institutionen hätte ein gemeinsames Anforderungsprofil entwerfen müssen mit folgenden Punkten: Geeigneter und auf Bern abgestimmter Spielplan – damit Abkehr der Nachahmungsversuche der Opernhäuser in Zürich, Basel und Genf –, Definition von gemeinsamen Auftritten ausserhalb des Theaters (natürlich ohne die Sinfoniekonzerte zu konkurrenzieren), gemeinsamer Kampf gegen die skandalöse Lohnsituation mit wirksamem Gehörschutz gegen die platte Litanei: «Wir haben leider die nötigen finanziellen Mittel nicht». Von einem solchen Schulterschluss ist leider nicht zu berichten. Obwohl ich ein grosser Opern-Fan bin, masse ich mir nicht an, das künstlerische Geschehen im STB zu beurteilen. An das BSO gerichtet muss aber energisch die Forderung gestellt werden: Tretet endlich aus Eurer vornehmen, um nicht zu sagen, kurzsichtigen Passivität heraus! Leitet endlich aus Eurem enormen künstlerischen Aufschwung, der Euch in die Reihe der Spitzenorchester der Schweiz katapultiert hat, den Anspruch ab, ein wichtiges Wort in der Musikszene Berns mitzureden!
Aussichten
Negativ Nach dem Prinzip «divide et impera» hat die Politik, auf dem Boden der Uneinigkeit der Künstler von STB und BSO, die Gründung von KTB in Form eines rein politisch begründeten Schnellschusses vorgenommen. Das übergeordnete Motiv: die Finanzen. Wie weit wir heute von einem echten Dialog Politik/Kulturschaffende entfernt sind, mag die Tatsache belegen, dass es die Politiker vorzogen, zur Lösung der Probleme zwischen STB und BSO einen aussenstehenden Kulturmanager, Herrn Cyrill Haering beizuziehen, anstatt mit den an Ort und Stelle arbeitenden Profis – auf gleicher Augenhöhe – eine Lösung zu suchen. Rückblickend muss man sagen, dass seine Vorschläge – Abschaffung des Balletts, Kürzung der künstlerischen Aktivitäten von STB und BSO um mit den Einsparungen eine Steigerung (!) der Qualität zu erzielen – dass diese Vorschläge sich als unbrauchbar erwiesen. Unbeirrt davon hat Herr Tschäppät sie noch an der letzten Stadtrats-Sitzung vor der Abstimmung über die Kultur-Verträge als wertvolle Grundlage für KTB bezeichnet.
Aber das Trauerspiel geht noch weiter: Die von Herrn Hans Lauri geleitete Kommission zur endgültigen Gestaltung von KTB hat die beiden einzigen betroffenen Profis von STB und BSO von der Mitwirkung ausgeschlossen. Zur Rede gestellt, begründete der Präsident des Orchestervorstandes diese Massnahme mit dem mehr als fadenscheinigen Argument, es brauche jetzt frische Köpfe!
Nicht nur die abschliessende Kommissionsarbeit, sondern auch der künftige Stiftungsrat KTB glaubt, ohne Künstlervertretung arbeiten zu können – eine empfindliche Schwächung der Position der MusikerInnen, die im Stiftungsrat BSO und den Vorgängerorganisationen stets mit Stimmrecht vertreten waren. Es ist mir schleierhaft, wie die immer wiederkehrenden Beteuerungen von Herrn Lauri die gute Zusammenarbeit mit den Künstlern betreffend mit dieser Entmachtung in Einklang gebracht werden soll.
Weiter oben war die Rede von einem politisch bedingten Schnellschuss: In der Tat, wie soll man verstehen, dass seit Jahren laufende, endlose Verhandlungen plötzlich innert Monaten abgeschlossen werden müssen. Das Argument der auslaufenden Kulturverträge greift nicht. Ich habe Herrn Bernhard Pulver, Erziehungsdirektor des Kantons Bern, über die Möglichkeit einer Verlängerung der geltenden Verträge sprechen gehört. Das Eiltempo hat sich den auch in einem beängstigenden Mangel an Transparenz bei der Information gerächt: Kein Einblick in Entwicklungsprozesse, nur homöopathisch dosierte Bekanntgabe bereits gefällter Entscheide, und je nach Quelle einander widersprechende Informationen.
