Von Tatjana Tüegsegger — Blood Red Shoes aus Brighton sind keine Emos, Goths oder sonst depressiv. Trotzdem scheinen keine anderen Wörter sie besser zu beschreiben. Das junge Duett spricht über Gewalt, zwischen ihnen und in ganz England.
Nein, depressiv sind Steven Anstell und Laura- Mary Carter nicht. So sehen sie auch nicht aus. Der blonde Steven, der aussieht wie fünfzehn, lässt seine Mähne an der Afterparty richtig durchrütteln, und die wunderhübsche Laura-Mary strahlt nur so vor sich hin. Trotzdem sind ihre Texte auf deren Erstling «Box of Secrets» alles andere als fröhlich. Die zwei geben keine Interviews zu zweit. Sie haben Angst, zu viel zu sagen, wenn sie zu zweit ein Interview führen und dabei mehr miteinander als voneinander reden. Doch wer hilfsbereit ein China-Restaurant-Menü übersetzt und so hilft, die Mägen hungernder Künstler zu beruhigen, kommt manchmal zu unerwarteten Belohnungen.
Er: Was ist das Rohstofflager eigentlich? Sieht aus wie das Set von Terminator.
ensuite — kulturmagazin: Es ist ein Teil der Tony Molkerei, eine Fabrik, die seit längerer Zeit stillsteht und das Rohstofflager… Naja, das war halt eben das Lager! Habt ihr das riesige Joghurt auf dem Dach nicht gesehen? Ziemlich sehenswert.
Er: Das ist ja lustig. Wir haben vor kurzer Zeit in Strassburg gespielt. Der Club hiess «La Letterie», und in Amsterdam gibt’s einen Club, der heisst «Melkweg», weil es früher auch eine Molkerei war… Ist ja komisch, Milch scheint echt trendig zu sein!
Ihr habt ja momentan ’ne riesige Tour hinter euch. Und man munkelt, dass ihr sehr jung seid. Das heisst, man weiss nicht, wie alt ihr seid, weil ihr es einerseits nie sagt und andererseits nicht in eure Bio reinschreibt.
Sie: Wie alt sollen wir denn anscheinend sein?
Öhm… 19?
(Beide brechen in Gelächter aus, dann ganz ernst)
Beide: Nein.
Sie: Das waren wir nie. Also ich meine, ja, einmal. Aber nie zu zweit.
Wie alt seid ihr dann?
Sie: Ich bin 24.
Wow, o.k., also sind die Erwartungen total falsch. Und du?
Er: Du darfst raten.
Du könntest eigentlich älter sein als sie… Ich glaube, du bist 27!
Er: Wow, das ist echt krass. Auf den ersten Schlag richtig. (Skeptisch) Du hast mit Duncan (Roadie) gesprochen?
Sie: Bis jetzt hat es niemand herausgefunden.
Er: Aber eigentlich ist das auch extra so gehalten, dass wir unser Alter nicht sagen. Wir finden einfach, es gehört nicht dazu. Wir machen doch Musik. Und du hattest Recht, es gibt viele Leute, die meinen, wir seien 19.
Es wäre auch ziemlich erstaunlich gewesen, mit euren Texten. Es sind ziemlich dunkle Lyrics und im Gegensatz zu anderen Teeniebands, die pseudodunkle Sachen schreiben, sind eure Texte ziemlich hart und realistisch. So hätte ich jetzt weitergefragt, aber das geht ja nun nicht mehr so gut. Hättet ihr nicht einfach ja sagen können?
Er: Ich glaube wir hätten mit 19 genau das gleiche Album gemacht, wenn nicht noch dunkler. Wir waren ja vorher in zwei verschiedene Bands und haben auch eher melancholisch-depressives Zeug gemacht.
Genau, diese zwei Bands. Ihr habt sie verlassen, um ein Duo zu formen?
Sie: Naja, wir haben uns einfach durch diese Bands kennengelernt. Meine Band wurde ein wenig langweilig und Steves Band hatte gerade eine kleine US-Tour hinter sich. Dann, als er wieder zurück war, habe ich ihm eine Mail geschrieben.
Er: Drei Wochen nachdem ich das letzte Konzert mit meiner Band hatte, haben wir uns zusammengetan, um Musik zu machen.
Sie: Es passierte eigentlich einfach so. Wir haben nie gesagt: «So, wir sind jetzt eine Band.» Das ist auch der Grund, wieso wir nur zu zweit sind, wir haben einfach die ganze Zeit zusammen gejammt und uns nicht viele Gedanken darüber gemacht, was werden könnte.
Ist es in eurem Fall denn auch so, dass es einfacher ist, nur zu zweit zu sein?
Er: Es kommt halt auf die Situation drauf an, manchmal ist es einfacher, aber es kann auch viel komplizierter sein.
Sie: Ich denke, es ist schwieriger. Vor allem wenn wir streiten, da gibt’s keinen Ausweg. Wir sind nur zu zweit. Wir können nicht zum nächsten gehen und dann einfach mit dem anderen abhängen.
