Von Heinrich Aerni — Schon seit Jahren trieb mich die Frage um, wie die Messe de Notre Dame von Guillaume de Mauchaut (ca. 1300–1377), mit harten Gitarren gespielt, klingen würde. Die für heutige Ohren archaische Klanglichkeit des vierstimmigen Satzes drängt sich regelrecht auf, durch das an Pathos unübertroffene Instrumentarium einer Metalband zu neuem Leben erweckt zu werden. Polyphone Feinheiten einer vokalen Aufführung mit historischen Instrumenten gingen freilich verloren, zugunsten einer Überhöhung der grundtonlastigen Harmonik.
Eine ähnlich faszinierende Verbindung ging nun die slowenische Band Laibach ein, als sie vor zwei Jahren mit ihrer Fassung von Johann Sebastian Bachs «Kunst der Fuge» an die Öffentlichkeit trat. Laibach, ihres Zeichens Teil des slowenischen Künstlerkollektivs Neue Slowenische Kunst (NSK), positiv zu bewerten, wohnt immer die Gefahr inne, sich um Kopf und Kragen zu schreiben, zu oft und zu eindimensional haben Laibach seit über 20 Jahren mit optischen und klanglichen Codes des deutschen Nationalsozialismus gearbeitet, diese gleichzeitig aber wieder gebrochen, etwa bei der Veröffentlichung von Krst Pod Triglavom-Baptism aus dem Jahr 1987 auf Walter Ulbricht Schallfolien oder, im gleichen Jahr, mit einer martialisierten Coverversion eines der absoluten Tiefpunkte der Popgeschichte, Live is live, der immer noch tourenden österreichischen Band Opus. Seit einigen Jahren fahren Laibach sogar mehrgleisig, sie treten gleichzeitig mit verschiedenen Programmen auf, namentlich Volk, einer Sammlung diverser Nationalhymnen in der recht heterogenen Interpretation Laibachs, 2006 veröffentlicht auf CD, seit neuestem Volkswagner, einer Bearbeitung von Werken Richard Wagners, u.a. der Tannhäuser-Ouvertüre und des Siegfried-Idylls, für Orchester und Band, die allerdings, Live-Aufnahmen nach zu urteilen, gehörig missraten ist, und eben Bachs «Kunst der Fuge», diesem sperrigen Werk, das in der Fachwelt aufgrund seines kombinatorischen Übermasses so etwas wie den heiligen Gral der klassischen Musik darstellt oder zumindest zum allerhärtesten Kern des Werkkanons gezählt wird.
2006 im Rahmen des Leipziger Bach-Fests uraufgeführt als LAIBACHKUNSTDERFUGE – Konzert für das Kreuzschach und vier Schachspieler, szenisch angereichert durch die schachspielende Band und diverse Filmprojektionen, erschien 2008 die gleichnamige CD LAIBACHKUNSTDERFUGE BWV 1080, auf dem Umschlag Bachs selbst entworfenes Wappen recht kunstvoll in eine Computerprintplatte eingearbeitet. Während im E‑Musik-Bereich in der Bearbeitung von bestehenden Werken die raffinierte Verfremdung als oberste künstlerische Maxime steht, erwartet man bei Popmusikern einen eindimensionaleren Zugang, etwa einen Remix, der der Komposition etwas mehr Sex-Appeal verleiht. Was tun also Laibach? Der Synthesizer ist von jeher ihr Stamminstrument, und mit dem Computer finden sie einen perfekten Zugriff zu Bachs Werk. Wenngleich vieles darauf hindeutet, dass «Die Kunst der Fuge» für die Ausführung auf einem Tasteninstrument gedacht war, so bietet doch der Computer das ideale Instrument, um dem virtuellen Charakter der einzelnen Fugenstimmen gerecht zu werden. In den meisten der 14 Fugen und Kanons übernehmen Laibach die originale Struktur, die äusseren Proportionen und auch der Kunstcharakter bleiben gewahrt. Die Mittel sind: Rhythmisierung der Notenwerte, was die Musik unheimlich tänzerisch, ja beinahe tanzbar macht, Unterlegung eines Schlagzeugs, Variierung der Klangfarben, von trance-artigen Klängen der 1990er-Jahre über rein perkussive Nummern bis hin zu Gessangssamplings. Innerhalb erfahren die Stücke aber teils starke Veränderungen, indem etwa Mittelstimmen ob des Geräuschhaften nicht mehr erkennbar sind und letztlich die polyphone Struktur ganz aufgegeben wird. Das Resultat ist stellenweise nervig, im besten Fall aber recht überzeugend, wie in Contrapunctus 1 und 2, wo Laibachs grossangelegte Industrialklänge eine glückliche Ehe eingehen mit Johann Sebastian Bachs Erfindungskunst und so der eingangs formulierte Machautsche Traum zumindest ein wenig wahr wird.
Foto: zVg.
ensuite, Juni/Juli 2010