Von Barbara Neugel — Susanne Daeppen, freischaffende Tanzpädagogin und Performerin mit eigenen Produktionen, hat ihre Ausbildung sowohl in klassischem Tanz als auch in Modern Dance absolviert, und sie hat sich während ihrer Karriere auch mit anderen Tanzstilen auseinandergesetzt. Im Lauf dieser Zeit hat sie festgestellt, dass der Moment gekommen ist, künstlerisch ihren eigenen Weg zu gehen, etwas Eigenes zu machen. Die Möglichkeit, dieses Eigene auszudrücken, hat Susanne Daeppen bei Kazuo Ohno in Japan im Butoh gefunden.
Butoh ist Ausdruckstanz. Er wurde in den 60er-Jahren vom schamanischen Tänzer Tatsumi Hijikata in Japan mit seinem Solo «Verbotene Farben» begründet. Es ist eine revolutionäre Tanzart, gewissermassen ein «Back to the roots» und damit eine Bewegung weg vom Ballett, vom herkömmlichen Tanz. Dieser Urknall hatte eine Spaltung der Tanzszene in Japan zur Folge. Es gab weiterhin die Anhängerinnen und Anhänger der Modern- und Ballettszene und zugleich die neue experimentelle Szene, die von den Butohanhängern geprägt wurde. Kazuo Ohno, ein Künstlerfreund von Hijikata, wurde zum «Prinzipal» des Butoh erkoren. Er hat den Butoh bis in die heutige Zeit und in die ganze Welt geführt. Ohno ist 102 Jahre alt und lebt in Yokohama/Tokyo.
Sowohl Hijikata als auch Ohno waren moderne Tänzer, die im Westen bei den Pionieren des deutschen Ausdruckstanzes, Mary Wigman, Harald Kreutzberg und Rudolf von Laban, ausgebildet worden waren. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der folgenden Verwestlichung in Japan ging es den Butohtänzern darum, sich ihrer eigenen Wurzeln und Werte bewusst zu werden und statt bestehende Formen und Inhalte weiterzuführen, Neues und Authentisches zu schaffen.
Butoh ist eine Form des Tanzes, die nichts versteckt. Da ist etwas vom inneren Eigenen, etwas Formloses, nichts Kopiertes, nur Authentisches, das in grosser Freiheit zum Ausdruck gebracht wird. Das schafft Distanz zu dem, was richtig ist und was falsch. Die Butohtänzer sagen selber, sie wüssten nicht, ob das, was sie machen, richtig sei. Sie machen es einfach. Butoh bedeutet «stampfender Tanz», bei dem die Langsamkeit wichtig ist. Sie eröffnet eine grosse Vielfalt an Wahrnehmungen über die/den Tanzenden selber, über das eigene Wesen, über den Kontakt mit anderen. Wichtig sind die Entwicklung, die Gedanken, die dabei kommen, die Leere, das Warten, das Sein und die Beziehung zur Natur. Butoh ist ein Weg, die Welt und sich selber zu entdecken. Butoh braucht Zeit und vor allem Hingabe, Offenheit für das Jetzt und die Grösse, um etwas geschehen zu lassen. Was löst Butoh im Umfeld aus? Oftmals komme keine Resonanz, sagt Susanne Daeppen. Dabei sei es so, dass das, was man bei sich auflöse oder heile, immer Auswirkungen auf das direkte Umfeld zeige. Aber wichtig sei diese Arbeit, so Daeppen, nicht nur für einen selbst, sondern auch für die anderen. Der schamanische Tänzer tanze ja das Kollektiv, das Archetypische, das, was bei allen Menschen da ist. Das Ziel des Tänzers ist, das zu zeigen, dazu zu stehen, was in seinem Innersten ist.
Susanne Daeppen hat festgestellt, dass vielen Menschen sinnvolle Rituale fehlen. Sie hat sich gefragt, was ein Ritual heute bedeutet. Und dazu hat sie ein Projekt in ihrer Tanzwerkstatt geleitet, das als Experiment gedacht war und sich mit dem Thema «The queen/king inside» auseinandergesetzt hat und auf Butoh basierte. Für die Tänzerinnen und Tänzer sollte diese Thematik symbolisch sein, «um das Lichtvolle in sich selbst und den Weg in die Selbstverantwortung im Königreich des eigenen Lebens» (Daeppen) zu finden und darzustellen. Im Anschluss an diese Performance hat sich das Bedürfnis für eine Weiterführung herauskristallisiert. Elf Tänzerinnen und Tänzer aus der Schweiz, aus Deutschland und Österreich haben in einem einjährigen Prozess ihre Ritualchoreografie kreiert, die auf dem japanischen Butoh basiert. Mit welchen Erfahrungen sind die Künstlerinnen und Künstler in dieses Projekt hineingegangen? Christoph Lauener: «Ich wollte mich selber besser kennenlernen, meine Wünsche, meine Bedürfnisse, Seiten von mir, die brachliegen, nicht offen sind. Ich wollte schauen, was dabei wird, wollte die Gelegenheit packen. Dann ist da auch der Wunsch, mich auszudrücken, das Gefühl, dass ich etwas zu sagen habe, diese Seite von mir zu zeigen und die Reaktion der anderen Seite zu erleben: Wie werde ich wahrgenommen, was denken die Leute von meiner Kunst, die Seele auszuziehen und transparent zu sein? Es ist ein mutiger Entscheid sich zu zeigen. Die Arbeit ist prozessorientiert, und man wächst daran. Kunst ist nicht dazu da, schön zu sein, sondern um beim Menschen auf der Gefühlsebene etwas auszulösen.»
Und Petra Schwarz fügt hinzu: «Da war eine innere Flamme, die mich einfach in dieses Projekt hat hineingehen lassen. Es sind Themen, die man so im Alltag nicht erforschen kann. Es braucht Mut in dem Sinne, dass man wirklich Grenzen überschreitet, alle Zensurierungen und Zuschreibungen des Alltags überschreitet, dass man offen wie ein Kind in die Sache hinein- und auf sich zugeht. Es ist eine Riesengelegenheit, vorgefertigte Muster fallen zu lassen. Und es ist gut zu wissen, dass man frei forschen kann und von Susanne Daeppen gestützt wird, bis man so weit ist, dass man auf der Bühne zeigen kann, was man für sich selber und für andere erforscht hat.»
Info: www.dakini-dance.ch
Foto: Susanne Daeppen
ensuite, Februar 2009