Er: Du bist halt einfach so konzentriert auf die andere Person. Was eigentlich sehr gut ist für die Musik… meistens.
Sie: Wenn du in einer Band bist und da mehr als zwei dabei sind, dann kannst du dich mit einem streiten und meistens kommt ein Dritter dazwischen und beruhigt beide. Es ist ausgeglichener.
Er: Genau.
Wie sieht das Ende eines Streits denn bei euch aus? Steigt ihr einfach auf die Bühne und nach dem Konzert ist dann wieder alles beim Alten?
Sie: Nein. Es kommt drauf an…
(Er unterbricht sie:) Wenn wir streiten brauchen wir beide ein wenig Abstand. Wir verbringen den Tag oder einige Stunden getrennt voneinander, beruhigen uns, kommen dann wieder zusammen und sprechen dann drüber. Danach versuche ich sie während der Show nicht anzuschreien (beide lachen).
Sie: Wir sagen uns halt auch immer alles und darum ist es sehr schwierig, überhaupt einen Streit anzufangen.
Er: Ich glaube unsere Freundschaft ist schon lange über Ehrlichkeit hinaus. Jetzt tyrannisieren wir uns nur noch. (lacht) Es geht soweit, dass wir die kleinsten Details ansprechen, wo doch die meisten es einfach fallen lassen würden. Nein, wenn wir streiten, dann reden wir einfach drüber und danach machen wir Musik.
Ruhe nach dem Sturm. Wie vorher schon angesprochen, sind eure Texte ziemlich dunkel. Gibt’s da einen speziellen Grund dafür? Oder seid ihr einfach melancholisch?
(Er denkt ein wenig nach:) Wir sind schon ziemlich dramatische Persönlichkeiten.
Sie: Ich glaube ich könnte gar keine fröhlichen Texte schreiben. Habe es auch noch nie gemacht. Es geht doch auch darum, dass Musik eine Art Therapie ist, und wenn der Text fröhlich ist, dann bist du’s und dann brauchst du eigentlich keine Therapie.
Er: Persönlich habe ich einfach keine Beziehung zu solchen «Happy-clappy-Songs».
(Sie lachend:) Öhm da gibt’s aber einzelne Songs…
(Er streitet ab:) Ja, aber das sind Songs zu denen man tanzt. Sobald so Gitarren-Sound zu heiter tönt, macht mich das einfach krank. Das hörst du eben auch bei unseren Songs, unsere Texte und Melodien sind ziemlich dark, das Einzige, was es ein wenig optimistischer macht sind die Momente, wo es fast wieder zu einem Tanzlied wird.
Sie: Unsere Texte machen halt das Meiste aus. Das stimmt schon.
Er: Als Personen sind wir einfach mehr daran interessiert, was in einem Leben falsch laufen kann, Sachen, die nicht funktionieren. Ich meine, wenn etwas klappt: Toll, Glückwunsch! Aber es ist einfach immer dasselbe. Wir sind einfach irgendwie… nicht so. Man entscheidet ja eh nicht, worüber man jetzt schreiben wird. Man sagt nicht: «Ich schreibe jetzt nur noch glückliche Lieder.» Am Schluss kommt raus, was raus kommen muss.
Sie: Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendwer sich so gut fühlt, in allen Bereichen, so dass ein hyperfröhliches Lied entstehen kann.
(Er singt:) «This is a rom-com kill the director!» (The Wombats, glückliche Engländer… anscheinend.)
Die Wombats mögt ihr also nicht?
Er: Nein, es ist einfach viel zu fröhlich.
Sie: Aber natürlich braucht es solche Bands. Es gibt viele Leute, die sie brauchen. Kann ja nicht alles schwarz sein.
Wir haben davon gesprochen, wie ihr euch eher für Aussenseiter interessiert oder Sachen, die schief laufen. Mich nimmt es Wunder, was ihr zu diesem Fall dieses Mädchens sagt, die Mitte 2008 in England umgebracht wurde, weil sie ein „Goth“ war. Wie reagiert ihr auf so was?
Sie: Es ist schlimm, dass es heute sogar Tote geben muss, nur weil man anders ist. Das versteh ich einfach nicht.
Ist es vielleicht auch weil England in den letzten Jahren gewalttätiger geworden ist?
Er: Oh nein, nein, Gewalt gab es schon immer in England. Nur hat die Presse jetzt entschieden eine grosse Sache daraus zu machen, und darum sieht man das heute mehr.
Sie: Oh Ja.
Er: Gewalt war schon immer ein riesiges Problem in England. Nur ist es heute einfacher an einem Messer ranzukommen.
Wieso das?
Sie: Um sich selbst zu schützen.
Er: Die Presse schreibt was darüber, wie irgendwelche Gangs mit Messern herumlaufen und dann haben andere Kinder Angst und meinen sie sollten sich auch ein Messer zulegen, zum „Schutz“. Und so verschlimmert sich der ganze Zyklus nur noch mehr.
