Von Lukas Vogelsang — Qualitätsjournalismus. Die «Szene» rätselt und wummert mal wieder über dieses Unwort. In Wikipedia steht dazu:
«Qualität (lat.: qualitas = Beschaffenheit, Merkmal, Eigenschaft, Zustand) ist die Bezeichnung einer potentiell wahrnehmbaren Zustandsform von Systemen und ihrer Merkmale, welche in einem bestimmten Zeitintervall anhand bestimmter Eigenschaften des Systems in diesem Zustand definiert wird. Qualität könnte sowohl ein Produkt wie Wein und dessen chemische Elemente und den daraus resultierenden subjektiv bewertbaren Geschmack, als auch die Prozesse bei einer Dienstleistung, beispielsweise dem Verkauf des Weines, beschreiben.»
Also. Was bedeutet jetzt Qualität oder eben Qualitätsjournalismus? Wer hat den Kodex dazu definiert? Ich habe viele Ansätze gesehen, viele Chefredaktoren parlieren hören, doch irgendwie fehlt mir eine einheitliche Definition. Qualität ist ein Mechanismus — der kann aber gut wie schlecht sein. Und es sieht nicht so aus, als ob die Journalisten diese «Qualität» beschreiben und definieren würden. Wir lesen täglich in den Zeitungen, was JournalistInnen getippt haben und müssen deswegen das Thema diskutieren. Es schreiben nicht die VerlegerInnen, Laien oder die Leserschaft selber. Wir beurteilen das Handwerk von Berufstätigen. Oder? Die Verleger haben eigentlich andere Probleme.
Es kommt mir vor wie bei der Post. Diese Dienstleistung war mal mässig, dann mittelmässig, bis sie vor wenigen Jahren wirklich beachtlich wurde. Eigentlich war ich des Lobes voll. Doch jetzt scheint diese Zeit vorüber. Radikalisierung und Kahlschlag verhindern, dass die Post einen Brief in einem Tag von A nach B bringen kann. Dafür bringen sie (für nur einen Franken) jetzt die Briefpost nach C (Härkingen), wo niemand weiss, was man damit anfangen soll, um dann den Krempel wieder nach A zu senden und eine Nachgebühr zu verlangen, die etwas surreal anmutet, da der Brief von einem spitzfindigen Pöstler wieder auf Tour geschickt wurde, um das Ziel nach 5 Tagen dann doch noch zu erreichen. So geschehen. Und das nennt man im Jahr 2009 Qualitätsmanagement. Das ist rationelles Postverteilen. Und die Frau hinter dem Postschalter lächelt und verdreht noch nett die Augen.
Aber auch in unserem Alltag ist Qualität ein dehnbarer Begriff geworden. Wie also sollten wir diesen Begriff noch respektierlich einordnen können? Beispiel aus einer «jungen Bewegung»: MP3. Musik, die digital auf einer Festplatte gespeichert wird, ist oft als MP3-File formatiert. «Formatieren» ist denn auch der richtige Ausdruck, denn es werden Frequenzen abgeschnitten, die — «wissenschaftlich erwiesen» – vom menschlichen Ohr nicht explizit wahrgenommen werden. Nun, bei Frequenzen verhält es sich etwa wie mit Farben und Licht: Ein Gelb mit blau gemischt gibt zwar grün, doch das Licht definiert auch die Kraft dieser Farbe. Wenn wir bei der Musik zum Beispiel dieses Licht reduzieren, geschieht ganz viel mit dem Klang. So kommt es oft vor, dass wir eine bekannte Musik als MP3-File kaum mehr wiedererkennen und Dinge hören, die vorher nicht da waren. Und beim Wegschneiden von Frequenzen in der Musik wird vor allem das von uns produzierte imaginäre Bild reduziert. Ich habe manchmal das Gefühl, dass dem Bild, oder eben dem Klang, die Leinwand genommen wird.
Trotzdem stürzt sich heute jedermann auf die neuen, ultrakleinen MP3-Player. Als wären das jetzt Supergeräte. Dazu stöpseln wir uns die Kopfhörer so in die Ohren, dass ganz viele Frequenzen gar nie zum Schwingen kommen. Und wir haben immer noch das Gefühl, Musik zu hören. Gehört das auch zur Qualität? Oder andersrum: Wie will man Qualität so überhaupt noch wahrnehmen lernen? Also, welche Qualität?
Fazit: Die Medien klagen über Qualität, und es sind just jene Klagegeister am Werk, die dafür verantwortlich sind. Warum klagen sie denn? Wollen sie die Schuld jemand anderem in die Schuhe schieben oder möchten sie einfach, dass wir sie in die Arme nehmen, ein bisschen Kuscheln, über die Haare streichen und nett ins Ohr flüstern: «Ist alles gut, mein Kleines. Die Welt ist böse, aber du bist mein Held.»
Cartoon: www.fauser.ch
ensuite, Mai 2009