Von Anna Roos — Es ist sehr schwer, freies Bauland in Bern zu finden. Ein nagelneues Haus in Bern- Zentrum zu entdecken, ist daher sehr selten. Seit letzten Juni gibt es aber ein neues, modernes Einfamilienhaus; es befindet sich im Altenberg und hat sich in dessen Terrassenlandschaft eingefügt.
Altenberg ist ein prominenter Stadtteil. Weil er auf der Aare-Böschung liegt und die Häuser auf Terrassen gestapelt sind, ist das Quartier wie ausgestellt und für alle zu sehen. Städtebaulich gesehen war das Quartier ursprünglich von grossen eleganten Villen bebaut. In den 60er- und 70er-Jahren kamen die grosse Terrassenappartements hinzu, schön für die Bewohner (die Wohnungen sind hell und grosszügig), aber sie sind unästhetisch für die Stadtlandschaft.
Es gibt deshalb keine einheitliche architektonische Ästhetik in diesem Quartier, so wie es vis à vis in der Altstadt der Fall ist. Diese Tatsache gab den Architekten den Vorteil, hat ihnen eine grosse gestalterische Freiheit verschafft, etwas Neues zu konzipieren.
Das Betonhaus wurde vom Berner Büro «aefa Architekten» entworfen. Zuerst sieht man das Gebäude von der Altenbergstrasse kaum. Es ist bescheiden, liegt etwas versteckt. Die Parzelle liegt am grünen Hang, hinter einem charmanten historischen Holzhaus aus dem 17. Jahrhundert.
Peter Behrens, der deutsche Architekt, behauptete, dass Architektur «Körpergestaltung» sei. Die Simplizität und Schlichtheit des Entwurfs gibt dem Haus von aefa eine solche souveräne und selbstsichere architektonische Körpergestaltung. Die Entscheidung, die Treppe ins Obergeschoss auf der Gebäudehülle zu zeigen, war wichtig, um die skulpturale Form des Gebäudes zu modellieren. Es gibt dem Ganzen einen dynamischen Schwung, der auch von der Form des Daches – das Dach ist ein Pultdach – unterstrichen wird. Die Architekten haben einen schlanken Baukörper gewählt, der südlich orientiert ist und wo alle Räume direkt mit ausreichend Licht versorgt werden. Der übliche Plan, die Ordnung, ist hier auf den Kopf gestellt. Privatsphäre bietet das Erdgeschoss, während die «öffentlichen» Räume ins Obergeschoss verteilt sind. Diese Verteilung ist absolut sinnvoll. Die Schlafzimmer und der Büroraum unten profitieren von dem eher privaten und intimen Verhältnis zum Garten. Die 12 m²-Schlafräume sind ziemlich eng, es gibt wenig Möglichkeit, zusätzliche Schränke oder Möbel zu platzieren. Die loftartigen Räumlichkeiten, wie Küche, Ess-Wohnraum oben sind aber grosszügig geplant. Sie stehen hervor und blicken wie ein riesiges Periskop auf die pittoreske Silhouette der Altstadt. Durch die raumhohen Schiebefenster dringt die Südsonne ein. Die oberen Fenster liest man als eine grosse horizontale Einheit, mutig von Beton umrahmt. Der Innenbereich kriegt aber nicht nur starkes Licht der Südseite ab, sondern es kommt auch mildes nördliches Licht über sechs Dachluken hinein. Diese Luken lassen Licht zu der unteren Passage hinunter – sonst wäre es gar finster – und bringen ein Gleichgewicht in das Interieur.
Weil der Footprint so klein wie möglich gehalten wurde und das Gebäude nach hinten fast an die bestehende Stützmauer stösst, gab es genügend freies Land, um einen schönen Garten rund um das Haus zu bepflanzen. Obwohl sich das Haus so zentral zum Stadtkern von Bern befindet, vermittelt die Umgebung mit ihren Obstgärten ein sanftes ländliches Gefühl.
Das Haus hat eine starke Persönlichkeit und doch ist es durch die raffinierte Bauweise des Architekten gut in die Gartenanlage integriert. Ein Beispiel ist die kleine Betonmauer, welche die Holzterrasse umrahmt und die Linie der bestehenden Steinmauer weiterführt.
Viele kleine Gesten haben bei diesem Haus eine grosse Wirkung: Details wie die Schlosserarbeiten beispielsweise an den Schiebeläden, wo die übliche vertikale Balustrade durch dunkelrote Kreise ersetzt und damit neu interpretiert wurde. Die Läden wirken wie Schmuck im Gesicht des Gebäudes – filigran und farbig neben der glatten und schlichten Beton- und Glas-Fassade.
Die Familie kann sich glücklich schätzen, in einem solchen Haus mit so viel Sonne und so viel Aussicht wohnen zu dürfen.
Anna Roos ist Architektin bei «kr2» und stammt aus Südafrika, ihre Muttersprache ist Englisch. Ihre Texte werden in Zusammenarbeit mit ensuite — kulturmagazin übersetzt.
ensuite, März 2010