Sie: Ich weiss noch, dass ich ein Messer unter meinem Bett versteckt hatte. Damals war das irgendwie…
Aber es kommt wohl auch drauf an wo du aufwächst, nicht?
Sie: Ja, ganz klar.
Er: Meistens schon.
Das ist ja oft auch hier der Fall.
Er: Ich wuchs in einem Vorort auf und wurde auf öffentlichen Strassen von so einem Typen verprügelt. Eine Woche später wird er wegen Mord verhaftet. Das schlimmste ist, diese Jungs sind meistens nur eins bis zwei Jahr älter als du. Das war vor etwa zehn Jahren. Das sind die Vororte. Normaler Alltag.
Sie: Ich bin in der Stadt aufgewachsen und da gibt es auch viele Gangs aber die wagen weniger. Vororte waren aber auch mein Zuhause und das grösste Problem ist, dass wenn du ein wenig aus der Reihe tanzt, man dich sofort als Aussenseiter behandelt. In der Stadt fällst du halt weniger auf.
Er: Redneck ist da das Motto. Und es ist Allen langweilig. Es gibt einfach Nichts zu tun.
Sie: Das ist in allen Stadtränder das Gleiche.
Er: Was auch sehr auffällig ist: In meiner Schule gab es gerade mal drei Blacks. Ich bin aufgewachsen mit dem Glauben, dass wir alle gleich sind, egal welche Farbe unsere Haut hat. Doch je weiter entfernt von der Stadt Leute leben, desto weniger denken sie so. Das obwohl die Eltern in der gleichen Position in der gleichen Firma arbeiten und so. Die wurden dann ausgenutzt. So entsteht Gewalt. Das ist der Hauptunterschied zwischen Stadt und Vorort, würde ich sagen: Die Gewalt in den Vororten entsteht aus Wut und Unterdrückung, in der Stadt sind es einfach Gangs die nichts Besseres zu tun haben.
Sie: Und natürlich ist es auch so, dass die Mitglieder einer Gang, wenn sie erstmal alleine unterwegs sind, viel zu feige währen irgendwas zu machen. Vor Frauen muss man sich auch in Acht nehmen. Ich habe eine Weile lang Basketball gespielt und was da so in der Garderobe lief, zum Teil auch mit Messer. Aber das ist langsam normal. (Fügt aber noch schnell hinzu) Ist aber nicht überall so. Das einzige Mal, wo ich solche Probleme hatte, war als ich in Vororten lebte und ich einfach… anders war.
Wie warst du denn?
Er: Ein wenig wie dieses Gothgirl.
Sie: Nein, schon nicht so… Einfach anders… Fischnetz Strumpfhosen, grüne Strähnen. Alles was anders sein konnte.
Er: Oh ja, diese Strähnen waren der Horror!
Sie gibt ihm einen Schubs und fährt fort: Um zurück zum eigentlichen Thema zu kommen: Der Ort an dem dieses Mädchen umgebracht wurde, ist so oder so nicht grade sehr sicher.
Es ist doch so, dass sie direkt angegriffen wurde… wegen irgendwelchen Piercings und so.
Er: Ich glaube eben ihr Freund wurde angegriffen, und sie versuchte, die beiden zu trennen und dann haben sie sich sie vorgenommen.
Sie: Das ist einfach so traurig.
Er: Es erinnert mich wirklich an die Erfahrungen, die ich vor zehn, zwölf Jahre gemacht habe: Eine Gruppe die Nichts zu tun hat, sie nerven dich ein wenig, weil du anders bist und werden einfach mitgerissen. „Ich bin der Boss hier, und um das zu beweisen gib ich dir noch einen letzten Schlag. Nur um zu beweisen, dass ich hier der Mann bin.“. Und genau dieser Schlag genügt um ein Leben zu beenden.
Sie: Das passiert jeden Tag. Diese Emo-Verfolgungen in Mexico. Das ist einfach grausam.
Er: Weißt du, wir sind keine Goth‑, Emo- oder Depriband. Aber das sind die Leute bei denen ich einfach sagen muss: Das bin genau ich. Das war ich, als ich ein Kind war. Es geht einfach darum akzeptiert zu werden. Der nationale Stolz hilft da natürlich nicht wirklich. Menschen mögen es Linien zu ziehen, wenn sie wissen wer sie sind und sich sicher sind. Dann ist plötzlich alles andere komisch. Und die Polizei interessiert sich nicht genug dafür. Das passiert meistens jungen Teenagern und die nehmen sie einfach nicht ernst.
Sie: Kinder werden heute einfach viel schneller Erwachsen. Es ist wichtig, dass die Leute sie ernst nehmen.
Er: Wenn du zu deinem Lehrer gehst und sagst, dass dir jemand angedroht hat, dir dein Leben zu nehmen. Dann meinen die meisten: „Ach komm, es sind doch bloss Kinder“. Und das ist die falsche Einstellung. Ich meine Leute, wacht auf! Es passiert HIER und JETZT.
Foto: Blood Red Shoes / Foto: Tatjana Rüegsegger
ensuite, März 2009