Von Nicola Schröder - Heute hört man oft, dass Kinder nicht mehr draussen spielen würden. Von Bewegungsmangel und Initiativlosigkeit ist überall die Rede. Aber welche Möglichkeiten stehen den Heranwachsenden angesichts des zunehmenden Siedlungsdrucks aktuell noch zur Verfügung? Spielreservate mit genormten Klettertürmen, die mehr an der Haftungsfrage orientiert sind als an der Entwicklung des Kindes?
Ganz so schwarzweiss ist das Szenario in der Realität wie immer nicht. Aber es eröffnet den Blick auf einen interessanten Themenkreis, bei dem es sich lohnt, genauer auf den Grund zu gehen. Besonders anregende und differenzierte Anhaltspunkte dazu bietet derzeit eine Ausstellung an der ETH im Bereich Architektur am Hönggerberg. Innerhalb der «gta Ausstellungen», die seit Anfang des Jahres unter der Leitung von Fredi Fischli und Niels Olsen stehen, soll unter anderem die Komplexität von Architektur und ihre Überschneidungen mit anderen Disziplinen, soziokulturellen Phänomenen und nicht zuletzt der Kunst aufgezeigt werden. Eine Ausstellung zum Thema «Architektur für Kinder: Zürichs Spielplätze» hat hier darum auch nur im allerersten Moment diesen bestimmten – viel-leicht betulichen – Beiklang. Tatsächlich ist hier genau der richtige Ort für ein derartiges Thema, dem ein wohl eher unterschätzter planerischer Umfang zugrunde liegt. Seine historische Entwicklung fusst auf dem Zusammenspiel von Stadtentwicklung, Kunst und Erziehung.
Dahingehend betrachtet auch die Politologin und Raumplanerin Gabriela Burkhalter, die sich seit einiger Zeit damit befasst, die spezielle Entstehung von Spielorten, um sie aufzuarbeiten und wieder fruchtbar zu machen. Unter dem Titel «The Playground Project» hat sie ihre Ergebnisse zuletzt als Sonderausstellung im Rahmen der «2013 Carnegie International» im Carnegie Museum of Art in Pittsburgh und in Vorträgen an wechselnden Orten vorgestellt. In den USA wurden Burkhalter und ihr Engagement mit offenen Armen aufgenommen. Die «New York Times» betitelte eine Besprechung treffend mit «The Work behind Child’s play». In der Schweiz wird das Nischenthema nun zum ersten Mal in einer Ausstellung nachgezeichnet. Burkhalter wurde eingeladen, die Schau zu kuratieren, die sich hier schwerpunktmässig mit der bewegten Geschichte der Spielplätze Zürichs seit 1950 befasst. Anhand von Filmen, Diashows, Plänen und Fotografien aus privaten und öffentlichen Archiven wird eine Bewegung anschaulich gemacht, die zunächst von einer kleinen Zahl von Städtebauern, Künstlern und Pädagogen angestossen wurde. Diese engagierten sich zwischen 1950 und 1980 angesichts der wachsenden Bevölkerung und des knapper werdenden Platzangebots verstärkt für die Aufwertung urbaner Räume durch die Schaffung kreativ gestalteter Plätze zum Spielen. Sie waren verbunden im Kampfgeist, et-was zu verwirklichen, was gegen den Strich der gesellschaftlichen Konventionen lief. Die Vernetzung von Fach-leuten verschiedener Sparten und über Grenzen hinweg brachte neben Projekten und Spielplätzen damals auch Publikationen hervor.
Wegweisend für Zürich war vor allem die in den 1940er Jahren in Dänemark aufgekommene Idee des Abenteuerspielplatzes oder «Skrammellegeplads» des Landschaftsarchitekten Carl Theodore Sørensen. Er war 1953 Vorbild für den ersten Bau- oder Robinsonspielplatz in Wipkingen. Hier durften die Kinder im An-klang an Robinson Crusoe auf einem unberührten Eiland selbsttätig ihrer Kreativität folgen und mit Werkzeugen bauen, was ihnen als Spielplatz vorschwebte. Später entstand aus dem «Robi» in Wipkingen durch die Erweiterung mit einem Theaterraum und einer Werkstatt auch das erste Gemeinschaftszentrum. In der Folge wurden weitere solcher Zentren, ergänzt durch Spielplätze, gegründet, von denen heute 17 über das ganze Stadtgebiet verteilt sind (www.gz-zh. ch).
1952 baute Alfred Trachsel einen Siedlungsspielplatz für die Baugenossenschaft Triemli. Es gelang ihm, den Platz in eine lebendige «Spielbühne» zu verwandeln, im Unterschied zum sonst üblichen Platzieren von Geräten. Spätere Siedlungsspielplätze orientierten sich an künstlerisch-skulpturalen Vorbildern in Frankreich, wie Le Corbusiers Dachspielplatz der Unité d’Habitation in Marseille von 1952. Was in der Siedlung Heuried in Zürich-Wiedikon von 1972–1975 als Gemeinschaftsprojekt verschiedener Beteiligter unter Künstler Edy Brunner entstand, war Neuland für die Schweiz und erregte viel Aufsehen. Inspiriert von der Grosssiedlung La Grande Borne bei Paris, entstand hier eine künstlerisch geprägte Spiellandschaft.
Als eigene Kategorie finden in der Ausstellung auch Schulspielplätze und ihre Entwicklung Erwähnung, und werden hinsichtlich der besonderen Anforderungen in Bezug auf Pädagogik und Lernklima beleuchtet. Die eigentliche Revolution ebbte schliesslich in den 80er Jahren ab. Neben gezielteren Strategien für die Förderung von Kindern gewann der Sicherheitsgedanke zunehmend an Bedeutung. In den 1990er Jahren wurden schliesslich Normen für Spielplatzgeräte und Spielplatzböden festgesetzt. Tatsächlich aber werden aktuell viele Elemente der einstigen Bauspielplätze, die windschiefen Häuschen und Hängebrücken oder Schiffsrümpfe, für die aktuellen Spielplätze zumindest optisch noch aufgegriffen. In der heutigen Form sind sie allerdings entschärft, keine rostigen Nägel stehen hervor und gefährliche Werkzeuge sind weitest-gehend verbannt. Das Austesten von Möglichkeiten und das Überschreiten von Grenzen sind hier in ein einiger-massen statisches Verständnis gegossen worden.
Architektur für Kinder
Zürichs Spielplätze
gta Exhibitions, ETH Zürich HIL, Hönggerberg
November bis Dezember 2014