Von Lukas Vogelsang - Der Spruch von Joseph Beuys: «Jeder Mensch ist ein Künstler» geistert in meinem Kopf herum, als ich das Atelier von Tom Blaess am Uferweg im Altenberg in Bern betrete. Aber auch nur, weil ich keine Ahnung habe, was ich in den nächsten Tagen erleben werde. Ich habe mich für einen zweitägigen Workshop angemeldet – eigentlich vor allem, um dem Büro zu entfliehen und den Kopf mal zu lüften. Wir machen «Gumprints», und ich gebe zu, ich hatte nur eine vage Vorstellung, was das genau sein könnte. Aber darum bin ich ja hier.
Dieses Gumprint ist – so lerne ich in einer kleinen Einführung – ein besonderes Flachdruck-Verfahren, ähnlich der Lithographie, nämlich die Papier-Lithographie. Aber der Reihe nach – es ist weniger kompliziert, als es klingt und sehr spannend, weil es einfach zu lernen ist und interessante Möglichkeiten in sich birgt.
1797 hat Alois Senefelder die Lithographie, oder eben, die Basis für den Flachdruck erfunden: das Verfahren beruht darauf, dass Wasser und Fett sich abstossen. Flachdruck wiederum ist die Basis, auf welcher heute durch Bogen- oder Rollenoffsetdruckmaschinen Massendrucksachen wie Tageszeitungen, Magazine etc. gedruckt werden. Vor rund zweihundert Jahren allerdings schliff man einen speziellen Kalkstein aus Deutschland, und malte darauf mit einem fettigen Stift oder Tusche, die vor allem aus Wachs und schwarzen Kohlepigmenten hergestellt wurde. Das Fett dringt in den Stein ein und verbindet sich mit der ölbasierten Druckfarbe, welche im Anschluss daran aufgerollt wird. Diese Farbe wiederum verbindet sich nicht mit den anderen Partien, welche mit dem wasserlöslichen Gummi arabicum bestrichen wurden – die fettigen Partien haben hier bereits eine saubere Trennung gemacht. Die wasserbindenden Elemente stossen die Farbe auf den nicht gemalten Partien ab und umgekehrt. Und ob man es glaubt oder nicht: Dieses Verfahren ist erstaunlich präzise.
Tom Blaess hat in seinem Atelier ein kleines Kunststück vollbracht: Wir nehmen an unserem Workshop Laserausdrucke oder Kopien, und pinseln diese mit Gummi arabicum voll. Es ist von Vorteil, mit dem Ausgangsmaterial zu experimentieren: Ist das Papier zu dünn wird es rasch zu Papiermaché, ist es zu dick werden die Ergebnisse nicht so gut. Auch sollte man die Kontraste in den Bildern möglichst hart setzen: je weniger «Grautöne» ein Bild hat – und das kann ein Foto oder eine Schrift, eine Grafik oder eine Skizze sein – umso besser werden die Ergebnisse. Anschliessend rollen wir die Farbe statt auf Stein über dieses Papier – es geschieht das gleiche wie bei der Lithographie, und ebenso erstaunlich ist die Qualität der Drucke. Doch erst wird das eingefärbte Papier auf ein Büttenpapier gelegt und das Bild mit der Druckpresse übertragen. Die Verblüffung ist garantiert – das Ergebnis weckt den Künstler in mir.
Doch es geht noch mehr: Auf Plexiglasplatten malen wir mit Druckfarben Partien aus oder ein, und überdrucken den zuvor erstellten Abdruck. Diesen Prozess könnte man viele Male wiederholen – die Ergebnisse sind allerdings irgendeinmal erschöpft, und man sollte auch etwas Kenntnisse über Farben und deren Mischverhalten mitbringen, sonst entsteht ein Brei von einem Bild. Doch auch das kann durchaus Charme haben. Dieses Verfahren würde dann Monotypie genannt.
Apropos Tom Blaess: Er hat nach seinen Angaben das Gumprinting in die Schweiz gebracht. Das glaube ich sofort. Und er hat auch seine Druckpresse so umgebaut, dass sie schon fast absurd magisch funktioniert. In Amerika geborener und ausgebildeter Künstler, ist er ca. 1990 in der Schweiz gestrandet. Seit 1999 ist er in seinem wunderschönen Atelier an der Aare, und waltet als Künstler, Galerist und Kursleiter. Er hat das Drucken im Blut. Der Workshop ist ideal: Wir sind 5 TeilnehmerInnen – mehr hätten kaum Platz – und wir dürfen tun und lassen, was wir wollen. Die Selbsterfahrung ist die beste Lehrmeisterin, und entsprechend hilft Tom mit seiner lustigen und motivierenden Art. Ich habe erstaunlich viel gelernt – Dinge, die ich als Magazinproduzent und auch als Gestalter wirklich brauchen kann.
Beim Gumprinting sind sehr rasch faszinierende Ergebnisse möglich. Das ist wie ein Virus – und in der Nacht auf den nächsten Workshoptag entstehen die wundersamsten Ideen. Doch darauf folgt auch die Ernüchterung: Wenn der Kopf versucht «Kunst» zu erschaffen, ist die Chance, daran zu scheitern ziemlich gross. Auch beim Gumprint und der Monotypie. Irgendwann holt einen die künstlerische Realität ein. Meine Selbstzweifel haben nach zwei Tagen fast überhand gewonnen. Zum Glück kenne ich die Gefahren der künstlerischen Prozesse. Die Illusionen und die Konflikte mit den Realitäten – davon ist man auch hier nicht verschont. meine Zweifel sind simpel: Mache ich jetzt einfach «Weihanchtskarten», oder kriege ich etwas künstlerisch anspruchsvolleres hin? Ich weiss: Das Gelernte muss nur reifen, und ich muss den Mut haben, nochmals ranzugehen und weiterzufahren. Das Ergebnis wird meinen Ansprüchen näher kommen, wenn ich daran arbeite. Da bin ich mir sicher. Doch ich spüre es wieder einmal: Es ist schon jeder Mensch ein Künstler, doch nicht jeder Mensch hat das Selbstbewusstsein und die Geduld, die Sprache der Kunst zu sprechen. Diese muss man lernen. Aber für zwei Tage war ich es troztdem: Ein Künstler.
Ausstellungen, Workshops und Infos: www.tomblaess.com