Von Anna Roos — Der neue Anbau des Historischen Museums Bern ist ein gutes Beispiel für einen Neubau an einem historischen Gebäude, welcher sich nicht unterwürfig gegen die alte Architektur behauptet, sondern dem es gelingt, seinen eigenen Platz zu schaffen und das architektonische Niveau des Ensembles sogar zu erheben. Dieser Anbau versteckt sich bescheiden hinter dem ursprünglichen Museumsgebäude. Städtebaulich liegt das Historische Museum an prominenter Lage am Kopf der hochfliegenden Kirchenfeldbrücke. Man ahnt nicht, dass hinter dem romantischen Historismus des 19. Jahrhunderts eine hochmoderne, modische Architektur liegt: Eine ausgegrabene Black Box und ein Betonturm. Die Erweiterung bringt in das Kirchenfeld-Museumsareal eine neue Persönlichkeit und Ausstrahlung – zudem eine neue Landmarke für Bern.
Der neue Körper, «Kubus», bildet ein spannendes Gegenspiel zu dem charaktervollen und eklektischen Altbau. Der Plan des Bieler Architekturbüros :mlzd ist intelligent gestaltet: Ein Grossteil des gewünschten Raumes wurde schlicht unterirdisch vergraben. Der Hauptgewinn für das Museum ist der von aussen unsichtbare, fensterlose Wechselausstellungssaal. Der Saal ist eine dunkle, schwarze Leere; der Gegensatz zum oberen hellen, markanten Turm. Innerhalb dieser Black Box können die Museums-KuratorInnen immer unterschiedliche Ausstellungen neu gestalten und neu formulieren, wie bei einer Schultafel ausradieren und wieder neu anmalen. Weiter unter dem Saal sind auf zwei gestapelten Schichten 3200 Quadratmeter Depoträume begraben. Die einzige sichtbare Fassade, die «fünfte» Fassade, ist das Dach vom Saal, welche einen angehobenen Hof schafft. Es mag sein, dass mittelaltrige Märkte und Ritterkämpfe auf den Hof geplant sind, aber momentan liegt dieser Platz still und leer und leidet unter Mangel an Aktivität. Man wünscht sich das lebendige Getriebe von Kindern, von Menschen. Aufgrund der Tatsache, dass der Turm eigentlich nicht zum Museum gehört, sondern Büros, Bibliothek und Lesesaal des Stadtarchivs beherbergt und auch, dass sich dessen Fassade nicht zum Hof öffnen lässt, bleibt dies wahrscheinlich ein unerfüllter Wunsch.
Trotzdem ist dieser Aussenraum zwischen Alt und Neu ein wichtiger Aspekt des Entwurfes, nämlich weil es eine Integrität dieser zwei Teile ermöglicht.
Die Südseite des Plateaus ist vom «Titan»- Turm begrenzt. Der Turm kreiert das architektonische Ausrufezeichen des Projekts, eine zeitgenössische Interpretation des Schlossturms. Die renommierten Berner Ingenieure Tschopp + Kohler spielten ein zentrale Rolle darin, die anspruchsvollen Details und die Statik zu lösen.
Zuerst verwischt es den traditionellen Begriff «Gebäude», also den vier vertikalen Wänden und dem Dach. Dieses Gebäude ist anders: Es steht wie ein Betonkristall mit einer Rückseite von fünf geneigten Flächen und einer vorderen Seite, die plötzlich doch perfekt vertikal steht. Die Nordfassade ist wie ein Glasvorhang oder wie die glatt geschliffene Seite eines geschnittenen Steines.
Extrem spannend ist die Sicht von der Nordfassade aus, wo der Turm optisch verzaubert: Das hochreflektierende Glas widerspiegelt das Schlossmuseum, und der Turm selbst verschwindet. Da sich der Detailentwurf der Glasfassade direkt an den Betonkörper klammert, gibt es keine Umrahmung, was den Effekt von «Dematerialisierung» erhöht. Ähnlich wie Herzog und de Meurons «Arts Space» in Teneriffa, sind diese Fassaden gefressen von übergrossen Pixelprägungen, welche über den Facetten, wie ein Ausschlag, gestreut sind. Die «Pixels» sind mal leicht, mal tief gedrückt, mal durchbrechen sie die 35 Zentimeter dicke Betonhaut, um südlich Licht in den Turm zu lassen. Fein differenziert sind auch die Patina und Textur der Betonoberfläche. Dank der OSB Schalung und der gelb gefärbten Betonmischung, welche eine sanfte Abweichung der Farbe ergab, entsteht eine geologische Schichtenbildung. Die gelbgraue Farbe vom Beton passt perfekt zum Altbauverputz.
Zudem gibt es andere feine Beobachtungen und Referenzen zum alten Schloss-Museum. Der rustikale Stein an den Ecken des alten Museums und der Schnitt des Dachgesims, erhalten ihr Echo im Pixelmuster der Turmfassade. Die Spitzen, welche die dreieckigen Flächen vom Turm formen, bilden ein Echo zu den Spitzentürmen des Altbaus und auch die Schmiedearbeit von Alt- und Neubau «sprechen» miteinander. Dieses Hin und Her sowie die Verspieglung schaffen einen spannenden Dialog.
Der neue Kubus ist Mitglied einer Familie ähnlicher zeitgenössischer Baukörper, die wie Kristalle gestaltet sind: Rem Koolhaus’ «Casa da Musica» in Porto von 2005 und der «Kristall in den Alpen», die brandneue Monte Rosa-Hütte Jetzt haben wir in Bern auch unseren eigenen Kristall-Kubus, welcher eine Verwandtschaft zu anderen wichtigen Projekten zeigt.
Anna Roos ist Architektin bei «kr2» und stammt aus Südafrika, ihre Muttersprache ist Englisch. Ihre Texte werden in Zusammenarbeit mit ensuite — kulturmagazin übersetzt.
Foto: Anna Roos
ensuite, Januar 2010