Von Ruth Kofmel — Die Geschichten rund um die Entstehung eines simplen Tonträgers erstaunen mich immer wieder neu. Ich meine nicht vorwiegend den ganzen Apparat um eine Veröffentlichung herum, wie Produktion, Promotion etc., sondern nur die Tatsache, dass sich Menschen zusammenfinden und daraus Musik entsteht. Aus der Ferne mag dies banal erscheinen, einfach auch. Aus der Ferne mag man denken: Die können das halt, die machen das gerne, spielen so vor sich hin und raus kommt eine CD. Vielleicht stellen wir uns auch vor, dass es ein grosser Spass sein muss, Musiker zu sein, viel Freiheit und wilde Geschichten, intensives Leben ganz nach dem eigenen Gusto. Und für manche Musiker mag das in manchen Situationen auch stimmen — sonst scheint mir aber vor allem hinter den meisten Scheiben unheimlich viel disziplinierte Arbeit, Beharrlichkeit und Leidenschaft zu stecken.
Filewile bringt all dies mit und ihr neustes Baby «Blueskywell» lächelt uns wohlgenährt ins Ohr. Filewile ist vorerst Daniel Jakob und Andreas Ryser, die im Jahr 2007 ihre erste Scheibe «Nassau Massage» veröffentlichten. Darauf war ein breiter Mix an Gastsängern und Rappern vertreten, illustre Namen darunter wie Nicolette, Rider Shafique oder Baze. Die Musik war irgendwo zwischen Elektronik, Pop und vielen Dub-Elementen angesiedelt und das Echo darauf vielversprechend. Entstanden war dieser Erstling ausgehend von einer eher mühseligen Auftragsarbeit für ein Tanztheater, wo der Entschluss reifte, zusammenzuspannen und die Dinge selbst in die Hand zu nehmen — unabhängig von anderen den Sound zu verwirklichen, der Ryser und Jakob vorschwebte. Also bastelten sie ein fahrendes, autobatteriebetriebenes Soundsystem und bespielten im 2005 unter anderem die Passanten des Musikfestivals Sonar in Spanien.
Nach ihrer ersten Veröffentlichung war für sie die Tour durch Mexiko ein prägendes Erlebnis, wo zwei weitere wichtige Personen das Projekt zu einer Band werden liessen: Joy Frempong als Sängerin und an der Elektronik und Mago Flück als Bassist; beide sind mittlerweile fester Bestandteil des Quartetts. Eine Band, die sich wöchentlich im Proberaum trifft, sind Filewile zwar immer noch nicht, aber die neue CD, so betonen Daniel und Andreas, ist ein Gemeinschaftswerk mit Bandleader sozusagen. Und das Gefühl, als Band zu agieren, sei durchaus sehr wichtig für sie. Auch hier beschreitet Filewile eher ungewohnte Wege: Die Songs auf «Blue-skywell» wurden zu einem grossen Teil bereits auf der Bühne ausprobiert und zusammen mit den Stücken von «Nassau Massage» an etlichen Konzerten gespielt. Mit diesen Erfahrungen im Gepäck, dem Elchtest für Musik sozusagen, ging’s dann zurück ins Studio.
Die Weiterentwicklung ist deutlich hörbar. Daniel beschreibt es so, dass die Musik nun noch mehr wolle; grosse Pop-Gesten aufführen zum Beispiel, aber auch cool grooven, schräg sein und eigen, sie will Geschichte erzählen und zu Hause wie im Club funktionieren. Es ziehe und zerre in alle Richtungen. Genau das ist auch das bestechende an diesem Sound, schwer einzuordnen ist er und an der Plattentaufe weiss das Publikum nicht so recht, ob es nun die Knie zum Wippen lockern soll, die Hüfte zum Kurven schwingen oder besser mit dem Kopf nicken, falls die sicherste Variante nicht das stille Stehen und Zuhören ist. An diesem ersten Konzert lässt sich beobachten, wie sich die vier Einzelfiguren langsam zu einem Zusammenspiel finden. Wo anfangs noch Unsicherheit vor und auf der Bühne spürbar ist, ergibt sich mit jedem Stück mehr Spiel- und Hörfreude. Schliesslich sind Publikum und Band sich einig und eine beschwingte Stimmung macht sich breit.
Typisch für die beiden ordnenden Köpfe ist dann auch die Nachbereitung. Sie lassen die Erfahrungen aus dieser Plattentaufe nicht einfach auf sich beruhen, sondern Daniel ist paar Tage später bereits wieder im Studio und überarbeitet die Sounds, um noch mehr Druck und Kompaktheit aufzubauen. Dieses ständige dranbleiben zeichnet Filewile sicherlich auch aus. Andreas und Daniel sind beide schon lange Zeit im Musikgeschäft unterwegs, ob als DJ, Labelchef und Veranstalter wie Ryser oder als ehemaliger Frontmann von Merfen Orange und Komponist von Filmmusik wie Jakob. Die Erfahrungen tragen sie zusammen und probieren frisch von der Leber weg in alle Richtungen aus. Als Familienväter dauert das zwar alles ein wenig länger, aber Ryser findet, ob sie nun mit zweiundvierzig oder dreiundvierzig Welt-Stars seien, spiele dann ja wohl keine Rolle mehr. An Humor fehlt es den beiden nicht und so ist «Blueskywell» eine der seltenen Scheiben, die vorwiegend fröhlich und leicht klingen, ohne gleich ins Banale abzudriften. Die beiden getrauen sich was, auch wenn die Anspannung und Nervosität mit all ihren Erfahrungen nicht kleiner geworden ist. Nach jedem Schritt an die Öffentlichkeit nervenaufreibendes Warten auf die Reaktionen; wie kommt die Musik bei der Presse an, bei den Radiostationen, beim Publikum hier und anderswo? Die Freude über positive Reaktionen ist dann auch direkt und echt, ob auf den anschwellenden Applaus bei der Plattentaufe oder die Nachricht, dass sie es in die Rotation bei Radio Nova in Paris geschafft haben. Bestärkend war für Filewile insbesondere eben auch die Tour durch Mexiko, wo ihnen Fans über grosse Distanzen nachreisten, um ihren Sound zu hören. Warum ihre Musik gerade dort auf so viel Echo stiess, können sich die beiden auch nicht ganz schlüssig erklären, sie sind aber gespannt, wie die neuen Songs auf ihrer Tour durch Afrika dieses Jahr ankommen werden, und hoffen natürlich auf ähnlich euphorisierende Erlebnisse. Zusammen mit ihrer wunderbaren Sängerin Joy Frempong und dem äusserst sattelfesten wie virtuosen Bassisten Mago Flück dürften sie die Bühnen in aller Welt zum Vibrieren bringen.
Foto: zVg.
ensuite, November 2009