Von Morgane A. Ghilardi — In einer Zeit, in der die globale Wirtschaft sich langsam von einem harten Fall erholt, ist es bitter nötig, dass jemand nicht nur ein kritisches, sondern ein kompromissloses Licht auf die Leute und Konzerne wirft, die an ihrer Genesung beteiligt sind.
Moore begann eigentlich schon vor dem Wirtschaftscrash im September 2008 mit den Dreharbeiten. Sein neuer Film sollte nicht nur eine Weiterführung seiner vorigen Werke werden, sagt der Filmemacher, sondern der Kulminationspunkt. Sämtliche Problematiken, die er zuvor behandelt hatte, sind darauf zurückzuführen, dass einige wenige entscheiden, wo das Geld hinfliesst; und zwar ganz sicher nicht zur Masse der Bevölkerung. Deshalb geht Moore diesmal direkt an die Quelle des Übels, und zwar zu den Banken.
Er zeigt uns die Leben einzelner Menschen, die von der Skrupellosigkeit der Banken und Grosskonzerne zerstört wurden. Manche werden aus ihrem eigenen Heim geworfen; manche müssen ihr ganzes Leben lang Studentenkredite abzahlen, welche sie aufgenommen haben, um für einen Job zu studieren, in welchem sie nun das Mindestgehalt verdienen. Dann geht er direkt auf die Finanzmagnaten los, welche die kleinen Leute wie Vampire aussaugen, und die bis jetzt davongekommen sind.
Es wird offensichtlich, dass die Wall Street – wie schon in der Reagan-Ära – auch in Washington die Zügel übernommen hat. Die Bush-Regierung hatte beispielsweise kein Problem damit, den Konsensus des Kongresses, und somit die Stimme des Volks, zu übergehen, und eine enorme Summe an Staatsgeldern in den Wiederaufbau gewisser Banken zu investieren. Ist es nicht einleuchtend, dass sich danach viele Bürger fragen, wieso die Herren von der Bank mit ihren Steuergeldern Privatjets und Luxuswohnungen kaufen? Tatsächlich gibt es Leute in Amerika, die sich das nicht gefallen lassen. Nachdem dieser Film vorführt, was für Verbrecher sich in der Wirtschaft befinden, ist es ein richtiger Aufsteller zu sehen, dass es Leute gibt, die Initiative ergreifen. Diese reichen von Familien, die sich ihr Haus nicht nehmen lassen, zu Arbeitern, die dafür kämpfen, dass die Banken ihnen ihre Jobs zurückgeben, über Kongressmitglieder, die das Volk offen ermutigen, sich zu wehren und sich nicht aus ihren Häusern werfen zu lassen.
Auch dieser Film hat natürlich einen Kulminationspunkt: Moore fordert die (amerikanischen) Zuschauer auf, sich mit ihm zusammenzuschliessen, und diesem System des Leben-und-sterben-Lassens ein Ende zu bereiten. Die Zuschauer sollen sich fragen, wieso ihr Land wie eine Kapitalgesellschaft geführt wird, in der das Volk kein Kapital hat; wieso Konzerne am Tod ihrer Mitarbeiter verdienen können; wieso Kapitalismus ein System von Geben und Nehmen ist, aber vor allem von den kleinen Leuten genommen wird.
Man kann Moore vorwerfen, dass er den Zuschauer geradezu überhäuft mit Informationen und Eindrücken. Wie er selbst sagt: «I don’t focus on one individual, or company, or issue; this is the big enchilada. » Er setzt keinen festen Fokus, und das merkt man. Trotzdem löst er in uns starke Gefühle aus: Man ist einerseits wütend, dass solche Ungerechtigkeiten möglich sind, aber auch hoffnungsvoll, da man weiss, dass viele nicht bereit sind, sich diesem System zu beugen.
Zuckersüss sind im Film die Zusammenschnitte mit Werbungen und Informationssendungen aus den 40er- und 50er-Jahren. Sie bieten einen scharfen Kontrast zu den Bildern des heutigen, desillusionierten Amerika. Es gib natürliche auch viele Lacher, wobei die Komik, welche meist von Moores gespielter Naivität herrührt, immer von einer unausweichlichen Tragik begleitet wird.
Michael Moore ist nicht darauf aus, uns einfach zu zeigen, was schief gelaufen ist, oder eine differenzierte Analyse eines sozialen und wirtschaftlichen Misstandes abzugeben. Michael Moore schockiert, attackiert, manipuliert. Es ist also nicht selbstverständlich, dass Moore auf seine eigene Rolle als Filmer, und damit Manipulator, hinweist, indem er seine eigene Crew bei der Aufnahme filmt. Er zeigt, dass er darauf abzielt, emotionale Bilder zu erschaffen, die uns auf geplante Weise beeinflussen werden. Moore entlarvt sich damit selber, fast als wolle er sagen: «Hey, ich will ehrlich sein mit euch.»
In einer Zeit, in der Political Correctness zu einer Weltreligion erhoben wurde, ist seine Art des Filmens erfrischend. Seine Botschaft bleibt uns: «I refuse to live in a country like this. And I’m not leaving.»
Regie, Drehbuch: Michael Moore; Produktion: Michael und Anne Moore; USA 2009.
Foto: zVg.
ensuite, November 2009