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Midnight in Paris

Von Son­ja Wenger — Ah, Paris! Die Stadt der Lieben­den, die genau­so roman­tisch ist im Son­nen­licht wie im Regen; die Stadt der Träume, in der Kün­stler aller Natio­nen und Epochen Zuflucht und Inspi­ra­tion find­en; die Stadt der Touris­ten, die auf den Spuren der Liebe oder der Kün­ste wan­deln. Sie alle waren oder sind in Paris auf der Suche nach ein­er ide­al­isierten Ver­gan­gen­heit oder ein­er hoff­nungsvollen Zukun­ft, denn in jedem Klis­chee und in jedem Märchen steckt doch stets ein Körnchen Wahrheit.

Entsprechend ist Paris Schau­platz zahllos­er Liebesgeschicht­en, Eifer­suchts­dra­men, erfüll­ter oder zer­schla­gen­er Hoff­nun­gen. Die grössten Namen in Malerei, Musik oder Lit­er­atur haben hier gelebt oder Zwis­chen­sta­tion gemacht, und dabei nie vergessen, der Stadt an der Seine min­destens eine Hom­mage, meist jedoch eine Liebe­serk­lärung zu wid­men.

Nun hat sich auch der US-Kul­tregis­seur und hart­ge­sot­tene New York­er Woody Allen mit seinem neuestem Film «Mid­night in Paris» in die illus­tre Rei­he der beken­nen­den Paris-Fans ein­gerei­ht – und die brum­mende Kreativ­ität der Stadt, jene so typ­is­che Atom­sphäre irgend­wo zwis­chen Moder­nität und Geschichte, zwis­chen sex­ueller Ver­ruchtheit und intellek­tueller Bril­lanz scheint selb­st bei Allen jenen Witz und jene Leichtigkeit her­aus­gek­itzelt zu haben, die in vie­len sein­er let­zten Filme so schmer­zlich ver­misst wur­den. Allen, der uns in seinen jün­geren Jahren einige der witzig­sten und intel­li­gen­testen Filme über Sex und Beziehun­gen geschenkt hat, ist zurück, und es ist eine Erle­ichterung zu sehen, dass er seine Kun­st noch immer beherrscht.

Dass er dabei nicht auf sein üblich­es Star-Sam­meln verzichtet, damit wirk­lich alle irgend­wann mal noch zum Zuge kom­men, mit ihm zu arbeit­en – oder umgekehrt –, ist Ehren­sache. Aber man sieht es Allen nach, auch weil er nach­dop­pelt und seine Stars gle­ich selb­st in die Haut his­torisch­er Grössen schlüpfen lässt. Denn «Mid­night in Paris» ist eine her­rlich unkom­plizierte Zeitreise in die Ver­gan­gen­heit, in der der erfol­gre­iche US-Drehbuchau­tor Gil Pen­der (Owen Wil­son) in Paris seine wahre Bes­tim­mung als Roman­schrift­steller sucht.

Nicht dass ihm dieses Vorhaben leicht gemacht würde: Seine pathol­o­gisch nervige Ver­lobte Inez (Rachel McAdams) und ihre humor­los-kon­ser­v­a­tiv­en Eltern John (Kurt Fuller) und Helen (Mimi Kennedy) machen Gil zusam­men mit dem Alleswiss­er Paul (Michael Sheen) das Leben schw­er. Doch bei einem nächtlichen Spazier­gang durch die Gassen von Paris eröffnet sich Gil plöt­zlich ein anderes Uni­ver­sum. Um Schlag Mit­ter­nacht – und das bleibt ver­dankenswert­er­weise auch die einzige Erk­lärung dafür – taucht jew­eils eine Old­timer-Lim­ou­sine auf und bringt Gil zu den ange­sagtesten Tre­ffs der Bohème der zwanziger Jahre.

Erst mit blossem Erstaunen, dann mit zunehmen­dem Enthu­si­as­mus trifft Gil auf die kün­st­lerische Crème de la Crème jen­er Zeit: Ernest Hem­ing­way, Gertrude Stein, Luis Bunuel, Pablo Picas­so, Cole Porter, Zel­da und F. Scott Fitzger­ald, Sal­vador Dalí, Dju­na Barnes, ja alle machen Gil ihre Aufwartung, und gar Hen­ri Toulouse-Lautrec und Paul Gau­g­in kom­men zu ihrem Recht. Köstlich jen­er Moment, in dem Hem­ing­way dem sprachlosen Gil die Leviten liest, wie er sich als Mann und Schrift­steller zu ver­hal­ten habe. Schick­sal­haft die Szenen, in denen Stein (Kathy Bates) Gil eine scho­nungslose aber inspiri­erende Kri­tik seines Romans gibt. Und zum Weg­w­er­fen witzig jene Sequenz, in der ein durchgek­nall­ter Dalí (Adrien Brody) den Sur­re­al­is­mus anhand eines Rhi­noze­ros begreif­bar macht.

Doch alle verblassen – nicht nur in Gils Augen – neben der Präsenz von Mar­i­on Cotil­lard als Gils neue Muse Adri­ana. Sie ver­ste­ht und teilt sein Ver­lan­gen, in ein­er anderen, früheren Zeit leben zu wollen, einem «Gold­e­nen Zeital­ter», in dem alles bess­er war und die Kün­stler noch Kün­stler waren. Der­art einen Spiegel vorge­hal­ten, begreift Gil zum ersten Mal, wofür sein Ver­lan­gen und seine Träume wirk­lich ste­hen – und trifft eine fol­gen­schwere Entschei­dung.

Es ist nicht von der Hand zu weisen: «Mid­night in Paris» scheut sich nicht, jedes noch so bekan­nte Klis­chee der Stadt und der Geschichte neu zu insze­nieren und zu zele­bri­eren. Doch die Geschichte reflek­tiert auch auf kurzweilige und unter­halt­same Weise, wie viel Ehrlichkeit und Kom­pro­miss­losigkeit nötig sind, um sich sel­ber zu find­en, und wie leicht danach plöt­zlich alles erscheint.

Der Film mag bei den einen Anklang find­en, bei den anderen weniger, doch auszuset­zen gibt es an ihm nichts – das ist der Woody Allen, auf den alle so lange gewartet haben. «Mid­night in Paris» ist ein fein­er, amüsan­ter und char­man­ter Som­mer­film, wie man ihn sich wün­scht: Flock­ige Unter­hal­tung mit genug Sub­stanz für Diskus­sio­nen und vie­len Details, an die man sich gerne zurück­erin­nert.

«Mid­night in Paris». USA 2011. Regie: Woody Allen. Länge: 94 Minuten. Ab 18. August in Deutschschweiz­er Kinos.

Foto: zVg.
ensuite, August 2011

 

Artikel online veröffentlicht: 14. Februar 2019