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Kunst im Kloster

Von Lukas Vogel­sang — Die Abteikirche in Bel­le­lay, im tiefen Jura hin­ten, feiert in diesem Jahr den drei­hun­dert­sten Geburt­stag. Wer vor dem Gebäude ste­ht, sieht das nicht. Die bewegte Geschichte ist aus­radiert, es ist saniert wor­den. Der Kraftort, der einst der Klosterei diente, ist der prag­ma­tis­chen Lieblosigkeit der psy­chi­a­trischen Klinik gewichen. Selb­st auf dem kleinen Fuss­ballplatz der Klinik wird im WM-Jahr das Gras (noch) nicht gemäht und die Gärt­nerei scheint in ihrer Funk­tion­al­ität erstar­rt. Aber alles ist sauber geputzt.

Vor rund 300 Jahren wurde die Klosterkirche Mar­iä Him­melfahrt vom Architek­ten Franz Beer nach dem «Vorarl­berg­er Mün­ster­schema» errichtet. Die Anlage sel­ber ist älter, und nach ein­er Leg­ende wurde das Kloster 1136 ges­tiftet. Eine Stiftung der Abteikirche von Bel­le­lay macht seit Jahren durch Kun­stausstel­lun­gen auf das Mon­u­ment, dessen Geschichte und Wert aufmerk­sam. Auf der Web­seite (siehe unten) kön­nen die Aktiv­itäten im Archiv seit 2009 nachver­fol­gt wer­den. Neben dem imposan­ten Ausstel­lun­graum in der Kirche sel­ber ist beson­ders die Qual­ität der gezeigten Kun­st her­vorzuheben. Damit hat sich der Ort zu einem neuen Kraftort entwick­elt, und gibt etwas aus der neuen Zeit zurück, was in der Geschichte über die Jahre ver­loren ging.

Zur Zeit herrscht noch eine eige­nar­tige Stim­mung in Bel­le­lay. Da sind an diesem Son­ntag im Mai unzäh­lige Töff­fahrer unter­wegs, und ein paar Touris­ten haben sich im Ort ver­laufen. Die weni­gen his­torischen Gebäude wirken etwas unbe­holfen – es wurde viel saniert, und doch fehlt es an Form und stim­miger Gemein­samkeit. Da ist beispiel­sweise der klöster­liche Teil, der wirk­lich zu einem unterkühlten Klinikkom­plex umfunk­tion­iert wurde, da ist das «Tête de Moine»-Museum mit Pfer­destal­lun­gen hin­ter dem Gebäude, und da ist das lebendi­ge und schön ein­gerichtete Hôtel de l’Ours – wo Töff­fahrer eine Zwis­chen­sta­tion machen. Und trotz­dem, man sieht, wie der Ort ein Gesicht erhält. Das Jubiläumsver­sprechen kann dur­chaus noch einge­hal­ten wer­den. Und der Blick ins offizielle Fest­pro­gramm ver­rät viel, und es lohnt sich, das Aus­flugsziel diesen Som­mer in die Agen­da einzu­tra­gen.

Wer die let­ztjährige Ausstel­lung von Romain Cre­li­er – oder min­destens den wun­der­schö­nen Ausstel­lungskat­a­log – gese­hen hat, bekommt den Sinn der Qual­ität der Kura­torin Mari­na Poro­bic zu spüren. In diesem Jahr sind sog­ar gle­ich zwei Ausstel­lun­gen geplant: Den Auf­takt macht Renate Buser aus Basel im Juni/Juli mit ein­er Foto-Raum-Instal­la­tion in der Kathe­drale. Abgelöst wird sie im August/September von dem Kün­stler­duo Charles-François Duplain und Philippe Queloz, die eben­falls mit der barock­en Architek­tur der Kirche arbeit­en wer­den.

Renate Buser (*1961) nen­nt ihre Instal­la­tion schlicht «Barock». Sie hat die Architek­tur und die illu­sorischen Tricks, die beim Bau der jet­zi­gen Kirche 1710 – 1714 angewen­det wur­den, aufge­grif­f­en, und spielt aufs neue mit dieser Fluchtil­lu­sion. Franz Beer hat­te damals die «Prozes­sion des Wandpfeil­ers», wie er die Pfeil­er im Schiff der Kirche und im Chor nan­nte, in den Abstän­den so verän­dert, dass der Chor in der Länge gle­ich lang wirk­te wie das Schiff. Der Trick dabei ist, dass die Pfeil­er im Chor in kürz­eren Abstän­den zum Näch­sten geset­zt wur­den und in der Per­spek­tive dadurch der Raum länger wirkt, als er in Wirk­lichkeit ist. Renate Buser macht etwas Ähn­lich­es: Sie hat Fotos von Rau­mauf­nah­men auf grosse Pla­nen (bis 270 m²) gedruckt und hängt diese im Raum so auf, dass ein neues Raumge­fühl entste­ht. Dadurch entste­hen ganz neue Dimen­sio­nen – nur durch ein Bild. Mit­tels Umkehrun­gen, Ver­schiebun­gen von Massstäben, Überblendun­gen, wird die Kathe­drale sozusagen neu erfun­den. Das ist ein The­ma, mit welchem sich Renate Buser immer wieder beschäftigt: Per­spek­tiv­en, Augen­höhen, Beziehun­gen zwis­chen Men­sch und Architek­tur, zwis­chen Raum und Bild. «Die Span­nung zwis­chen Fotografie und Architek­tur beste­ht für mich darin, dass sie unter­schiedliche Zeitlichkeit­en bein­hal­ten. Der «Inhalt» mein­er Arbeit erschliesst sich im gle­ichzeit­i­gen Erleben von realem Raum, der sich in kon­stan­ter Bewe­gung und Verän­derung befind­et, und fik­tivem Raum. Es gibt keinen «richti­gen» Stan­dort, eben­so wie es kein Foto gibt, das alles zeigt.» (Renate Buser).

Bel­le­lay liegt übri­gens auf dem Jakob­sweg, zwis­chen Moor­feldern, wo früher Torf abge­baut wurde, und saftig grü­nen Hügeln. Es ist ein Aus­flug in eine andere Schweiz, eine andere Geschichte und Zeit. Mit der Kun­st von Renate Buser wer­den alle Dimen­sio­nen mitein­be­zo­gen – und auch wir als Betra­ch­terIn­nen dazu.

Infor­ma­tio­nen: www.abbatialebellelay.ch

Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2014

 

Artikel online veröffentlicht: 9. April 2019