Von Barbara Roelli — «Endlich Fertigmenüs, die so frisch sind wie auf dem Packungsfoto» – Toll! … Äh, wie bitte? Irritiert blättere ich nochmals auf die Seite der Zeitschrift zurück, auf der ich die Werbung entdeckt habe. Nochmals lese ich die zwei Zeilen. Ich habe mich nicht getäuscht – tatsächlich steht da: «Endlich Fertigmenüs, die so frisch sind wie auf dem Packungsfoto». Ich lasse diesen Slogan auf mich wirken: «…so frisch wie auf dem Packungsfoto». Lasse die Worte auf der Zunge vergehen… «Packungsfoto». Das Wort vergeht nicht, sondern bleibt trocken am Gaumen kleben. Weit und breit kein Appetit. Das Packungsfoto schmeckt nach Farbe, nach irgendwelchen chemischen Verbindungen, nach Druckmaschine. Die Konsistenz der Fotografie würde durch genügend Speichel und Wiederkäuen bestimmt irgendwann pappig werden. Aber ich soll doch wohl nicht Karton essen, oder? Die Werbebotschaft in der Zeitschrift hat also ihr Ziel verfehlt: Eigentlich sol-lte mir ob der neuen Produktelinie das Wasser im Mund zusammenlaufen. Doch stattdessen suche ich nach der Sinnlichkeit von Fertigmenüs auf Packungsfotos.
Die Fotos riechen nicht, sie verderben nicht, sie bleiben frisch. «So frisch wie auf dem Packungsfoto» – versprochen. Jetzt ist endlich fertig mit verkochten Nudeln und schlappem Gemüse, das sich der Konsument beim Kauf eines Fertigmenüs oftmals gefallen lassen muss. In den «Fresh Cups» – so nennt sich die Produktelinie – ist auch wirklich das drin, was drauf ist!
Fertigmenüs sind vor allem eines: Sie sind bereits fertig. Noch fertiger ist das Menü, wenn ich es in der Mikrowelle regeneriert habe, um es aus der Plastikschale auf den Teller zu schaufeln. Der ganze sinnliche Werdegang vom Rohen zum Gekochten bleibt mir dabei verborgen. Ich sehe nicht, wie das Fertigmenü entstanden ist: Ich sehe nicht, wie die kochende Person ein rohes Ei ins Hackfleisch schlägt, ihre Finger in die Masse gräbt, sie knetet und einen Hackbraten daraus formt. Ich sehe nicht, wie die kochende Person die Kürbissuppe probiert, sich überlegt, welches Gewürz dazu passt, um die Suppe dann mit einer Prise Curry zu verfeinern. Bei Fertigmenüs braucht man keinen Gedanken daran zu verschwenden, wie man was, wann und wo zubereitet, welche Beilage dazu passt, und ob gelingt, was man kochen will. Bei Fertigmenüs hat man einen sicheren Wert, da weiss man, was man bekommt.
Die Lebensmittelindustrie hat entschieden, wie eine Pastetli-Füllung zu schmecken hat. Welche Aromastoffe es braucht, um jenes Rezept immer wieder zu kopieren, das vom Konsumenten so treu gekauft wird. Auch die Fertigpizza Margherita schmeckt den Kunden, und sie schmeckt immer gleich. Die Industrie füttert uns Konsumenten mit einer Palette an vorgefertigten Menüs und haucht uns dabei ein: Mehr Zeit zum Leben. Wie die grauen Männer in der Geschichte von Momo, rechnet sie einem auf der Verpackung vor, wie man Zeit sparen kann: 1. Stechen sie die Deckfolie des Behälters mehrmals ein. 2. Bei ca. 350 W (ca. halbe Leistung eines 750-W-Gerätes) ca. 4–5 Minuten erhitzen. 3. Kurz nachziehen lassen. 4. Deckfolie aufschneiden und entfernen. 5. Servierbereit. 6. Kalorienzufuhr.
Foto: Barbara Roelli
ensuite, Dezember 2010