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Professionell, wohltemperiert

Von Christoph Simon - Am 24. Mai 2009 um 17 Uhr wird die ein­und-dreis­sig­ste Auflage des Lit­er­atur­fes­ti­vals Solothurn enden. Zahlre­iche ZuhörerIn­nen und AutorIn­nen aus In- und Umland wer­den zu den Lesun­gen im Land­haus, auf dem Kloster­platz und im Dunkelzelt geströmt sein. Mit Aus­nahme der Kor­re­spon­dentin der Bern­er Zeitung, die lieber liest als zuhört, wird man run­dum zufriedene Men­schen sehen. Die let­zten drei Tage wer­den erneut bewiesen haben, dass sich «die Kun­st des Erzäh­lens vor­ab der Fähigkeit ver­dankt, selb­stvergessen lauschen zu kön­nen» – wie dies Wal­ter Ben­jamin vor Zeit­en geschrieben hat.

Obwohl am Fre­itag­mor­gen eine strahlende Sonne über Solothurn ste­ht, lassen sich die Lese­hun­gri­gen nicht abhal­ten, die Eröff­nungsle­sung um zehn Uhr im Land­haus von Maja Beut­ler zu besuchen. Und je weit­er der Tag sich dem Ende zuneigt, desto voller wer­den die Säle. Zur Podi­ums­diskus­sion «Schreiben Lesen 2020 – das Buch ist eine Web­site, die man bindet» am Fre­itagabend mit der Autorin Ruth Schweik­ert, dem Ver­leger Dirk Vai­hinger und dem Kri­tik­er Roman Buche­li kom­men allein 250 Zukun­ftsin­ter­essierte ins Land­haus. Eine lange, über­mütige Nacht fol­gt in der Kul­tur­fab­rik Kofmehl, wo Mundartlern wie Vik­tor Vögeli (Gür­be­tal) oder Alex Gendlin (Wien) ein haupt­probe-freier Auftritt gewährt wird.

Sehr glück­lich kön­nen die Organ­isatorIn­nen der diesjähri­gen Lit­er­aturtage damit sein, dass die mehrsprachi­gen «Tan­dem-Lesun­gen» bre­it­en Anklang find­en: Hugo Loetsch­er set­zt sich neben die Kroat­in Dubrav­ka Ugresic ans Lesepult, Getrud Leuteneg­ger neben den Büch­n­er-Preisträger Josef Win­kler, Alber­to Nes­si neben die kämpferische argen­tinisch-ital­ienis­che
Autorin Lau­ra Par­i­ani.

Am Sam­stag sind nicht nur die Land­haussäle mit Lesun­gen der frisch pub­lizierten Lorenz Lan­geneg­ger und Katha­ri­na Tan­ner, auch ist das Dunkelzelt im Kreuza­ck­er­park voll aus­ge­lastet. Ann Cot­ten mit den Fremd­wörter­buch­sonet­ten, Klaus Merz mit dem schlafend­en Jakob und eine Kli­maforschung betreibende Nora Gom­ringer lesen in völ­liger Dunkel­heit, während das Pub­likum an der Dunkel­bar nach dem Eis­tee­glas tastet. Am Abend sor­gen «Bern ist über­all, partout» im Kreuz-Saal für ein Lit­er­a­tur­erleb­nis aus schweiz­erdeutschem Franzö­sisch und franzö­sis­chem Schweiz­erdeutsch, das auch der Solothurn­er Botschafter für nach­haltiges Denken, Peter Bich­sel, sichtlich geniesst.

Am Son­ntag Nach­mit­tag schliesslich ist auch der Kloster­platz bis auf den let­zten Pflaster­stein bestanden. Belohnt wird die Zuhör­erschaft etwa mit dem Stud­er-Ganz-Preisträger Roman Graf, der wortver­spiel­ten Bir­git Kemp­ker oder mit der Gen­ferin Bessa Myftiu, die mit ihrer Geschichte, in der der Satz «Ils m’ont enlevé le droit de m’exprimer, mais pas le droit de penser» vorkommt, begeis­tert und nach minuten­lan­gen Ova­tio­nen sichtlich gerührt eine Zugabe liest.

Zitate aus dem Gäste­buch:
Jürg Laed­er­ach: «Ins Gäste­buch darf ich nicht schreiben, denn ich füh­le mich an den Solothurn­er Lit­er­aturta­gen so wohl behei­matet, dass es falsch wäre zu behaupten, ich sei ein Gast.»

Franz Hohler: «Had I the choice, I would not leave.»

Nico­las Couchep­in: «Tous ces écrivains, toute cette ami­tié, cela nous encour­age, mer­ci!»

Michael Stauf­fer: «Oft genug sage ich Gott sei Dank, wenn etwas vor­bei ist. Dieses Mal nun sage ich: Schade, schade.»

Lit­er­aturtage Solothurn. Wenn man sich auf dieses Fes­ti­val freut, freut man sich nicht nur aufs aus­geze­ich­nete Pro­gramm (Sibylle Lewitscharoff! Armin Senser!) und auf die hüb­schen Ver­anstal­tung­sorte samt atem­ber­auben­den Blick­en auf Gewäss­er, ein­heimis­che Feen und Basel­tor-Don-Juans. Man freut sich auch auf die Inten­sität, mit der im Kreuz eben gehörte Wortwel­ten ver­han­delt wer­den, die beson­dere Stim­mung, die alljährlich durch die schlichte gegen­seit­ige Lit­er­atur­w­ertschätzung erzeugt wird. Gym­nasiallehrer passen auf die Kinder ger­ade lesender Autorin­nen auf, Pro­fes­soren mis­chen sich mutig unter die Schar Jun­gau­toren, um sich das Wort Blog erk­lären zu lassen. Sub-stanz, Anre­gung, Gastlichkeit, auch heuer wieder.

31. Solothurn­er Lit­er­aturtage, 22. bis 24. Mai.
Info: www.literatur.ch

ensuite, Mai 2009

Artikel online veröffentlicht: 16. August 2018