Von Flavia Barth — Ein langer Laufsteg, elegante Models, elektronische Klänge, ein grosses Publikum – und Hauptsache viel Glanz und doppelt so viel Glamour. So kommt die konventionelle Modeschau daher. Doch wird diese Art der Präsentation den sorgfältig entworfenen Kollektionen überhaupt gerecht? Kann ein Laufsteg nicht auch künstlerische Plattform sein? Das Orchester Variaton versucht es und zaubert eine Verschmelzung verschiedenster Künste auf die Bühne. Ausdrucksstarke Tänzerinnen und Tänzer ersetzen die Models und ein 70-köpfiges sinfonisches Orchester tritt anstelle der pulsierenden Elektromusik.
«Haute Coulture» ist nicht das erste Experiment des Orchesters Variaton. Seit seiner Gründung im Sommer 2004 ist die Formation auf der Suche nach neuen Klängen und inspirierenden, spartenübergreifenden Konzertprojekten. So erforschte Variaton zusammen mit einem Quintett den sinfonischen Jazz, porträtierte mit dem Schauspieler Hans-Peter Incondi das Ehepaar Clara und Robert Schumann, wagte die Fusion von sinfonischer und elektronischer Musik (zusammen mit dem Berner DJ Ramax und dem Elektro-Cellisten Stefan Baumann), realisierte einen träumerisch-märchenhaften Abend mit Video-Projektionen und Lichtdesign zu Prokofievs «Romeo und Julia» und machte mit dem Tango-Musiker Michael Zisman eine musikalische Reise nach Lateinamerika.
Mit welchen Künsten lässt sich sinfonische Musik sonst noch verbinden? Die Idee, sinfonische Musik und Mode unter einen Hut zu bringen, kam mir beim Besuch einer Modeschau. Die Kleider waren beeindruckend, die Models schön, die Musik mitreissend – doch gesamthaft fehlte mir ein harmonisches, kunstvolles Miteinander von Musik, Mode und Bewegung. Die Vision einer Performance, in der sich diese Elemente in einem gemeinsamen Spiel der Sinne vereinen und zugleich auflösen, harmonieren und kontrastieren, war geboren – und das neuste Projekt von Variaton ebenso.
In «Haute Coulture» treffen Musik, Mode und Tanz in drei bekannten Modemetropolen aufeinander: Milano – Paris – New York. Gezeigt wird eine experimentelle, aber künstlerisch ansprechende Vermischung tänzerischer, szenischer, modischer und klanglicher Elemente. Zu jeder Stadt spielt das Orchester bestehende Werke, aber auch je ein eigens komponiertes Intermezzo. Zu diesen werden dem Publikum insgesamt vier Kollektionen von kreativen Schweizer Modeschaffenden präsentiert. Die gemeinsamen Assoziationen zu den Städten verbinden die unterschiedlichen Künste. In den Kleidern, Klängen und Bewegungen sollen Lebensgefühl und Gegensätze der jeweiligen Metropole zum Ausdruck kommen. Die Stadt, die aus einer Masse von Menschen besteht, von denen doch jeder einzelne gesehen und wahrgenommen werden möchte: Dieser Gegensatz zwischen Masse und Individuum spannt in «Haute Coulture» den inhaltlichen Bogen. Die Reise führt von der industriellen und zugleich traditionellen Modewelt Milanos über die leicht flüchtige, romantische Stimmung von Paris ins nüchterne, metallisch-gläserne New York.
Foto: Ryan Jerome
ensuite, April 2010