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L´heure bleue

Von Bar­bara Hell — Mich Ger­ber bespielt die blaue Stunde am Fluss: Die leg­endäre blaue Stunde ist ein Geschenk des Tages an die Nacht, wenn die Sonne unterge­gan­gen ist und die Nacht aufzieht. Genau dieses indi­rek­te Licht am Him­mel ist eines der wun­der­barsten Naturschaus­piele, das jeden Abend neu stat­tfind­et. In dieser magis­chen Zeitspanne entste­ht ein stiller, leis­er Sound­track, gespielt von einem charis­ma­tis­chen Musik­er, Mich Ger­ber, solo mit seinem Kon­tra­bass.

Mich Ger­ber und der Kon­tra­bass – das ist eine langjährige Liebesgeschichte. Sei­ther ist der Musik­er mit seinem Instru­ment unter­wegs. Das neueste Album, das im let­zten Herb­st erschienen ist, heisst «Wan­der­er». Gewid­met natür­lich nicht dem klas­sis­chen Rot­sock­en, der in der Hitze des Hochsom­mers ehrgeizige Wan­der­routen absolviert, son­dern dem Wan­der­er aus der Roman­tik, der unter­wegs ist, weil das Unter­wegs­sein schön ist. Dem Wan­der­er, der so langsam geht, dass er die Umwelt betra­cht­en und bewun­dern kann. «Wan­der­er» ver­tont die Bedächtigkeit, mit der Mich Ger­ber seinen musikalis­chen Weg beschre­it­et. Die Reise geht immer weit­er.

Dies­mal ist er unter­wegs zum Bespie­len der blauen Stunde. Die Idee der «l’heure bleue» ist vor eini­gen Jahren beim Ver­weilen an speziellen Orten ent­standen, im See­land, wo Mich Ger­ber oft mit seinem Holzsegelschiff unter­wegs ist. Da gehen ihm Fra­gen durch den Kopf. Warum müssen denn Konz­erte immer in Mehrzweck­hallen oder an oft see­len­losen Open-
airs stat­tfind­en? Wäre es nicht reizvoll, sie an lauschi­gen Plätzen durchzuführen, wo die Umge­bung zur Musik passt und die Klänge poten­ziert? Wo die Musik die Schön­heit eines Ortes zu unter­malen ver­mag? So ist die Idee der «l’heure bleue» ent­standen.

Mich Ger­ber will etwas kreieren fürs Gemüt und fürs Herz, ohne Spon­soren, VIP-Zelte oder Video­screens. Denn der Kün­stler ist Teil der Natur – er will sie nicht überdeck­en. Ent­standen ist eine andere Form von Konz­erten also, eine beschauliche eben. Wo es auch akustisch Platz hat für das Rauschen der Bäume, die bel­len­den Hunde der Bauern­höfe von Kehrsatz oder die Glock­en des Kirch­turms in Muri.

Seit 2007 bespielt Mich Ger­ber die blaue Stunde an auser­wählten, magis­chen Plätzen am Wass­er: Zum Beispiel am Bieler‑, Neuen­burg­er- und Gen­fersee (2007), auf dem Dach ein­er alten See­ba­di in Luzern (2009) oder am Choller­strand, einem Naturstrand bei Zug (2009). Auch auf der Bode­nack­er­fähre wur­den die L’heure-bleue-Konzerte durchge­führt (2008) und dieses Jahr auf viel­seit­i­gen Wun­sch wieder­holt. Die ZuschauerIn­nen sitzen bei­d­seits am Ufer. Mich Ger­ber wird zum Fährmann, und set­zt uns über in eine verza­uberte Welt, in ein «Hyp­nose-Konz­ert», wie es kür­zlich genan­nt wurde. Er entwick­elt ein charak­ter­is­tis­ches musikalis­ches Uni­ver­sum, schichtet Live-Loops zu dicht­en und atmo­sphärischen Klang­bildern. Er malt eine Stim­mung, schnei­det sie dann mit warmer und solid­er Melodie zurecht, baut Schicht­en auf, lässt sie wieder ver­schwinden. Ein Sound­track, der die anwe­senden Per­so­n­en im wahrsten Sinne des Wortes per-sonare durchtönt.

Die Fahrt mit der Fähre ist in Mythen und Erzäh­lun­gen oft eine Meta­pher für den Über­gang. Der Fährmann erscheint dabei meist als ein Führer oder Helfer für jene, die er zum anderen Ufer bringt, sei es das Reich der Toten, die Unter­welt oder der näch­ste Abschnitt der Reise. Bei der «l’heure bleue» dür­fen alle wieder dahin zurück, wo sie herka­men. Denn der Fährbe­trieb ist nach dem Konz­ert nochmals gewährleis­tet, und ein Tick­et in den Hades ist eben­falls nicht erhältlich.

Foto: zVg.
ensuite, August 2009

Artikel online veröffentlicht: 27. August 2018