Es erscheint mir billig, dieses Vorgehen nur zu kritisieren, ohne ein Beispiel anzuführen, wie man es anders machen könnte. Gerade im Verlauf der letzten Tage bin ich fündig geworden: Der Kanton Freiburg braucht ein neues Schulgesetz. Dazu veranstaltet er eine grosse Anzahl öffentlicher Orientierungs-Veranstaltungen, die in ein Vernehmlassungsverfahren münden, an dem jede Person teilnehmen kann. Die Meinungen werden ausgewertet und fliessen in einen Gesetzesentwurf ein, der auch wieder öffentlich eingesehen werden kann. Es gibt entscheidende Unterschiede: Einen grosszügigen Zeitplan und den festen politischen Willen, dass das Gemeinwohl – dazu gehört auch die Gründung einer kulturellen Institution! – die Angelegenheit von allen und nicht von einigen Privilegierten ist.
Positiv Es bringt für mich versöhnliche Gefühle mit sich, diesen Artikel mit positiven Gedankengängen abschliessen zu können. Es bedeutet auch eine Abrundung zu der eingangs geäusserten Zustimmung zur Fusion an sich. Im Folgenden möchte ich vom Wichtigen zum Wichtigsten kommen.
Musik-Theater-Bern – Konzert Theater Bern Der bereits mehrfach negativ erwähnte Bericht Haering hat als Namen für die neu zu gründende Institution «Musik-Theater-Bern» vorgeschlagen. Damit lag er genau im anfangs befürchteten Trend: mit diesem Titel wäre das BSO von der Bildfläche verschwunden! Weiter oben war davon die Rede, dass der Präsident des Verwaltungsrates STB, Herr Henri Huber, in einer Art Flucht nach vorne die Übernahme des Orchesters geprobt hat. Das hat zum Glück nicht geklappt, der heutige Titel räumt dem Orchester den ihm gebührenden Platz ein. Leider sind mir die Details dieses Namenswechsels nicht bekannt.
Stephan Märki – Mario Venzago – Xavier Zuber – die KünstlerInnen von BSO und STB Hier wird ein Team von hochrangigen professionellen KünstlerInnen an der Arbeit sein, dem unser Vertrauen gehört. Es ist ihnen zu gönnen, wenn sie mit verantwortlichen Laien und Politikern und Politikerinnen auf gleicher Ebene einen Teil des kulturellen Lebens unserer Stadt – auch darüber hinaus – prägen können. Ich habe bewusst die KünstlerInnen von BSO und STB in diesen Titel eingeschlossen. Das verlangt aber, dass sie gemeinsam, Seite an Seite von ihrer bisherigen Schneckenhaus-Politik Abstand nehmen. Ich wiederhole mich hier bewusst, um dieser vitalen Forderung das nötige Gewicht zu verleihen.
Stephan Märki, ein professioneller Künstler und nicht ein Manager mit Kunstkenntnissen Sehr zum Ärger von vielen Kunstschaffenden wurde an dem Anforderungsprofil festgehalten, dass an die Spitze von KTB ein Manager mit Affinität zu Musik und Theater gewählt werden muss. Es ist sehr viel Druckerschwärze über die Tatsache geflossen, dass ein Manager nie die Voraussetzungen mitbringen kann, um den äusserst komplexen künstlerischen Anforderungen dieser Stelle gerecht werden zu können. Es schien nicht zu fruchten, Herr Lauri signalisierte gegen aussen keinerlei Diskussionsbereitschaft in dieser Frage. Umso erstaunlicher war es, dass gerade er an der Pressekonferenz und an der Orientierung des künstlerischen Personals den neuen Stelleninhaber vorstellte. Ich wiederhole mich in meiner immer noch anhaltenden Fassungslosigkeit: Einen professionellen Künstler mit profunden Management-Kenntnissen. Sinngemäss sagte Herr Lauri: «Wir sind zur Einsicht gelangt, dass es besser ist, einen Künstler an diese Stelle zu berufen.» Keine weiteren Erläuterungen, keine Einzelheiten – sehr schade, vielleicht hätten sich positive Folgerungen für zukünftige Diskussionen im Rahmen der heiklen Thematik Kultur und Politik ableiten lassen…
Wie dem auch sei, wir wünschen Herrn Märki und seiner Crew ein dröhnendes toi, toi, toi…
Foto: zVg.
ensuite, August 2011