Von Frank E.P. Dievernich — Lexikon der erklärungsbedürftigen Alltagsphänomene (XIII): Auch die Euro-Krise hat sich, wie wir, in das neue Jahr hineingerettet. Der ganze Ballast ist geblieben, den tragen wir mit. Dazu gehört, zumindest im klassischen ökonomischen Denken, dass uns auch in diesem Jahr nichts geschenkt wird. Wo wären wir denn da, wenn plötzlich das (ökonomische) Handeln seinen Primärstatus verlieren würde? Ohne Handeln kein Unternehmen. Ohne Handel kein Geld. Nun könnte es aber sein, dass bis in das neue Jahr hinein der Euro und im Anschluss dann der Franken in einem derart hohen Mass an Wert verliert, dass man sich doch früher oder später genötigt sieht, nicht nur die Frage nach einer alternativen Währung zu stellen, sondern gleich die Frage nach einer Alternative zum Geld. Und wenn wir schon bei einer solchen Fundamentalfrage sind, dann sollte es die Antwort aber auch bitte schön in sich haben: Wie wäre es mit Schenken? Schenken als alternative Wirtschaftsform zum kapitalistischen System. Genau betrachtet ist Schenken eigentlich ein Grundsubstrat des Sozialen – und eben nicht Handeln. Dieses Kernelement hat aber leider durch die Ökonomie etwas Anrüchiges bekommen. So ist mittlerweile ein geflügeltes Glaubensbekenntnis in den Unternehmen, dass alle Dinge, die nichts kosten, auch nichts wert seien. Daher muss das Produkt, welches man veräussern will, bereits einen bestimmten Preis haben (der manchmal auch schon gegen die guten Sitten verstösst). Dem gegenüber steht jene Philosophie, die im Schwerpunkt aus Asien kommt und sich in einer Internet- oder webbasierten Ökonomie bewegt, in der Produktentwicklungen und Verbesserungen sofort an eine Gemeinschaft kostenfrei weitergegeben werden, so dass diese an den Weiterentwicklungen weiter arbeiten kann. Was dadurch geschieht ist, dass eine Flexibilisierung und schnelle Innovationsproduktion ausgelöst wird, die die Unternehmen meinen zu brauchen, um in einer modernen, unvorhersehbaren und turbulenten Wirtschaft bestehen zu können. Nehme man nun das Schenken ernst und hole es aus der Ecke «Haste mal n Euro/Franken für mich», dann könnte eine Befreiung in der Wirtschaft und den Unternehmen von jenen Strukturen geschehen, die eigentlich dazu da sind, befähigt zu werden, Geschäfte zu machen: Geld, Geldwirtschaft, Restriktionen, Investitionsvorgaben, Budgets, etc. Natürlich wird es ohne diese nicht gehen, und es ist wichtig, bei der Unterscheidung zwischen Utopie und Realität auf Letztere verweisen zu können, wenn etwas verändert werden soll. Wenn also nicht durch einen zentralen Akteur die ganze Wirtschaft umgekrempelt werden kann, so besteht doch ein eher grösseres Einflussvermögen auf die Organisationen und Unternehmen selbst. Schenken als neues Paradigma in den Unternehmen – was wäre das für eine Befreiung von Anordnung und Ausführung! Schenken hat nämlich eine aussergewöhnliche Macht zur kommunikativen Sinnstiftung (siehe hierzu Holger Schwaiger: Schenken. Konstanz: UVK-Verlagsgesellschaft). Schenken produziert Anschlussakte, in dem die Gabe als Medium des Gebens die Kraft zur Überwindung von zeitlichen, räumlichen und personalen Grenzen besitzt. Ein Geschenk erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenkommens, einer Verbindung. Schwaiger schreibt über einen modernen Fünfklang des Schenkens, der aus Geben, Nehmen, Erwidern, Nicht-Zurückfordern und Nicht-Weiterveräussern besteht. Nimmt man das Ernst und fängt an, beispielsweise die Verhältnisse von Führungskraft und MitarbeiterInnen, von Kolleg-Innen zu KollegInnen als ein Schenkverhältnis zu transformieren, dann dürfte jene soziale Dynamik entstehen, die die Unternehmen jenseits Ihrer Hochglanzbroschürenversprechungen als einen Ort der Menschen, des Sozialen erscheinen lassen. Eine neue Qualität der Verbindungen entsteht, die zuvor aber die Frage notwendig werden lässt, was der Einzelne gewillt ist selbstlos zu verschenken. Dabei geht es erst einmal nicht darum zu klären, wem man nichts schenken will (eine solche Reaktion ist naheliegend und dürfte in den meisten Organisationen die meisten Menschen betreffen) – sondern was man als Kompetenz und Haltung bereit ist zu geben. Und: Was kann man auf welches Geschenk, welches man selbst erhält, erwidern? Die Verlagerung auf den Schenkakt impliziert auch eine Perspektivenübernahme, was den Beschenkten als Geschenk erfreuen, ihm gut tun, ja, was er brauchen würde. So gesehen könnte das Schenken eine soziale Dynamik innerhalb der (hierarchischen und strukturversessenen) Organisationen auslösen, die den Menschen jenseits seiner Funktionen mit sich selbst und dann den anderen wieder neu in Verbindung bringt. Jetzt muss man nur mehr in den Organisationen das Danken (neu) erlernen. Am besten wiederum durch Schenken. Ach wie schön wäre es, nicht immer von flexiblen, innovativen, grossen, technischen, trockenen, sondern von dankbaren Organisationen zu sprechen!
*bewirtschaftet vom Fachbereich Wirtschaft der Berner Fachhochschule, www.wirtschaft.bfh.ch, Kontakt: Frank.Dievernich@bfh.ch
Foto: zVg.
ensuite, Februar 2012